Messen statt schätzen

Betriebe, die Energie sparen wollen, müssen erst mal ihren Verbrauch kennen. Datenbanken mit Verbrauchskennzahlen und Simulationen helfen, Energiefressern auf die Spur zu kommen.

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Von
  • Bernd Müller

Betriebe, die Energie sparen wollen, müssen erst mal ihren Verbrauch kennen. Datenbanken mit Verbrauchskennzahlen und Simulationen helfen, Energiefressern auf die Spur zu kommen.

Der Energieverbrauch von Fabrikgebäuden ist heute relativ gut bekannt. Dagegen gibt es auf Produktionsebene kaum genaue Daten, weil der Verbrauch so detailliert nicht gemessen wird. Bisher war es nicht üblich, einzelne Maschinen mit Stromzählern auszurüsten und die Daten zentral auszuwerten. So gibt es immer noch Betriebe, wo Zählerstände von Hand in ein Papierformular eingetragen werden, abgesehen davon, dass häufig ein Zähler den Verbrauch der ganzen Werkshalle misst. Energiekosten sind damit Gemeinkosten, die aufs ganze Unternehmen umgelegt werden und nicht dem Verursacher zugeordnet werden können. Energieschleudern lassen sich so nicht entlarven. Und schon gar keine Kalkulationen anstellen, mit welchen Maßnahmen man wie viel einsparen kann.

Diese Lücke hat das Werkzeugmaschinenlabor der RWTH Aachen geschlossen. Im Projekt Ewotek hat das Labor die Energieflüsse in zwei typischen Maschinen bilanziert. Ergebnis: Hilfsaggregate wie die Kühlschmiermittelzufuhr und -aufbereitung, das Hydrauliksystem oder die Kühlung verbrauchen zusammen mehr als zwei Drittel der Energie. So wird die Pumpe für das Kühlschmiermittel meist auf maximaler Fördermenge betrieben, wird weniger benötigt, fließt ein Teil über einen Bypass zurück in den Tank. Eine Hochdruckpumpe mit variabler Drehzahl fördert dagegen immer nur so viel Kühlschmiermittel, wie die Bearbeitung des Werkstücks gerade benötigt. Einsparung: bis zu 45 Prozent, beim Hydraulikaggregat sogar bis zu 60 Prozent.

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Die gesunde Fabrik

„Wo bleibt der Mensch?“ Mit dieser Frage überraschte Lutz Helmig die Planer des Engineeringdienstleisters EDAG Production Solutions. Helmig – Eigentümer der Beteiligungsgesellschaft ATON GmbH, zu der auch die EDAG Production Solutions gehört – war es ein Dorn im Auge, dass in deutschen Unternehmen durch Fehlzeiten ihrer Mitarbeiter jährlich 40 Milliarden Umsatz verloren gehen. In einem ehemaligen Unternehmen aus dem Aton-Verbund initiierte er ein Projekt mit dem Titel „Leise, hell, sauber – die gesunde Fabrik“. Mit Erfolg: Die krankheitsbedingten Fehlzeiten sanken deutlich und der Rohertrag pro geleistete Arbeitsstunde stieg um satte 31 Prozent – dank einfacher Maßnahmen, wie einer besseren Beleuchtung oder Schallschluckern an lauten Maschinen.


Das Konzept hat das Unternehmen inzwischen auch in erste Betriebe seiner Kunden exportiert und auf Büros ausgeweitet. Künftig sollen solche Aspekte auch in der Planungssoftware Berücksichtigung finden, mit der das Unternehmen Fabriken seiner Kunden entwirft und automatisiert. Neben Kennzahlen wie dem Materialfluss und den Stückkosten und demnächst auch Energieverbrauchskennzahlen soll sich so künftig etwa erkennen lassen, wie viel Lärm eine Maschine macht oder ob das Licht an einem bestimmten Arbeitsplatz ausreicht.

