Verfassungsgericht prüft Scanning von Kfz-Kennzeichen

Karlsruhe will im November über Vorschriften im hessischen und im schleswig-holsteinischen Polizeigesetz verhandeln, die eine automatisierte Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen und einen Abgleich mit Fahndungslisten erlauben.

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Das Bundesverfassungsgericht will am 20. November über Vorschriften im hessischen und im schleswig-holsteinischen Polizeigesetz verhandeln, die eine automatisierte Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen auf öffentlichen Straßen und Plätzen und einen elektronischen Abgleich mit Fahndungsdatenbanken erlauben. Die Beschwerdeführer sind eingetragene Halter von Autos, mit denen sie regelmäßig in dem jeweiligen Bundesland unterwegs sind. Sie sehen sich in ihrem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Die angegriffenen Vorschriften sind ihnen zufolge zu unbestimmt, insbesondere sei der Verwendungszweck für die erlangten Informationen nicht hinreichend klar geregelt. Das Grundrecht werde auch in unverhältnismäßiger Weise beschränkt.

Mit einem einzigen Erfassungsgerät könnten pro Stunde mehrere tausend Kennzeichen erfasst werden, monieren die Kläger. So würden die Polizeibehörden voraussetzungslos zu einer massenhaften heimlichen Beobachtung von Unverdächtigen ermächtigt. Die Beschwerdeführer sehen bei den Ländern auch nicht die Gesetzgebungskompetenz für derlei Strafverfolgungsmaßnahmen. Umstritten und vor Gericht anhängig ist der Nummernschildabgleich schon seit langem. Der Österreichische Verfassungsgerichtshof hat in einem vorläufigen Beschluss bereits die Grundrechtsvereinbarkeit des Scannens von Kfz-Kennzeichen zur Geschwindigkeitsüberprüfung in Österreich angezweifelt.

Details zu dem Verfahren hat der Jurist Patrick Breyer zusammengetragen. Die Beschwerdeführung in Karlsruhe wird demnach der Berliner Polizeirechtsexperte Clemens Arzt, der ein "Recht auf datenfreie Fahrt" proklamiert (PDF-Datei). Laut Beschwerdeschrift sei in den Fahndungssystemen eine "Ausschreibung zur Beobachtung" vorgesehen. Daher müsse jeder Fahrzeugführer damit rechnen, dass "sein Fahrverhalten erfasst und gespeichert wird". Der dadurch erzeugte "psychische Druck" führe "zu Störungen der Handlungs- und Bewegungsfreiheit".

Zahlen aus Bayern würden laut der Klägerseite zudem zeigen, dass sich bei 99,97 Prozent der Betroffenen keinerlei Anhaltspunkte für eine Gefahr oder Straftat ergäben. Die tief in Grundrechte einschneidende Maßnahme habe "ihren Schwerpunkt im Bagatellbereich". Es sei auch bekannt, dass die Lesegeräte eine Trefferquote von 0,03 Prozent aufwiesen. Unter diesen Ergebnissen befänden sich zu 40 Prozent säumige Versicherungszahler, zu 20 Prozent Fahrzeuge mit verlorenem oder gestohlenem Kennzeichen, zu 15 Prozent Ausschreibungen von Personen zur Beobachtung oder Festnahme und zu 25 Prozent sonstige polizeiliche Gesuche wie etwa nach gestohlenen Pkw.

Die Anfang 2005 in Wiesbaden beschlossene Novelle des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) erlaubte der Polizei erstmals, Kfz-Kennzeichen auf beliebigen Straßen automatisch zu erfassen und mit Fahndungscomputern abzugleichen. 300.000 Euro sollen die dafür gekauften Geräte gekostet haben. Zum Leidwesen der Beschwerdeführer entwickelte sich die entsprechende Klausel seitdem zu einer Art Exportschlager: Bayern, Bremen, Hamburg, Rheinland-Pfalz, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein haben seither vergleichbar scharfe Polizeigesetze beschlossen.

Fahrzeuge werden beim automatischen Massen-Scanning zunächst durch eine Kamera optisch erfasst. Mit Hilfe von Software wird die Buchstaben- und Zeichenfolge des amtlichen Kennzeichens ermittelt. Dies kann stationär oder mobil erfolgen. Bei ortsgebundenen Systemen werden die Erfassungsgeräte ähnlich wie bei der Geschwindigkeitsmessung an einer bestimmten Stelle fest eingesetzt. Bei mobilen Anlagen werden sie etwa aus einem fahrenden Polizeifahrzeug heraus in Stellung gebracht, zum Beispiel um Autos auf einem Parkplatz oder im fließenden Verkehr zu kontrollieren.

Moderne Kennzeichenlesegeräte sind in der Lage, jede Stunde Tausende von Kennzeichen vorbeifahrender Fahrzeuge zu erkennen, abzugleichen und gegebenenfalls zu speichern. Im praktischen Einsatz sind Breyer zufolge allerdings bis zu 40 Prozent der gemeldeten "Treffer" fehlerhaft. Im Ausland sei daher bereits eine Fahrzeugüberwachung per Satellit oder Funkchip in Planung. Die Beschwerdeführer wollen einen Kfz-Kennzeichenabgleich aber nur im Einzelfall zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben und mit richterlicher Genehmigung akzeptieren.

Ansonsten erinnern sie unter anderem an das Urteil der Verfassungsrichter zur Rasterfahndung nach islamistischen "Schläfern" nach dem 11. September 2001. Darin heißt es, dass die Verfassung "grundrechtseingreifende Ermittlungen 'ins Blaue hinein' nicht zulässt". Der Kfz-Kennzeichenabgleich stelle aber "im Kern einen Präzedenzfall einer allgemeinen, vorsorglichen Überwachung der Bevölkerung dar". Erlaube man ihn, könne man auch etwa einer automatischen Überprüfung aller Inhaber eingeschalteter Mobiltelefone, einer permanenten, kontaktlosen Fahndung anhand von RFID-Chips in mitgeführten Ausweispapieren oder einer generellen biometrischen Gesichtserkennung an jeder Straßenecke nicht mehr entgegentreten. (Stefan Krempl) / (jk)