Interview mit Elmar Haardt: Amerika ist überall

Elmar Haardts Bilder bestätigen das Klischee des trostlosen mittleren Westens – scheinbar. Denn auf seinen Fotografien aus München, der Schweiz und Italien sieht es auch nicht viel anders aus.

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Von
  • Dr. Thomas Hafen
  • seen by

Elmar Haardts Bilder von Motels, Parkplätzen, Highway-Auffahrten und anderen Unorten des amerikanischen Heartlands bestätigen das Klischee des trostlosen mittleren Westens, das wir Europäer im Kopf haben. Dumm nur, dass es auf seinen Fotografien aus München, der Schweiz und Italien auch nicht viel anders aussieht. Ein Interview von Thomas Hafen, seen by.


Rund 3,5 Milliarden Menschen leben in Städten. Ihre Stadtlandschaften sind dagegen menschenleer – wo sind die alle hin?

Elmar Haardt: Die Straßen wie hier im Münchner Stadtteil Giesing sind für mich auswechselbar, sie könnten genauso gut in Düsseldorf oder anderswo so zu sehen sein. Mich interessieren Ansichten von Straßen, die man jeden Tag lang geht und eigentlich gar nicht richtig wahrnimmt. Ich glaube, Menschen im Bild würden nur stören und von der eigentlichen Bildaussage ablenken.

Wie bekommen Sie die Leute aus den Bildern?

Elmar Haardt: Das ist gar nicht schwierig. Bei dem Wetter, bei dem ich fotografiere, gehen die Leute ohnehin nicht gerne auf die Straße. Und ab einer bestimmten Uhrzeit sind alle bei der Arbeit. Manchmal muss ich natürlich ein bisschen warten, bis sich eine gute Konstellation der vorgefundenen Situation ergibt.

Also keine Retusche, kein Photoshop?

Elmar Haardt: Nein, überhaupt nicht, bei meinen Arbeiten ist alles analog, mit einer 4x5-Fachkamera aufgenommen und analog geprintet beziehungsweise ausbelichtet. Das ist ja gerade das Spannende: Diese Straßen sind wirklich so leer, da ist nichts inszeniert.

Gelber Laster aus der Serie Amerika

(Bild: Elmar Haardt)

Angesichts der Eintönigkeit und Enge in Ihren Bildern aus Giesing, mag man die Gentrifizierung fast begrüßen, die derzeit in diesem Münchner Stadtteil wütet …

Elmar Haardt: Na, ja. Wie wir alle wissen, hat die Gentrifizierung positive und negative Folgen – je nachdem, aus welchem Blickwinkel man das Ganze betrachtet. Ich habe Europäische Ethnologie studiert und mich in meiner Magisterarbeit ausführlich mit dem Thema Gentrifizierung beschäftigt. Man kann das Ganze auch positiv sehen – abgesehen von den Begleiterscheinungen wie überteuerte Mieten et cetera. Für einen Stadtteil kann es auch von Vorteil sein, wenn er sozial durchmischt ist. Wenn zum Beispiel Kinder aus sogenannten bildungsfernen Familien mit Akademikerkindern zusammen in die Schule gehen. Ich spreche da aus eigener Erfahrung. Ich bin in Essen in einem sozialen Brennpunkt aufgewachsen. Heute bin ich darüber sehr froh, weil ich eine Menge gelernt habe.

Was glauben Sie – schaffen die architektonischen Umstände die sozialen Verhältnisse, oder ist es umgekehrt?

Elmar Haardt: In Deutschland hat der Krieg diese architektonischen Umstände geschaffen. Diese ganzen gesichtslosen Zweckbauen sind in den 20 bis 30 Jahren nach dem Krieg entstanden …

… aber in den USA kann man die Bausünden ja nicht auf Kriegsschäden zurückführen

Motel aus der Serie Amerika

(Bild: Elmar Haardt)

Elmar Haardt: Nein, das ist eine freiwillige Ödnis, sozusagen.

Ist es angesichts dieser Eintönigkeit nicht egal, wo man fotografiert? Warum reisen Sie noch?