Doch um diese Einsparpotenziale wirklich ausschöpfen zu können, wäre eine Bestückung der Maschinen mit mehr Varianten als bisher nötig. Denn in der Regel legen die Hersteller ihre Werkezugmaschinen so üppig aus, dass sie für möglichst viele verschiedene Kunden und Teile geeignet sind. Schrumpft man die Aggregate, schmälert das auch das Einsatzspektrum der Maschine beziehungsweise erhöht die Zahl der Bauvarianten und der Sonderanfertigungen. „Die Komponenten werden häufig größer dimensioniert, um allen Anforderungen der Kunden genüge zu leisten, ohne die Varianz in den Maschinenkomponenten ins Unermessliche zu steigern“, sagt Thomas Dorn, Entwicklungsleiter bei der Gebr. Heller Maschinenfabrik in Nürtingen.

Doch solche Entscheidungen fußen meist auf Vermutungen. Sylvia Wahren vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung will dagegen Entscheidern Fakten an die Hand geben. Sie und weitere Kollegen des Instituts haben TEEM (Total Energy Efficiency Management) entwickelt, ein System zur ganzheitlichen Optimierung des Energieverbrauchs in der Produktion. Ziel: Das Management soll verlässliche Informationen bekommen, wo es lohnende Einsparmaßnahmen gibt. TEEM erfasst parallel zu Fertigungskennzahlen wie Stückzahlen und Kosten auch den so genannten Energiewertstrom, also eine Maßzahl, die den Werkstücken in jedem Fertigungsschritt einen Energiewert samt Kosten aufschlägt. Bisher hieß es immer: Sparsame Motoren einbauen und Anlagen in Stand-by versetzen, wenn sie gerade nichts zu tun haben. „An den eigentlichen Prozess hat man sich nicht herangetraut“, so Wahren.

Das hat das IPA geändert, zumindest für die Prozesse Lackieren und Kunststoffspritzgießen, für die das Institut detaillierte Datenbanken mit Energieverbräuchen einzelner Prozessschritte angelegt hat. So detailliert sogar, dass variable Durchlaufgeschwindigkeiten oder schwankende Temperaturen in der Werkshalle berücksichtigt werden. Was passiert, wenn man die Auslastung erhöht, etwa wenn man statt drei gleicher Maschinen nur zwei laufen lässt, dafür aber rund um die Uhr? Was bringt die Wärmerückgewinnung in der Lackieranlage? Und wie schnell amortisiert sich diese Maßnahme? Die Simulation liefert Antworten auf diese Fragen und animiert das Management dazu, einfach mal mit diesen Parametern zu spielen. Man kann sogar voreinstellen, in welcher Zeitspanne sich die Investitionen ins Energiesparen amortisieren sollen. Eineinhalb bis zwei Jahre ist für die meisten Unternehmen die Schmerzgrenze. Die Simulation spuckt aus, welche Maßnahmen dann sinnvoll sind. Mittelfristig können so 20 bis 30 Prozent Energie eingespart werden.

Bei einem schwäbischen Hersteller von Aufsitzkehrmaschinen hat das Team vom Fraunhofer IPA an einer Kunststoffspritzgussanlage die Energieverbräuche gemessen und durchgerechnet, was Einsparmaßnahmen bringen würden. Nicht alle Maßnahmen sind sinnvoll. So hat das IPA-Team testweise die Geschwindigkeit der Werkzeugbewegung an einer Maschine gesenkt. Denn die Kunststoffgehäuse wiegen teilweise etliche Kilogramm und entsprechend schwer sind die Werkzeuge zum Spritzgießen. Theoretisch müsste eine langsamere Bewegung weniger Energie verbrauchen. „Falsch“, sagt Sylvia Wahren, „wegen der höheren Reibung hat der Energieverbrauch sogar noch zugenommen.“ Beim Energieverbrauch spielt einem der gesunde Technikverstand oftmals einen Streich, hier zählen also nur Messungen. Die man aber nicht übertreiben sollte, so Wahren. Viele Unternehmen wollten nämlich nur ihren Lastverlauf glätten, um den Bezug teuren Spitzenstroms aus dem öffentlichen Netz vermeiden zu können.

