KDE 4.10: Schlauere Suche, schönere Fenster, mehr QML

Version 4.10 des KDE-Desktops hat Neues für Kate-, KMail- und Okular-Anwender im Gepäck. Marble verfolgt jetzt auch Mars-Sonden. Viel Schweiß floss in die Code-Basis der Desktopsuche Nepomuk. Und unter der Haube zieht QML immer weitere Kreise.

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Von
  • Anika Kehrer
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KDE 4.10 (9 Bilder)

Der Plasma Desktop Workspace von KDE 4.10.

Die Desktopumgebung KDE in Version 4.10 ist wie ihre Vorgänger seit Version 4.4 in drei Hauptbereiche aufgeteilt, die zusammen die KDE Software Compilation (KDE SC) bilden: KDE Applications umfasst KDE-Anwendungen wie die Office-Suite Calligra, die Kartenanwendung Marble oder Spiele. Verschiedene Oberflächen für Touch-Geräte (Plasma Active), Netbooks und Desktops sind den KDE Workspaces zugeordnet; ihr Kern ist die Arbeitsumgebung Plasma mit ihren Widgets (Plasmoiden in der KDE-Terminologie). Die KDE Platform schließlich enthält Backend-Infrastruktur wie den PIM-Datenspeicher Akonadi, den Fenstermanager, die KDE-Bibliotheken und das KDE-SDK selbst.

Durch eine neue Technik im PDF-Betrachter Okular kann man jetzt viel schneller in ein PDF hineinzoomen: Der brasilianische Informatikstudent Mailson Daniel Lira Menezes hat Okular während eines Projekts im Google Summer of Code (GSoC 2012) dazu gebracht, statt des ganzen PDF-Dokuments nur noch die betrachtete Region darzustellen (Tiled Rendering). Das entlastet den Arbeitsspeicher, wenn es ans Zoomen geht. Vergrößerungen sind nun auch weit oberhalb der bisherigen 400-Prozent-Grenze möglich.

Marble bringt neue Mars- und Venuskarten mit.

Ebenfalls das Ergebnis eines Sommer-Programmierprojekts sind neue Karten in der Geo-Software Marble, die aber nicht unter dem Dach von Google, sondern beim Summer of Code in Space der europäischen Raumfahrtbehörde ESA enstanden sind. René Küttner aus Dresden entwickelte neue Anzeigemodi für die Satelliten Mars Express, Venus Express und SMART-1. Das kommt nicht nur der Darstellung der Marssatelliten zugute, sondern hilft auch an anderer Stelle: "Besseres Tracking von Mars-Satelliten verbessert auch das Tracking einer Fahrzeugflotte oder die Navigation beim Geocaching mit Marble", erklärt Torsten Rahn gegenüber Heise. "Darum werden wir auch in künftigen Marble-Versionen Bereiche wie Astronomie und Raumfahrt ausbauen."

Kleinere Neuerungen gibt es bei Kmail: Maintainer Laurent Montel hat eine automatische Rechtschreibkorrektur eingeführt und den Import-Wizard verbessert, der zum Beispiel Adressbücher aus anderen Anwendungen einsammelt. Im übrigen hat er für diese Release vor allem Löcher im Speichermanagement gestopft. Größere Pläne hat Laurent Montel für die kommende Version 4.11: Er will die HTML-Fähigkeiten von Kmail mit einer eigenen, Qwebkit-basierten Bibliothek ausbauen.

Die neue "Dokumentenkarte" ersetzt auf Wunsch den Scrollbar – nicht nur in Kate.

Einige Neuerungen im Editor Kate sind beim Wiener Coding-Sprint im Oktober 2012 entstanden, bei dem 13 Entwickler vom Kate- und Kdevelop-Team die 850 Bugreports auf 360 offene Bugs und Feature-Requests reduziert haben. Dabei fiel mal eben eine Art Dokumentenkarte heraus: Sowohl im Texteditor als auch in der KDE-Entwicklungsumgebung lässt sich am rechten Rand anstelle der Scrollbar nun eine Übersicht aktivieren, die das Dokument und in einem hervorgehobenen Fenster den aktuellen Ausschnitt des Editors anzeigt. So kann man bei langen Dokumenten einfach an verschiedene Stellen springen. Dieses Feature beherrscht jetzt auch der alternative Editor Kwrite, der auf Katepart basiert, der Editor-Komponente von Kate. Katepart kommt auch in dem Latex-Frontend Kile zum Einsatz.

Die Entwicklung von KDE-Anwendungen wird zunehmend von C++ auf QML und Qt Quick umgestellt. Das hat die Nebenwirkung, dass mehr Qt-Entwickler auch zu KDE finden und so die Anwendungsbasis erweitern. Ein Beispiel dafür ist die seit 2008 brachliegende Tipp-Lern-Anwendung Ktouch. Sebastian Gottfried wollte Qt Quick lernen, stieß auf das verwaiste Programm und portierte es auf QML. Dabei unterzog er die Oberfläche einer Renovierung und programmierte einen neuen grafischen Begrüßungsdialog. Als echte Neuerung ist neben neuen Schreibkursen eine Liniendiagrammauswertung hinzugekommen, die die getippten Zeichen pro Minute mit der benötigten Zeit in zwei Graphen gegenüberstellt.