Elmar Haardt: Aber genau das ist doch das Spannende daran. Meine ersten Projekte haben mich ins märkische Oderland an der deutsch-polnischen Grenze und ins Ruhrgebiet geführt. Da haben wir ganz bestimmte Klischees im Kopf – Oderland, das ist ehemalige DDR, da sieht es so und so aus. Oder Ruhrgebiet – das sind die Malocher. Aber dann habe ich in der Schweiz und Italien fotografiert – da haben wir ganz andere visuelle Vorstellungen. Und plötzlich kommt heraus, dass es dort aussehen kann wie im Ruhrgebiet!

Ist das nicht ein bisschen trostlos?

Elmar Haardt: Trostlos auch – so ist es halt – aber gleichzeitig wird auch ein wenig von den Prinzipien sichtbar, wie Wohnen organisiert ist. Wenn Sie jetzt hinausgehen, dann sehen Sie diese Straßen vielleicht auch mit anderen Augen. Wir haben uns bei der Ausstellung für das Amerika Haus in München natürlich überlegt, was wir zeigen wollen. Wenn wir nur Amerika zeigen, dann laufen wir Gefahr, ein bestimmtes Bild zu liefern, das Klischee des weitläufigen und oberflächlichen Amerika …

… und dazu passen Ihre Bilder ja sehr gut …

Elmar Haardt: … ja, und genau deshalb hängen hier auch meine Arbeiten aus München. Hier sieht es nämlich genauso aus! Das macht das Klischee kaputt.

Interstate, aus der Serie Amerika

(Bild: Elmar Haardt)

Was bedeutet Heimat für Sie? Kann man in solchen Strukturen überhaupt so etwas wie Heimat empfinden?

Elmar Haardt: Heimat ist ein großes, vielleicht zu emotionales Wort für meine Art der Fotografie. Ich finde, Heimatgefühl entwickelt sich nicht vorranging durch die Architektur, sondern durch die Menschen und das gemeinsame Zusammenleben – wozu Architektur andererseits auch beitragen kann. Das ist übrigens ein großer Unterschied zwischen dem Ruhrgebiet und München. In München bleibt man ja immer ein (wenn auch freundlich empfangener) "Zugroaster". Im Ruhrgebiet wird man sofort adoptiert, weil einfach alle von woanders her kommen. München ist eine der wenigen Städte, wo die Leute darauf stolz sind, dageblieben zu sein. Wenn ich zum Beispiel an meine Zeit in Berlin denke – da war es eine große Ausnahme, wenn einer aus Berlin war. Die Berliner waren praktisch die Exoten an der Uni.

Ein verbindendes Element in Ihren Arbeiten ist auch die Jahreszeit. Fast alle Bilder sind im Winter aufgenommen – Zufall?

Elmar Haardt: Nein, das ist kein Zufall, sondern Teil des Konzepts. Ich brauche dieses weiche Licht. Der graue Himmel wirkt wie eine Softbox. Jedes Detail wird dadurch gleichwertig, das Bild strahlt im Ganzen und bekommt für mich so mehr Kraft. Bei Sonne hätten wir tiefe Schatten, das Bild würde durch das Licht in einen hellen Vordergrund und einen dunklen Hintergrund geteilt. Ich arbeite auch gerne bei strömenden Regen und wenn es richtig schneit.

Tankstelle, aus der Serie Amerika

(Bild: Elmar Haardt)

Ihren Fotografien fehlt alles, was typische Reisebilder ausmacht – ein dramatischer Himmel, tolle Lichtstimmungen, faszinierende Menschen oder Bauwerke möglichst noch im Goldenen Schnitt – sind Ihre Bilder so etwas wie ein Gegenentwurf zur typischen Reisefotografie?

Elmar Haardt: Ich finde Fotografie dann spannend, wenn sie nicht fotografisch ist. Ich mag zum Beispiel Passepartouts nicht, dadurch bekommen Fotos so etwas Objekthaftes, sie wirken wie Schmetterlinge hinter Glas. Ich möchte gerne, dass man eine Fotografie als ein Bild wahrnimmt, ähnlich einem gemalten Bild. Die Fotografie bildet Realität ab (in den meisten Fällen), aber sie kann noch viel mehr als nur dokumentieren, was vor der Kamera war. Als Bild hat sie noch eine weitere Ebene.

Das Interview führte Thomas Hafen für das Fotoportal seen.by.

(keh)