"Der Placebo-Effekt tritt mehr oder weniger stark bei jeder Therapie auf."

Der Medizinhistoriker Robert Jütte über die Frage, warum manche Medizin wirkt, obwohl sie gar nicht wirken dürfte.

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Von
  • Hannah Fuchs

Der Medizinhistoriker Robert Jütte über die Frage, warum manche Medizin wirkt, obwohl sie gar nicht wirken dürfte.

Jütte ist Direktor des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung in Stuttgart und leitete bis 2011 eine Placebo-Arbeitsgruppe.

Technology Review: Herr Professor Jütte, was ist dran an Placebos?

Robert Jütte: Das wissen wir gar nicht genau. Für den Placebo-Effekt gibt es zwei Erklärungsmodelle. Das eine geht von einer Erwartungshaltung des Patienten aus, das heißt, er vertraut auf einen Heilungserfolg, und diese Erwartung regt das Belohnungszentrum im Gehirn an. Dem anderen Modell zufolge wird der Effekt über Konditionierung ausgelöst.

Wenn ich etwa ein Medikament immer mit einer Spritze gebe und das Mittel schließlich durch eine pharmakologisch nicht wirksame Substanz ersetze, dann reagiert der Patient vorübergehend auf diese Placebo-Spritze wie vorher auf die Arznei.

TR: Aber Placebos wirken doch auch, wenn ich eine neue Therapieform zum ersten Mal bekomme.

Jütte: In der Tat tritt der Placebo-Effekt mehr oder weniger stark bei jeder Therapie auf – ob ich operiere, ob ich massiere oder eben ein Arzneimittel gebe. Jeder Arzt kann über sein Auftreten diesen Effekt steuern. Wir wissen aus der Placebo-Forschung, dass ein Mediziner, der sich in den Patienten einfühlt, bei diesem Vertrauen und damit Hoffnung auf Heilung erzeugt. Auch die Kommunikation ist entscheidend: Es macht einen Unterschied, ob ich etwa ein Schmerzmittel einfach so verabreiche oder ob ich dem Patienten sage: "Sie bekommen jetzt ein starkes Schmerzmittel, es wird ihnen helfen."

TR: Wann setzen Mediziner Placebos ein?

Jütte: In klinischen Studien ist das sehr häufig. Die Arzneimittel-industrie muss für jedes neue Mittel nachweisen, dass es wirksam ist. Wenn noch keine Standardtherapie auf dem Markt ist, muss dieses wirksamer sein als ein Placebo.

TR: Und in der alltäglichen Therapie?

Jütte: Das kommt zwar nicht jeden Tag vor, aber über 80 Prozent der Hausärzte in Bayern sagen zum Beispiel, dass sie schon das eine oder andere Mal reine oder Pseudo-Placebos verschrieben haben.

TR: Was sind denn Pseudo-Placebos?

Jütte: Man kann reine Placebos verabreichen, die keinen Wirk-stoff enthalten: Milchzucker oder eine injizierte Kochsalz-lösung etwa. Im Praxisalltag greifen Ärzte aber auch auf Vitaminpillen zurück: Diese haben durchaus eine Wirkung, aber nicht spezifisch gegen die jeweilige Krankheit. Eine besonders krasse Variante von Pseudo-Placebo liegt vor, wenn Mediziner Antibiotika, die eigentlich nur Bakterien bekämpfen, gegen eine durch Viren verursachte Erkältung verabreichen.

TR: Ist es nicht unethisch, ein unwirksames Mittel oder gar den falschen Wirkstoff zu verschreiben?

Jütte: Es gibt bei Ärzten durchaus Widerstand gegen eine Behandlung mit Placebos. Ihnen widerstrebt, dass sie dann den Patienten im Unklaren lassen müssen. Das ist tatsächlich rechtlich und ethisch nicht ganz unproblematisch. Aber jeder gute Arzt hätte im Studium lernen müssen, dass bereits sein Auftreten zum Placebo-Effekt beiträgt. Viele Ärzte wollen das aber nicht wahrhaben. ()