Der neue File Indexer in Nepomuk erlaubt eine feinkörnige Kontrolle der zu durchsuchenden Dateien.

In der KDE-Umgebung Plasma floss einige Arbeit in den "sozialen semantischen Desktop" Nepomuk. Vishesh Handa hat einen ganz neuen Datei-Indexer geschrieben, der den 2008 eingeführten Indexer Strigi ersetzt – die C++-Bibliothek Strigi bot seit KDE 4 die Möglichkeit, Attribute verschiedener Dateien abzurufen, zum Beispiel die Länge eines Songs oder die Größe eines Bildes. Als Gründe für den Wechsel führt Handa Strigis Schwierigkeiten mit verschiedenen gängigen Dokumententypen sowie dessen umfangreiche, schwierig zu pflegende Codebasis an. Zudem hat die Desktopsuche mit Nepomuk eine Verwaltungsoberfläche für Suchtags bekommen. Der neue Nepomuk Cleaner räumt in der Nepomuk-Datenbank zum Beispiel doppelte Metadateien oder leere Tags auf.

In bei dem KDE-Fenstermanager Kwin gab es einige Änderungen, auch wenn Maintainer Martin Gräßlin die Version 4.10 als "ein ruhiges Release für unsere Nutzer" beschreibt. Und doch ist 4.10 die erste Version, in der Kwin für einige Operation die X-C-Bindings (XCB) verwendet. Ins Haus steht nämlich die Umstellung von der generischen X11-Bibliothek Xlib auf die neue Abstraktionsschicht XCB: Zum einen ist das Voraussetzung für den anstehenden Umstieg auf Version 5 des Qt-Toolkits, die unter Linux den neuen Display-Server Wayland oder eben XCB erfordert. Zudem, erklärt Gräßlin, bietet XCB bei der Interaktion mit dem X Window System einige technische Vorteile gegenüber der Xlib.

Dateimanager Dolphin: Besserer Zugriff auf externe Geräte per MTP.

An sichtbaren Neuerungen sind im Fenstermanagement animiertes Minimieren und Maximieren hinzugekommen sowie die Möglichkeit, Verhalten und Aussehen von Kwin mit Skripten zu modifizieren. Das Anwendungsmenü lässt sich jetzt komplett als Ausklappmenü im Fensterrahmen zu verstecken. Zu aktivieren ist das in den Systemeinstellungen unter "Erscheinungsbild", dann "Stil", und dort den "Menubar Style" auf "Title Bar Button" setzen. Die Option soll aber vorerst nur im Standard-Theme Oxygen verfügbar sein. Wer sie nicht findet, soll sich bei seiner Distribution beschweren, zwinkert er in einem Blogbeitrag.

Ein neuer Print Manager soll den Umgang mit Druckern unter KDE erleichtern. Der Dateimanager Dolphin unterstützt jetzt den Dateizugriff per MTP besser – das sollte den Datenaustausch mit Mobilgeräten wie Smartphones erleichtern.

KDE 4.10 hat weitere Teile seiner Benutzerschnittstelle von C++ auf QML und Qt Quick portiert, was für den Anwender weitgehend unsichtbar bleibt, wenn man nicht sehr genau hinsieht. Für Entwickler ist die QML-Richtung von praktischer Bedeutung. Widgets beispielsweise erstellen sie jetzt mit so genannten QML Containments, statt sie von der Qt-Klasse QGraphicsWidgets abzuleiten. Aus Benutzersicht ist das Ergebnis dasselbe; die KDE-Entwickler versprechen sich von der QML-Marschrichtung jedoch viel Integrationsleistung und Vereinfachung mit Blick auf zukünftige Releases.

Bei den KDE Workspaces spielt QML eine immer wichtigere Rolle.

Es gibt mit KDE 4.10 erstmals ein dediziertes Plasma-SDK namens Plasmate, das allerdings eher die Tablet-Oberfläche Plasma Active adressiert. In der traditionellen KDE-Entwicklungsumgebung Kdevelop dürfen sich Entwickler über eine neue Unit-Test-Einheit freuen. Bislang mussten KDE-Entwickler auf den Qt Creator zurückgreifen, wenn sie QML benutzen wollten; jetzt gibt es ein QML-Plugin für Kdevelop, das allerdings noch am Anfang der Entwicklung steht, wie Kdevelop-Entwickler Milian Wolf schreibt.

Sein Kollege Ralf Habacker bezeichnet als größtes Stück Arbeit an dieser Kdevelop-Release, endlich alle Qt-3-Klassen nach Qt 4 portiert zu haben. Das notorisch unterbesetzte Kdevelop-Team hat nämlich das ganze Jahr 2012 dafür aufwenden müssen. Schon seit 2008 sträuben sich einige Klassen hartnäckig gegen die Portierung -- zum Beispiel die Klasse "QGraphicsView". Diese Aufgabe haben die Entwickler nun abgehakt: "In zukünftigen Versionen werden dadurch neue Features einfacher zu implementieren zu sein", sagt Habacker, "und einem Qt-5-Port steht auch nichts mehr im Wege."

Startpunkt für Anwendung und Installation der KDE Software Compilation 4.10 ist die Info-Seite zu KDE 4.10. Weitere Einzelheiten zu den Neuerungen enthalten je eigene Release-Announcements zu Applications, Workspaces und Platform. (odi) (odi)