Polizeikongress: Auf Streife in sozialen Netzwerken

Auf dem Kongress gab es fruchtbare Diskussionen und Berichte über die Rolle der Polizei auf Facebook und Twitter. Sie zeigten, dass junge Polizisten und Kriminologen gedanklich viel weiter sind als die deutlich älteren Kongressteilnehmer.

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Von
  • Detlef Borchers

In Berlin ist am Mittwochabend der 16. Europäische Polizeikongress zu Ende gegangen. Rund 1400 Teilnehmer beschäftigten sich schwerpunktmäßig mit dem Thema "Schutz und Sicherheit im digitalen Raum". Abseits der politisch exponierten Auftritte von Spitzenbeamten aus dem Bundesinnenministerium, von Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt gab es fruchtbare Diskussionen und Berichte über die Rolle der Polizei auf Facebook und Twitter. Sie zeigten, dass junge Polizisten und Kriminologen gedanklich viel weiter sind als die deutlich älteren Kongressteilnehmer.

Am Ende gab es Preise und Laudationes, weil der Kongressveranstalter Behördenspiegel einen Zukunftspreis für Master- und Bachelor-Arbeiten zum Thema "Polizeiarbeit in sozialen Netzwerken" ausgelobt hatte. Bei den Master-Themen siegten Thomas-Gabriel Rüdiger und Cindy Ehlers mit ihrer Arbeit Gamecrime und Metacrime, die sich mit dem Cybergrooming in kindlichen Spielwelten wie Habbo Hotel beschäftigten. Was hier tagtäglich passiert, referierte Rüdiger auf dem Kongress-Panel über soziale Netzwerke. Sexuelle Belästigungen sind an der Tagesordnung, dazu werden spielenden Kindern "Spieltaler" angeboten, wenn sie Nacktfotos schicken. Rüdiger berichtete von der Operation "Game Over", mit der versucht wurde, Sexualtäter aus den Spielwelten auszuschließen. Er äußerte Zweifel über den Erfolg und demonstrierte anhand eigener Logs, wie schnell ein spielendes Kind belästigt und genötigt wird.

Helmut Picko vom LKA Nordrhein-Westfalen, Leiter des 100 Personen großen "Kompetenzzentrums Cybercrime", berichtete über Facebook-Fahndungen, nach denen mit Haftbefehl gesuchte Täter nach einer "Open Source Research" binnen zwei Stunden festgenommen werden konnten. Ein weiterer Erfolg: Nach der Ankündigung eines mit Gewaltfantasien verbundenen Suizids in einem Gamer-Forum brauchte seine Truppe mit offener Recherche nur wenige Stunden, bis die Person gefunden und in eine psychiatrische Klinik eingeliefert wurde. Das Meisterstück lieferten die Fahnder nach Angaben von Picko bei den Festnahmen in der BAO "Unknown" ab. Hier ging es gegen anonyme Täter, die ihre IP-Adresse verschleierten, über Tor kommunizierten, in VoIP-Chats Stimmverzerrer einsetzten und IRC-Kanäle in Russland benutzten.

Jeff Penrose von Oracle machte eine andere Facette deutlich. Er zeigte Analysen von Twitter und Facebook, die zum NATO Summit in Chicago zur Überwachung von verärgerten Protestlern angefertigt wurden. Das "anti-soziale Verhalten" twitternder Demonstranten wurde kartographisch umgesetzt und diente der Einsatzleitung als Lagebild. Damit nicht genug, wurden alle Äußerungen mitgeschnitten, die aus Chicago stammten, um rückblickend auf die Ereignisse "potenzielle Zeugen" identifizieren zu können.

Ausgehend von den Forschungen des Composite-Projektes gab Sebastian Denef im Hauptsaal allen Kongressteilnehmern einen unterhaltsamen Überblick (PDF-Datei) der Aktivitäten europäischer Polizeien in Sozialen Netzwerken. Hier sind Großbritannien, die Niederlande und Spanien führend, während Deutschland das Schlusslicht bildet, aber immerhin ein Leuchtturmprojekt vorweisen kann, die niedersächsische Facebook-Fahndung.

Entscheidend sei die Form der Ansprache in sozialen Netzen, erläuterte Denef und demonstrierte mit Beispielen aus den britischen Sommerkrawallen des Jahres 2011, wie unterschiedlich die Polizeien von Manchester und London Twitter benutzten. Manchester twitterte Informationen, während London Härte demonstrierte und den Twitterern mit dem Einsatz von 16.000 Polizisten drohte. Die anschließende Podiumsdiskussion produzierte Beliebigkeiten. Pragmatisch gab sich der britische Polizeiforscher Nick Keane, der auf dem Podium twitterte und dafür schiefe Blicke kassierte.

Die beste Bachelor-Arbeit beschäftigte sich übrigens mit rechtlichen Fragen zur Öffentlichkeitsfahndung der Polizei auf Facebook. Florian Wiegen von der FH für öffentliche Verwaltung Rheinland-Pfalz freute sich neben dem Preisgeld über die Entscheidung des schleswig-holsteinischen Verwaltungsgerichtes, nach der bei Facebook in Sachen Datenschutz irisches Recht gilt. Damit seien die Bedenken der Datenschützer entkräftet, was neue Impulse für die Polizeiarbeit auf Facebook geben könne. (anw)