Heizofen in der Fabrikhalle

Maschinen verbrauchen immer noch zu viel Energie. Dabei gibt es zahlreiche Maßnahmen, um ihren Stromhunger zu zügeln. Vor allem im Zusammenspiel der Komponenten einer Maschine und ganzer Produktionsanlagen steckt noch viel Einsparpotenzial.

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Von
  • Bernd Müller

Maschinen verbrauchen immer noch zu viel Energie. Dabei gibt es zahlreiche Maßnahmen, um ihren Stromhunger zu zügeln. Vor allem im Zusammenspiel der Komponenten einer Maschine und ganzer Produktionsanlagen steckt noch viel Einsparpotenzial.

Falten, schweißen, schneiden, falten, schweißen, schneiden – die Verpackungsmaschine spuckt Schokoriegel so schnell aus, dass das Auge kaum folgen kann. „Und das ist nur der Demo-Modus“, sagt Thomas Hammermeister. Läuft die Maschine auf Normalgeschwindigkeit, verschwimmen die Schokoriegel zu einem bunten Band, das in atemberaubender Geschwindigkeit aus der Maschine schießt. Die Verpackungsmaschine des italienischen Maschinenbauers ACMA ist ein Paradebeispiel, wie Hammermeisters Arbeitgeber – Schneider Electric – Anlagen auf Energieeffizienz trimmen kann. Für die Italiener hat das Unternehmen in Ratingen die Verpackungsmaschine unter die Lupe genommen und an zahlreichen Stellhebeln gedreht. Ergebnis: 30 Prozent Energieersparnis.

30 Prozent – so viel ist eigentlich immer drin. Etwa wenn man herkömmliche Asynchronmotoren mit fester Drehzahl mit Frequenzumrichtern ausstattet, um die Bewegung eines Arbeitsschritt an das tatsächlich erforderliche Tempo anzupassen. Oder wenn man bei einer pneumatischen Hebeeinrichtung in der Halteposition die Druckluft abschaltet (Verweis auf SPS-Heft). Da 37 Prozent der Treibhausgase in Deutschland auf das Konto der Industrie gehen, könnten solche Einsparungen einen enormen Beitrag zum Klimaschutz leisten.

Dass das noch zu selten geschieht, ist kein böser Wille. Häufig ist es Unwissenheit. Wie viel Energie braucht ein bestimmter Bearbeitungsschritt in einer Maschine? Wenn man das nie gemessen hat, kommt man auch nicht auf die Idee, dass hier Einsparpotenziale schlummern. Hauptsache, es funktioniert und die Kostenkalkulation stimmt. Misst man, was eine Maschinenbewegung tatsächlich an Energie verbraucht, ist das Ergebnis mitunter überraschend.

Beispiel Verpackungsmaschine: Die Experten von Schneider Electric haben bei der ACMA-Schlauchbeutelmaschine, wie sie im Fachjargon heißt, jede Bewegung separat unter die Lupe genommen. Hundert Einzelbewegungen – der Fachmann spricht von Achsen – sind nötig, um den Schokoriegel in seine Schutzhülle zu befördern. Schokoriegel positionieren, Folie mehrfach falten, Messer absenken und seitwärts bewegen, jede Teilbewegung braucht ein wenig Energie und zwar in der Regel umso mehr, je schneller die Bewegung ausgeführt wird. Beschleunigen bedeutet Energieverbrauch, Abbremsen bedeutet Energiegewinn – theoretisch. Denn der Strom, den der Motor beim Abbremsen erzeugt, wird meist auf so genannte Bremswiderstände geleitet, also als Wärme abgegeben. „Ein Unsinn“, kritisiert Hammermeister. Stattdessen solle man die Bremsenergie lieber für die Beschleunigung einer anderen Bewegung nutzen.

Die muss allerdings im selben Moment stattfinden. Und genau das ist der Haken. Maschinenbau – oder genauer gesagt die Mechanik der Bearbeitung – und die Automatisierung – die Steuerung der Maschine mittels Software – waren früher getrennte Disziplinen. Erst wurde die Maschine entworfen, dann wurde sie automatisiert. Bewegungsabläufe waren nicht aufeinander abgestimmt, Bearbeitungsschritte warteten auf andere, brauchten aber trotzdem Strom. Diese Herangehensweise ist von gestern, vor allem wenn man Energie sparen will. Heute ist Co-Engineering gefragt, also eine enge Abstimmung beider Disziplinen.

