Opposition fordert Schäuble zur Achtung des Verfassungsgerichts auf

Politiker von FDP und Linken sehen hinter der Kritik des Innenministers am Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts ein gestörtes Verhältnis zum Grundgesetz aufscheinen. Die Exekutive habe sich "daran zu gewöhnen, dass wir unabhängige Richter haben".

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Oppositionspolitiker haben Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) nach dessen jüngster Kritik am Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, Respektlosigkeit gegenüber den obersten Richtern der Republik vorgeworfen. "Diese öffentlichen Maßregelungen sind unangemessen", erklärte FDP-Chef Guido Westerwelle gegenüber der Passauer Neue Presse. Schäuble überschreite hier deutlich seine Kompetenzen. Die Exekutive habe sich "gefälligst daran zu gewöhnen, dass wir unabhängige Richter haben".

Papier hatte vor kurzem durchblicken lassen, dass jede Neufassung des von Karlsruhe gestoppten Luftsicherheitsgesetzes mit Bestimmungen über den Abschuss von Passagierflugzeugen am Bundesverfassungsgericht scheitern würde. Schäuble verbat sich daraufhin in einem Interview am Wochenende jede Einmischung und betonte zugleich, dass alle grundrechtlich geschützten Bereiche endlich seien.

Derlei Äußerungen bringen die rechtspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, auf die Palme. Schäuble verfolgt ihr zufolge "mit seinen permanenten Forderungen die Absicht, das höchste deutsche Gericht zu schwächen". Die Regelung des Abschusses von entführten Passagierflugzeugen ist dabei nur ein Beispiel. "Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber in zahlreichen Urteilen zum Schutz der Menschenwürde und Privatsphäre klare Grenzen gesetzt." Derlei Entscheidungen könnten manchen Politikern nicht gefallen, da sie den Grundrechtsschutz gestärkt hätten. Diese Linie des Bundesverfassungsgerichts sei "heute jedoch notwendiger denn je" und müsse daher außerhalb der Parteipolitik und des Wahlkampfes stehen.

Für Petra Pau, stellvertretende Vorsitzende der Fraktion der Linken im Bundestag, scheint hinter "der Attacke" des Innenministers auf den Verfassungsrichter "Schäubles gestörtes Verhältnis zum Grundgesetz" auf. Der CDU-Politiker habe das Grundgesetz mehrfach als nicht mehr zeitgemäß bezeichnet. Dies sei "ein seltsames Gebaren für einen obersten Verfassungsminister". Die Piratenpartei Deutschland rief die CDU insgesamt "zur Besinnung auf den demokratischen Rechtsstaat" auf. Schäubles Ziel sei die Vermengung von Friedens- und Kriegsrecht und der Übergang von einem Rechts- zu einem Präventivstaat, in dem die bloße Möglichkeit einer Straftat bereits zu Sanktionen für Betroffene führt. Es sei an der Zeit, dass der Innenminister zurücktrete.

Der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach stellte sich dagegen hinter Schäuble. Ihn habe die Aussage Papiers "auch selber überrascht", sagte der stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Es sei problematisch, wenn man das Ergebnis eines möglichen Rechtsstreites vorwegnehme über eine Vorschrift, die es noch gar nicht gibt. "Herr Papier weiß nicht, Herr Schäuble weiß nicht, wir alle wissen nicht, welche Intensität terroristische Angriffe haben könnten." Die erneute Arbeit am Luftsicherheitsgesetz sei daher "eine Frage der Vorsorge, die wir hier treffen". Beschwichtigend fügte Bosbach an: Wenn der Bestand des Staates nicht gefährdet sei, könne die geplante Vorschrift zum Abschuss von Passagierjets "ja auch gar nicht zur Anwendung kommen". Generell "verteidigt keiner die Verfassung mehr als der Bundesinnenminister".

Noch für diskussionswürdig hält der CDU-Innenpolitiker aber den Vorstoß aus dem Bundesinnenministerium, den Abhörschutz für Berufsgeheimnisträger einschließlich von Seelsorgern, Strafverteidigern oder Abgeordneten im Rahmen der Terrorabwehr komplett abzuschaffen. Nach dem heftigen brieflichen Schlagabtausch zwischen Schäuble und Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) ist dazu aus dem Bundesinnenministerium derzeit vor allem zu hören, dass es sich allein um einen Referentenentwurf handle. Dieser sei zwar bereits an andere Ressorts gegangen, Schäuble habe ihn aber trotzdem noch nicht gebilligt. "Aus den Ländern, nicht etwa vom Schreibtisch Wolfgang Schäuble, kam der Vorschlag", reichte Bosbach nun den Schwarzen Peter weiter. Zugleich versetzte er sich in die Denkstrukturen der Unterstützer des heftig umkämpften Ansatzes. Wenn es schon eine Auskunftspflicht gebe für ansonsten zeugnisverweigerte Personen, dann müsse doch auch die Möglichkeit offen stehen, zur Abwehr schwerster Gefahre, Abhörmaßnahmen vorzunehmen, "wenn diese Personen der Auskunftspflicht nicht nachkommen".

Aus seiner eigenen Warte erläuterte Bosbach, dass es bei der Initiative zur weiteren Aufbohrung des Entwurfs für die Novelle des Gesetzes für das Bundeskriminalamt (BKA) ja "nicht um Strafverfolgung geht". Vielmehr stehe die "Abwehr schwerster Gefahren" im Fokus. Dabei müsse der Staat eine Güteabwägung vornehmen. "Auf der einen Seite haben wir das Recht zur Zeugnisverweigerung und das hohe Gut des vertraulichen Gespräches. Auf der anderen Seite haben wir die staatliche Schutzpflicht für das Leben", führte der CDU-Politiker aus. Er habe allerdings auch Bedenken, was die Formulierung angeht. Seines Erachtens müsste eine solche Gefahr schon "ganz konkret" und "gegenwärtig" sein. Allein ein Warnhinweis aus dem Ausland, es könnte ein Attentat in Deutschland geplant sein, dürfe etwa nicht als Rechtfertigung für Abhörmaßnahmen bei zur Zeugnisverweigerung berechtigten Personen dienen.

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:

(Stefan Krempl) / (jk)