enGAGE: YouTube als Untergang und Chance

Bei einer Veranstaltung in der Kölner Fachhochschule zeigte sich am Freitag: YouTube wird von der Musikern als Übel, von Verwertern eher als Chance gesehen.

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Von
  • Torsten Kleinz

Der Gesprächs- und Arbeitskreis Geistiges Eigentum (enGAGE) will den Dialog zwischen Künstlern, Verwertern und Politik im Sinne der Urheber fördern. Bei einer Veranstaltung in der Kölner Fachhochschule zeigte sich am Freitag: YouTube wird von der Musikern als Übel, von Verwertern eher als Chance gesehen. Ob Filesharing noch ein wesentliches Problem ist, sorgte für Kontroversen. Vertreter der Musikindustrie forderten die Einführung eines Warnmodells.

Dass die Urheberrechtsdebatte kontrovers ist, bewies Jule Neigel, die als Musikerin und stellvertretendes Aufsichtsratsmitglied der GEMA an der Veranstaltung teilnahm. Sie hatte vor allem einen Schuldigen für die Misere der Kreativen im Musikgeschäft ausgemacht: das Videoportal YouTube, das von den Leistungen der Musiker lebe, aber nichts abgebe. "Da kommen Milliarden zusammen und die fließen alle in die Kassen von Google", beklagte sich die Musikerin. So habe sie ein Video eines ihrer Konzerte auf der Plattform gefunden, das mit Werbung versehen war [-–] nachdem sie ihre Ansprüche angemeldet hatte, habe sie jedoch kein Geld erhalten. Sie forderte den Gesetzgeber auf, das Telemediengesetz so zu ändern, dass Plattformen wie YouTube direkt haftbar seien. Zudem beklagte sie, dass die für viele Künstler wichtigen Auszahlungen der Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL) in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen seien.

Der Fraktionsvorsitzenden der Piratenpartei im Landtag Nordrhein-Westfalen Joachim Paul stimmte dem Ziel zu, dass die Einkünfte der Urheber gesichert werden müsste und forderte ebenfalls, dass sich Plattformen wie YouTube daran beteiligen sollten. "Es kann nicht im Irgendjemandes Interesse sein, dass die Produzenten künstlerischer Güter leer ausgehen", sagte Paul. Doch selbst vorsichtige Kritik des Politikers an der Verwertungsgesellschaft GEMA wurde von Neigel scharf zurückgewiesen.

Doch die Einkommensverluste von Künstlern wie Auftragskomponisten sind keineswegs nur auf das Internet zurückzuführen. In Köln berichtete der auch als Filmkomponist tätige Helmut Zerlett, dass Auftraggeber die Künstler zu immer ungünstigeren Bedingungen beschäftigten und sich dabei beispielsweise den Verlagsanteil an der Verwertung der Musikrechte überschreiben ließen. Doch dieses Problem sei nicht einfach zu adressieren. "Wir müssen vorsichtig sein, weil wir in enger Symbiose mit unseren Verwertern leben", erklärte Komponist Matthias Hornschuh.

Vertreter der Musikindustrie zeigten sich verhalten zufrieden mit der derzeitigen Entwicklung: "Wir mussten massive Umsatzverluste hinnehmen, haben jetzt aber endlich den Turnaround geschafft", sagte Jörg Koshorst vom Berliner Label Valicon. So sorgten legale Dienste wie iTunes und Streaming-Plattformen wieder für steigende Umsätze. Doch angesichts der angespannten Finanzlage sei zum Beispiel die Nachwuchsförderung stark zurückgefahren worden. "Dass eine Band mit vier Leuten von einem ersten Plattenvertrag leben können, kommt heute nicht mehr so vor", sagte Kohorst. Die Musiker müssten sich um Konzerte bemühen oder nebenbei jobben.

Außerhalb von Deutschland stellt auch Youtube eine zunehmend wichtige Einnahmequelle dar, wie Berny Sagmeister von EMI Music erklärte: "Wir Musiclabels haben bereits seit 2007 Verträge mit YouTube." Sein Konzern sei hoch erfreut, sollten sich GEMA und YouTube endlich einigten. Doch alleine von werbefinanzierten Angeboten könne die Musikindustrie nicht leben. Hier setzt die Branche ihre Hoffnungen auf Streaming-Portale, die Kunden für einen monatlichen Pauschalbetrag Zugriff auf Millionen Titel gewähren. Gerrit Schumann, Vorstandsvorsitzender des Kölner Streaming-Anbieters Simfy sieht sein Geschäftsmodell als entscheidend, um die zahlende Kundschaft zu vergrößern: "Wir haben weltweit etwa 200 bis 300 Millionen Menschen, die für legale Dienste zahlen." Diese Zahl wolle man auf eine Milliarde steigern. Preissteigerungen seien aber mittelfristig nicht ausgeschlossen.

Während sich alle Beteiligte einig waren, dass Künstler von ihrer Kunst leben können sollten, gab es grundsätzlichen Streit darüber, wie man diesen Zustand herstellen könne. Der enGAGE-Vorsitzende, der Kölner Medienrechtler Professor Rolf Schwartmann sieht nur in einigen Bereichen Handlungsbedarf: "Das materielle Urheberrecht hat sich weitgehend bewährt. Probleme gibt es bei Anwendung und Rechtsdurchsetzung". Einen anderen Standpunkt vertrat Jörg Heidrich, Justiziar des Heise-Verlags: "In den letzten Jahren gab es ausschließlich Änderungen zu Gunsten der Rechteinhaber. Jetzt sind andere dran -- wie zum Beispiel die Urheber selbst."

Stephan Grulert, Justiziar bei EMI Music, verteidigte das Vorgehen der Musikindustrie gegen Nutzer von Filesharing-Programmen: "Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht." Doch angesichts des Zusammenbruchs des eigenen Marktes habe sein Unternehmen keine andere Chance gehabt. Obwohl nach aktuellen Studien heute nicht mehr Tauschbörsen das Haupt-Problem darstellten, sondern inzwischen mehr Konsumenten Musik kostenlos mit Streamrippern von Plattformen wie YouTube herunterladen, seien die Abmahnungen gegen Endnutzer in Deutschland nicht verzichtbar.

Wenn der Gesetzgeber ein Warnmodell wie in Großbritannien oder Frankreich einführe, sei die Musikindustrie bereit, auf Abmahnungen zu verzichten, erklärte Grulert. Den Hinweis Heidrichs, die Musikindustrie könne schon heute Warnhinweise statt teure Abmahnungen verschicken, ließ er jedoch nicht gelten: Die Musikindustrie könne nicht auf den Kosten der Verfolgung von Rechtsbrüchen sitzen bleiben. Stattdessen will Grulert die Telekommunikationsunternehmen in die Pflicht nehmen, Urheberrechtsverstöße direkt zu verfolgen: "Als Internetprovider kann man den Traffic schließlich direkt beobachten", erklärte der Justiziar. Nach seiner Aussage zeigten die Warnhinweismodelle im Ausland – wenn auch langsam – positive Wirkung.

Ob das von der Bundesregierung geplante Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken zur Begrenzung von Abmahnkosten den gewünschten Erfolg haben wird, beurteilten die Medienrechtler in Köln skeptisch: "Im Grunde ist es nicht schlecht, wenn sich der Gesetzgeber äußert und Werte festlegt", sagte Margarete Reske, Vorsitzende der 28. Zivilkammer am Landgericht Köln. Ob bei den vorgesehenen Streitwerten noch Anwälte bereit seien, nicht missbräuchliche Fälle zu übernehmen, sei jedoch ungewiss. (jo)