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Was war. Was wird.

Die Wochenschau von Hal Faber: Von virtuellen Psychologen ĂĽber Frauenzeitungen und Online-Liebe bis zu Sprache, Jobs und Katholischer Kirche

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Früher war die Welt geordnet. Es gab klare Kategorien und Lager: Gut und Böse, Ost und West, Microsoft und Netscape. Heute mischt sich alles und die Leute programmieren nur noch, um Geld zu verdienen. Schauen wir uns nur das Beispiel "Künstliche Intelligenz" an. Entweder man glaubte an die Intelligenz der Maschinen – oder man hielt all die Lisp- und sonstigen KI-Entwickler für ausgemachte Idioten. Ein Abfallprodukt dieser Auseinandersetzung war ELIZA. Joseph Weizenbaum hatte die Software, die einen Psychotherapeuten emuliert, eigentlich geschrieben, um zu demonstrieren, wie leicht künstliche Intelligenz sich vortäuschen lässt. Neulich habe ich einen Enkel von ELIZA im Web getroffen; er sprach deutsch und war in Java programmiert. Hocherfreut über das Widersehen nach so langer Zeit, begann ich zu plaudern und der folgende Dialog entwickelte sich: "HALLO, SCHOEN DAS DU DA BIST! ERZAEHL MIR VON DEINEN PROBLEMEN!" "Ich schreibe. Artikel." "ICH VERSTEHE. DAS IST INTERESSANT! ERZAEHLE WEITER!" "Ich schreibe Artikel über Computer." "AHA! HAST DU PROBLEME MIT RECHNERN?"

*** Nun, man mag das für ein zweifelhaftes Beispiel der Intelligenz unserer Maschinen halten – schön jedenfalls, dass man jahrzehntealte Programme heutzutage auch in Java schreiben kann, nicht? Vielleicht war das ja die Fingerübung eines der so genannten N@tkids, die angeblich um die Wette programmieren – glaubt man jedenfalls ricardo.de und einer gewissen TV-Sendung namens Akte 2000. Noch nie gehört? Es handelt sich schlicht um den Versuch, Monitor, Panorama oder ähnliche Polit-Sendungen im öffentlich-rechtlichen TV mit privatfernsehlichen Mitteln zu emulieren. Natürlich ist der Moderator nicht so bärbeißig wie Klaus Bednarz oder so todernst wie Patricia Schlesinger; Ulrich Meyer entspricht mehr den Vorstellungen moderner Marketiers. Mit solchen Leuten kann man dann schon mal eine Kampagne starten, die das leidige Thema Ausbildung und Fachkräftemangel werbewirksam verwurstet. Gut gemacht, ricardo: Endlich bekommt der Spruch "Kinder statt Inder" einen konkreten Inhalt. Oder doch nicht? Zweifel schleichen sich ein: So richtig kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, was denn "Nattkids" (oder, wenn mans aussprachegemäß schreibt: "Nättkids") eigentlich machen sollen.

*** Womit wir einmal wieder bei einem meiner Lieblingsthemen wären: Verhunzungen der Sprache. Aufgepasst, ihr Deutschlehrer: Ich meine nicht die Anglizismen, die in vielen Fällen vielmehr ein Zeichen für die Lebendigkeit des Deutschen sind, die sich diese Sprache trotz aller gegenteiligen Bemühungen diverser Institutionen bewahrt hat. Aber Leute, die auf einen gewissen Herrn Zlatko amüsiert herabblicken, und dann in den eigenen Pressemitteilungen etwa von "Funktionalitäten" reden oder von den vielen "Alternativen", derer es in Wirklichkeit doch immer nur eine gibt, kann man nicht ganz ernst nehmen. Wer aber E-irgendwas für die Lösung aller Probleme hält, braucht sicher auch Funktionalitäten.

*** Anstelle des Slogans "Kinder statt Inder" haben einige um die Arbeitsplätze in Deutschland besorgten Unternehmen andere Motti gefunden. So bekriegen sich seit einigen Monaten zwei Online-Jobbörsen vor Gericht. Die eine, Jobs & Adverts, wollte die andere, , aus dem Internet verdrängen. Das wundert nicht, ist Jobs & Adverts doch inzwischen an der Börse notiert und sorgt sich angesichts des Einbruchs aller Indizes um den eigenen Aktienkurs. Das die andere Online-Stellenvermittlung sich das nicht gefallen lassen will, verwundert allerdings auch nicht – ist sie doch eng mit der Tomorrow Internet AG verbandelt, die ebenfalls vor kurzem an die Börse ging. "Anwälte statt Polen" oder "Börsianer statt Weißrussen" sind vielleicht nicht so eingängig wie der Rüttgers-Spruch – aber offensichtlich bringen sie mehr ein. Allerdings weder für die Arbeitslosen noch für Mitarbeiter suchende EDV-Unternehmen.