Das geschickte Management von Energie ist vor allem in Betrieben mit hohem und schnell wechselndem Stromverbrauch wichtig. Kommt es zu Engpässen, muss die Leitstelle Last abwerfen, also Anlagen vorübergehend abschalten. Früher geschah das von Hand nach Erfahrungswerten, heute gibt es dazu automatische Steuerungen wie das Efficient Network- and Energy Automation System von Siemens. Jeder Last (also jedem Stromverbraucher) im Werk wird vorab eine Priorität zugeordnet. Innerhalb einer Sekunde berechnet die Simulation ein Szenario, welche Lasten man abschalten müsste, wenn in den nächsten Sekunden etwa ein Generator ausfallen würde – wobei die Lasten mit niedriger Priorität zuerst vom Netz gehen, also zum Beispiel Klimaanlagen oder andere Nebenaggregate. Die Steuerung wirft nun nur genau so viel Last ab, wie für die Stabilisierung gerade nötig ist. Das puffert Ausfälle von Generatoren ab und stellt sicher, dass sensible Prozesse, etwa chemische Reaktionen, nicht unterbrochen werden. Und es senkt die Bezugspreise für Strom aus dem öffentlichen Netz, was indirekt wiederum dazu führt, dass Kraftwerkskapazität gespart und der Ausstoß an Kohlendioxid gesenkt wird.

Fabrikplanungsprogramme müssen deshalb die Energieflüsse als Kennzahl zunehmend in ihre Simulationen einbeziehen. So ist DELMIA von Dassault Systèmes in der Lage, aus Bewegungsabläufen in Maschinen und Förderanlagen auf den Energieverbrauch zu schließen. Die Verbräuche können in einer Datenbank hinterlegt werden, zum Teil basieren sie auf Erfahrungswerten, immer häufiger aber auch auf Messwerten, die direkt in der Maschinensimulation erhoben werden. Bei energieintensiven Prozessen wie dem Lackieren oder dem Pressen von Metallen gehe die Simulation hinunter bis in den einzelnen Motor, nur so seien weitere Effizienzsteigerungen zu erzielen. „Wir optimieren nicht mehr nur Teile pro Zeit oder die Stückkosten sondern auch die Energieeffizienz“, sagt Joachim Bauer, Vertriebsdirektor für Zentraleuropa bei Dassault Systèmes.

Keine hellseherischen Fähigkeiten braucht man, um vorauszusagen, dass die Stromkosten auch für die Industrie steigen werden, etwa weil künftig die Ausnahmeregelung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes strikter gehandhabt wird. Die Industrieverbände malen vorsichtshalber schon mal das Schreckgespenst der Produktionsverlagerung in Billiglohnländer und den Verlust von Arbeitsplätzen an die Wand. Doch Unternehmen, die Ernst machen mit der Energieeinsparung, brauchen steigende Strompreise nicht zu fürchten, sie können im Gegenteil sogar Gewinn daraus ziehen. Das sieht auch der Zentralverband der Elektrotechnik- und Elektronikindustrie so. Mittels intelligenter Regel- und Automatisierungstechnik ließen sich erhebliche Einsparungen für Betriebe und Umwelt erzielen, so der Verband.

Ein Beispiel ist die Zementherstellung, einer der energieintensivsten Prozesse überhaupt. Wenn Gasanalysatoren den Prozess überwachen, kann der Ofen zum Brennen mit weniger Energie betrieben werden. In über 200 Öfen hat das zu einer Senkung der Kohlendioxidemissionen von 20 Millionen Tonnen geführt. Der ZVEI verspricht: „Die Automatisierung hilft, Arbeitsplätze auch in energieintensiven Industrien in Deutschland zu halten.“

(jlu)