Wie bei der ACMA-Verpackungsmaschine. Dort wurden die Bewegungsabläufe so ineinander verschachtelt, dass zum Beispiel beim Abbremsen einer schweren Achse gleichzeitig eine leichte Achse beschleunigt und diese die Bremsenergie nutzen kann. Die elektrischen Verstärker für die Antriebe sind dafür zu einem Energiepool zusammengeschaltet, Kondensatoren dienen zusätzlich als Kurzzeitspeicher für den Strom. Reicht die Zeit, laufen manche Bewegungen auch langsamer als früher, denn eine geringere Beschleunigung spart ebenfalls Energie. Unterm Strich brachte die Optimierung der Antriebe zehn Prozent Energieeinsparung. Und weitere satte 20 Prozent weniger Energie verbraucht die Maschine, weil der Lüfter, der die Verpackungsfolie auf das Transportband saugt, überdimensioniert war. Summa summarum: 30 Prozent Energieeinsparung.

Den Trend zum Co-Engineering spürt man auch bei EDAG-Production-Solutions. Der Engineering-Dienstleister in Fulda unterstützt Betriebe – vor allem aus der Automobilindustrie – bei der Automatisierung ihrer Produktionslinien. Vor zehn Jahren wurde zuerst die Maschine konstruiert und dann die Steuerung programmiert. „Man hat sich sozusagen erst auf der Baustelle getroffen“, erinnert sich Dirk Keller, Leiter Konzeptengineering bei EDAG-Production-Solutions. Das sei heute anders: Eine Maschine werde bereits virtuell in Betrieb gesetzt, noch bevor der Grundstein zur Werkshalle gelegt sei, bei EDAG-Production Solutions nennt man das mechatronisches Engineering. „Das bringt einen Zeitvorteil von bis zu 50 Prozent“, verspricht Keller. Insbesondere wenn mehrere Automodelle auf demselben Band laufen sollen, spare das mechatronische Engineering Anlaufkosten.

Derzeit sind die EDAG-Experten dabei, die virtuellen Modelle um den Faktor Energieeffizienz zu erweitern. Dann kann man schon vor der Inbetriebnahme anhand von bewegten Massen oder Bewegungsprofilen der Werkzeuge in den Maschinen kalkulieren, wie viel Energie jeder Arbeitsschritt braucht. Zwei bis drei Prozent Energieeinsparung müssen die Planungsleiter der Automobilhersteller üblicherweise pro Jahr nachweisen. Anfangs ging das noch durch Maßnahmen wie Reduzierung der bewegten Massen oder Einsatz effizienter Antriebe auf Zellenebene. „Aber irgendwann kommt man nicht mehr darum herum, sich den gesamten Fertigungsprozess anzuschauen“, sagt Keller. Die Einsparungen durch eine ausgeklügelte und besser an die Mechanik angepasste Automatisierungstechnik beziffert der Zentralverband der Elektrotechnik- und Elektronikindustrie auf rund zehn Prozent des gesamten Energieverbrauchs der Industrie.

Doch davon sind kleine und mittelständische Unternehmen weit entfernt. Einer der die Nöte der Betriebe aber auch deren Einsparpotenziale kennt wie wenig andere, ist Volker Schiek. Der Schwabe war 23 Jahre in der mittelständischen Industrie tätig, davon viele Jahre als Entwicklungsleiter. Seit zwei Jahren leitet er das Landesnetzwerk Mechatronik BW, das Maschinenbauer in Baden-Württemberg unterstützen soll, Trends zu erkennen und zu nutzen. Der wichtigste Trend ist die Energieeffizienz. Leider hätten viele Firmen noch nicht verstanden, wie man daraus Geschäftsmodelle mache, klagt Schiek. Doch genau das erwarteten Kunden in aufstrebenden Märkten in Asien und Afrika, wie er auf seinen Auslandsreisen festgestellt habe. Und so sehe er sich ein bisschen als Missionar im eigenen Land.