*** Erinnert sich noch jemand an das papierlose Büro? Für die Jüngeren unter uns: In prähistorischen Zeiten glaubten doch tatsächlich viele, Computer würden bedrucktes Papier überflüssig machen. Seltsame Idee, was? Inzwischen hat sich herausgestellt, dass die Computerisierung einer der größten Umsatzbringer für die Papierhersteller war. Es gibt nichts, was nicht ausgedruckt wird... Ähnliches scheint mit den auf echtem Papier gedruckten Magazinen und Zeitungen zu geschehen. Ungeachtet aller eifrigen Diskussionen, das Internet führe mit Online-Medien die Tages- und Wochenzeitungen, Fach- und Unterhaltungsmagazine ad absurdum, raschelt es im Blätterwald wie nie zuvor. Der Boom der Wirtschaftsblätter wird von all den Börsengängen der Internet-Firmen befeuert; ja, das Internet selbst vernichtet komplette Wälder, die für gedruckte Internet-Magazine zu Papier verwurstet werden. Die dümpeln zwar fast alle weit unter den prognostizierten Verkaufszahlen vor sich hin – das hindert aber keinen Verlag, noch ein weiteres, klassisch produziertes Heft auf den Markt zu schmeißen, das die "neuen elektronischen Medien" zum Thema hat. Jüngstes Beispiel: MARKET, das Wochenmagazin für Online-Marketing und E-Commerce. Offensichtlich geht die Redaktion davon aus, dass die Leute, die sich mit diesen Themen beschäftigen, keinen Internet-Zugang haben... Was die Leserschaft dann aber beim Online-Marketing bewerben und beim E-Commerce umsetzen soll, die Antwort auf diese Frage blieb die Ankündigung des Verlags schuldig. Immerhin, der Name des Magazins ist innovativ – endlich einmal jemand, der das "E" nicht einfach nur mit einem Bindestrich vor einen anderen Begriff klatscht. Das Ganze in gedruckter Form auszuliefern, ist ja möglicherweise keine schlechte Idee: Vielleicht wird doch irgendwann zu einem HTML-Code, mit dem sich etwas anfangen lässt?

*** Unsereins kennt so genannte Frauen-Zeitschriften wie die Petra ja nur vom Friseur. Beim Blättern in den ausliegenden Magazinen fragt Mann sich allerdings schon einmal, ob alle RedakteurInnen die Frauen wirklich für so dämlich halten, wie ihre Blätter den Anschein erwecken. Wie auch immer: Besagte Petra hat nun auch das Internet entdeckt und herausgefunden, dass es "die Liebe auf den Kopf stellt". Millionen einsamer Herzen seien in den Welten der virtuellen Welt unterwegs, um ihr Glück zu finden, heißt es wörtlich in einer Ankündigung der Redaktion. Nun, es mag eine erste, zweite und dritte Welt auf der Erde geben, aber Welten in einer Welt? Jedenfalls gibt Petra nicht nur Tipps, wie man den richtigen Namen für den Online-Flirt findet, sondern auch für den optimalen Flirt-Einstieg. So gewappnet, kann man sich dann zu Excite begeben: Den das Internet-Portal "launcht" (ich verweise an dieser Stelle an den Abschnitt über Sprachverhunzung...) zusammen mit Offerto eine Single-Auktion. Mit den Tipps von Petra wird man dort vielleicht zum "Single des Tages". Da ist es doch irgendwie tröstlich, dass der Sieg der virtuellen Liebe genauso wahrscheinlich ist wie der Erfolg des papierlosen Büros und das Aussterben der gedruckten Magazine.

Was ist

Ostern natürlich! Daher eine Sonderrubrik in WWWW: Damit auch niemand vergisst, rechtzeitig buntbemalte Eier und debil grinsende Schokoladenhasen zu kaufen, werden wir in diesem Jahr auch im Internet mit einer Flut von Oster-Sites beglückt. Fröhliche Eiersuche auf unserer Website.... Und ich dachte immer, das Internet wäre ein Medium für die Informations-Elite. Aber das Leben gibt seltsame Hinweise und die Wege des Herrn sind ja bekanntermaßen sowieso unerforschlich – und gerade, als ich voller Verzweiflung offline gehen wollte, wurde mir von der Katholischen Kirche folgende Botschaft zuteil: "In jeder Krise steckt eine Chance zum Neu-Anfang! Dem Crash-Down des Internet-Rechners, auf dem die Seiten und Anwendungen unserer Website 'katholische-kirche.de' zum Abruf bereitgehalten wurden, können wir mittlerweile etwas Positives abgewinnen. Wir verstehen den Vorfall als eine Chance, die Homepage der katholischen Kirche in Deutschland neu zu konzipieren und ihre Funktionalität für die Nutzerinnen und Nutzer weiter zu verbessern." Das hat mich zu tiefer Meditation über das Wesen von Computern inspiriert. Haben die endlosen Diskussionen um das einzig wahre Betriebssystem nicht etwas von theologischen Disputen? Ist nicht Software tatsächlich ein ganzheitlich-spiritueller Weg zur Selbsterfahrung und religiösen Einsicht? Ich habe es schon immer geahnt, als ich das majestätische Blau im Hintergrund einer Fatal-Error-Meldung bewundert habe oder mich einlullen liess vom erhabenen Klang und der Schönheit des System-Sanskrit, das mein Linux-System beim Starten von sich gibt. Und die Wartezeiten im Netz sind eigentlich Zen-Übungen... Wir müssen nur positiver denken.

Was wird

Auch die schönsten Feste vergehen und dann ist wieder schnöder Alltag, aber auch die nächste Woche winkt ja schon wieder mit einem verlängerten Wochenende. Erster Mai... Früher hieß das mal "Kampftag der Arbeiterklasse" (ja, ich weiß, das hätte in die erste Sektion gehört); jetzt ist der Tag immerhin noch arbeitsfrei. Jedenfalls für die, die die Zukunft der Arbeitswelt noch nicht praktizieren: Immer am Ball, rund um die Uhr, denn die Konkurrenz schläft nicht, erst recht nicht im globalen Dorf. The city never sleeps – und Online-Medien kennen sowieso keinen Redaktionsschluss. Und so sitzen wir Tag und Nacht vor den Tastaturen, immer auf der Suche nach Infohappen, vernetzt, immer und überall. Ich glaube, dass mit der Einheit von Privatleben und Beruf haben sich unsere Altvorderen doch ein bisschen anders vorgestellt. Bis nächsten Sonntag also... (Hal Faber) (jk)