Gutachten: Der langsame Abschied der Grünen von der Kulturflatrate

Eine von der Oppositionsfraktion in Auftrag gegebene Studie bezeichnet eine Pauschalgebühr, um Tauschbörsen komplett zu legalisieren, als verfassungsrechtlich zulässig und prinzipiell attraktiv, verweist aber auf Umsetzungshürden.

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Ein von der Bundestagsfraktion der Grünen beauftragter Gutachter bezeichnet eine Kulturflatrate, mit der Online-Tauschbörsen für den privaten Gebrauch legalisiert werden sollen, als verfassungsrechtlich zulässig. Auch sei es ein prinzipiell attraktives Modell, um Kreative besser zu entlohnen. Gleichzeitig meint der Göttinger Medienrechtler Gerald Spindler in seinem Gutachten zu "rechtlichen und ökonomischen Machbarkeit einer Kulturflatrate" aber auch, dass einem solchen Modell hohe Hürden entgegenstehen.

Pauschalvergütungen im Gegenzug zur Freigabe privater Kopien bezeichnet Spindler als erfolgreichen Ansatz. Die Freigabe zusammen mit einer Geräteabgabe habe sich in den meisten europäischen Ländern durchgesetzt. "Bei ineffektiver individueller Rechtsdurchsetzung" könnten Verfahren "aus rein ökonomischen Gründen als bessere Lösungen in Betracht kommen können". Dem "geistigen Eigentum" werde nicht mangelnder Respekt entgegengebracht, es werde lediglich ein Problem effizient bewältigt. So könnten die Interessen von Urhebern, Verwertern und Nutzern gut ausgeglichen werden.

Geschäftsmodelle der Kreativwirtschaft sieht Spindler nicht zwangsläufig durch eine Kulturflatrate bedroht. Ein illegaler Download müsse nicht gleich schaden. Niemand könne garantieren, "dass bei möglicher Kontrolle tatsächlich entgeltlich das Musikstück gekauft worden wäre". Zudem bestätigten fast alle Studien, dass Künstler und einzelne Werke auch von Promotionseffekten profitieren können. Schärfere Sanktionen hätten sich dagegen häufig als "suboptimale Strategie" erwiesen.

Eine Tauschlizenz ließe sich einfach im Urheberrechtsgesetz verankern, schreibt Spindler. Allerdings mache die EU-Urheberrechtsrichtlinie feste Vorgaben zum Upload, hier gebe es keine Ausnahmen für Privatkopien. Auch erlaube sie nicht "kollektive Zwangslizenzen auf mitgliedsstaatlicher Ebene". Wie in einer 2009 von den Grünen veranlassten erste Studie zur Kulturflatrate hält es Spindler daher für nötig, auf eine Änderung der Copyright-Richtlinie hinzuarbeiten.

Für die Höhe der Monatspauschale pro Internetanschluss legt Spindler mehrere Varianten vor. Würde man das Lizenzanalogiemodell heranziehen, das die Verwertungsgesellschaften für die Geräteabgabe auf Basis von Spielstunden verwenden, ergäbe sich für Musikstücke, Filme und E-Books ein Abgabenpreis von 14,73 Euro monatlich inklusive Zweitverwertungsabzug. Rechnete man letzteren heraus, wären 58,91 Euro pro Monat zu berappen. Nähme man einen geringeren urheberrechtlich relevanten Anteil in Höhe von 15 Prozent am Datenstrom an, käme man auf eine Monatspauschale von 8,85 Euro mit Zweitverwertungsabschlag.

Ginge man davon aus, dass Filesharing Kaufvorgänge nicht im Verhältnis 1:1 ersetzt, sinken die Gebühren. Selbst mit Administrationskosten sei von einem Betrag von 32,12 Euro jährlich und 2,68 Euro monatlich pro Internetnutzer auszugehen. Pro Anschluss läge die Pauschale bei 62,11 Euro jährlich, monatlich bei 5,18 Euro. Bei einem "Mischmodell" kommt Spindler insgesamt auf einen monatlichen Abgabenpreis von 26,97 Euro. Die Abgabe sollte nach den Vorbildern der Verwertungsgesellschaften anhand der Nutzungshäufigkeit der Werke verteilt werden.

Die vom Chaos Computer Club (CCC) favorisierte freiwillige Vergabe von "Kulturwertmarken" je nach dem, welchen Wert ein Nutzer persönlich einem Inhalt beimisst, stößt Spindler zufolge dagegen auf zahlreiche Probleme. Nicht der tatsächliche Konsum würde damit erfasst, sondern nur die subjektive Wertschätzung eines bestimmten Inhaltes, obwohl auch andere "minderwertige" Werke ebenso rezipiert würden. Auch aus verfassungsrechtlichen Gründen müsse die Vergütung der Urheber an der tatsächlichen Werknutzung orientiert sein.

Die Grünen halten es nun nicht für realistisch, dass die von ihnen immer wieder verteidigte Tauschlizenz "in der nächsten Wahlperiode" umgesetzt wird, auch wenn andere Forscher längst für einen Praxistest plädieren. Sie wollen aber die "Diskussion über ein Pauschalvergütungsmodell" weiterführen und durch die präsentierten Daten fachlich untermauern. Kurzfristig wollen sich die Grünen zunächst darauf konzentrieren, Abmahnunwesen einzudämmen und das Urhebervertragsrecht zu reformieren. (anw)