Schiek geht in Betriebe und misst mit den Konstrukteuren an neuen Maschinen den Energieverbrauch bis ins Detail. Häufig ist der Antrieb mehrfach überdimensioniert, manchmal wird zu viel Masse bewegt oder die Stehzeiten zwischen der Bearbeitung aufeinander folgender Werkstücke sind zu lang. „Wir bauen keine Werkzeugmaschinen, sondern Öfen“, sagt Schiek, denn nur 30 Prozent der Energie werde für die eigentliche Aufgabe verwendet, der große Rest heize die Halle. Eines der Mitgliedsunternehmen im Landesnetzwerk, ein Betrieb mit 400 Mitarbeitern, heizt seine Werkshalle nur mit der Maschinenwärme – sogar wenn es draußen minus 15 Grad Celsius hat. Das ist bei strengem Frost angenehm, sonst ist es aber reine Energieverschwendung, vor allem im Sommer, wenn die stromhungrige Klimaanlage gegen die Wärmemassen aus den Maschinen ankämpft.

Weil Änderungen an einer neuen, aber bereits serienreifen Maschine zu teuer wären, werden selbst einfache Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz erst mal nicht umgesetzt. Doch steter Tropfen höhlt den Stein: Bei der nächsten Maschinengeneration erinnern sich die Konstrukteure an den Besuch ihres Kollegen vom Landesnetzwerk und nutzen die neuen Erkenntnisse.

Erste Beispiele zeugen von Schieks Erfolgen: Ein Greifroboter spart 30 Prozent elektrische Energie, weil er seine Bewegungen nun sanft ausführt und sein Tempo an den Materialfluss anpasst. Vorher schluckten seine rasanten Bewegungen mit abruptem Beschleunigen und Abbremsen eine Menge Energie, danach stand er eine halbe Minute still und verbrauchte mangels Stand-by immer noch Strom. Oder der neue bewegliche Tisch eines Werkzeugmaschinenherstellers, auf dem die Bleche hin und her gefahren werden. Er wiegt nur noch die Hälfte und bewegt sich dafür doppelt so schnell – bei reduziertem Energieverbrauch.

Solche Beispiele sind erfreulich, aber zu selten. Was muss geschehen, damit solche Maßnahmen in der Breite der Branche Einzug halten? Schiek: „Die Maschinenbauer müssen in standardisierten Baukastensystemen mit optimierter Energieeffizienz denken. Und in jeder Anlage muss künftig ein Modul stecken, das den Energieverbrauch überwacht.“ Auch ein Energiesparsiegel für Maschinen analog zu den Energieeffizienz-Labels von Kühlschränken und Waschmaschinen sei sinnvoll. Doch mit diesem Vorschlag wurde Schiek zurückgepfiffen. „Die Vergleichbarkeit von Werkzeugmaschinen, die für so eine Klassifizierung nötig wäre, ist überhaupt nicht möglich“, meint etwa Carl Martin Welcker, Inhaber des Kölner Maschinenbauers Alfred Schütte. Am Ende wird es wohl auf eine freiwillige Selbstverpflichtung hinauslaufen. Vielleicht liegt das Zögern auch daran: Im Vergleich zu Maschinen etwa aus Japan verbrauchen deutsche Maschinen zum Teil mehr Energie, weil sie komplexer sind und Spezialaufgaben erledigen. Der Blick auf den Stromzähler zeigt dann nur die eine Seite der Medaille, was die Maschine dem Kunden nützt, bleibt unberücksichtigt.

Ein Anreiz, sich mit dem Thema Energieeffizienz zu beschäftigen, ist die Norm ISO 50001. Ein Unternehmen, das sich zertifizieren lassen will, muss einen Energiemanager beschäftigen, der laufend Einsparpotenziale aufspürt. Wie hoch diese Einsparung sein muss, legt die Norm nicht fest, auch ist die Zertifizierung freiwillig. Sie ist allerdings Voraussetzung, wenn der Betrieb die umstrittene Befreiung von der Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz haben möchte – die jeder Betrieb beantragen kann, der pro Jahr mehr als eine Gigawattstunde Energie verbraucht. Auch wenn ISO 50001 mehr auf Freiwilligkeit als auf Gesetzespflicht setzt, stellt Thomas Hammermeister von Schneider Electric fest: „Immer mehr Betriebe lassen sich zertifizieren, weil sie die Einsparpotenziale bei der Energie in Kostenersparnis umsetzen wollen.“

(jlu)