Netzausbau: High-Tech-Drähte statt neuer Stromtrassen

Dank neuer Technologien hoffen die Netzbetreiber, weniger Stromtrassen neu bauen zu müssen als derzeit geplant. Sie testen, ob sich die alten Leitungen besser auslasten lassen.

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Von
  • Robert Thielicke

Rund 3600 Kilometer Stromtrassen müssen laut Bundesbedarfsplan bis 2022 neu gebaut, noch einmal 3700 Kilometer bestehende Trassen mit leistungsfähigeren Leitungen verstärkt werden. Erst kürzlich hat Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler angekündigt, die Genehmigungsdauer dafür von derzeit zehn Jahre auf vier Jahre zu verkürzen.

Nun testen die Netzbetreiber, ob sie die alten Leitungen besser auslasten und damit den Ausbau reduzieren können, berichtet Technology Review in seinem aktuellen Special Energie. Ein Faktor, der ihre Kapazität begrenzt, ist die Temperatur der Drähte. Je mehr Strom durchfließt, desto stärker erwärmen sie sich. Weil aber Wind und niedrige Lufttemperaturen die Drähte auf natürlichem Wege kühlen, werden die maximal erlaubten 80 Grad Celsius selten erreicht.

Der Netzbetreiber Tennet verwendet deshalb aktuelle Wetterdaten, um besser einschätzen zu können, wie viel Strom er tatsächlich durch seine Leitungen schicken kann. Dadurch seien Zuwächse von bis zu 50 Prozent erreichbar, gibt Tennet an. Die RWE-Tochter Amprion hat ähnliches vor und misst dafür in einem Forschungsprojekt die Temperatur direkt an den Leiterseilen. Allerdings sind die Leitungen nur dann höher belastbar, wenn das Wetter mitspielt. Das ist immer nur kurzzeitig der Fall.

Andere Forscher setzen deshalb direkt am Draht selbst an. Leiterseile aus temperaturbeständigem Aluminium (TAL) vertragen Temperaturen von 150 Grad Celsius und können so 50 Prozent mehr Strom transportieren, sagt Ralf Puffer vom Institut für Hochspannungstechnik der RWTH Aachen. Möglich macht dies unter anderem die Beimischung von Zirkonium.

Weil sich herkömmliche Drähte bei den hohen Temperaturen stark ausdehnen und gefährlich tief durchhängen, braucht es zusätzlich neue Leiterseile. Weiterentwickelte Modelle bestehen nicht mehr wie bisher komplett aus Metall, sondern enthalten einen Kern aus Kohlefaser (ACCC) oder einem Keramik-Aluminium-Verbund (ACCR), der die Last des Seils trägt. Weil sich diese Materialien bei Erwärmung nicht so stark ausdehnen, sind höhere Temperaturen unkritisch.

Die Superseile sollen allerdings bis zu sechsmal teurer sein als herkömmliche Drähte. Dafür jedoch könnten sie 100 Prozent mehr Strom aufnehmen, sagt Puffer von der RWTH. Weltweit gibt es allerdings jeweils erst einen Hersteller für ACCC- und ACCR-Seile. Die Kohlefaser-Produkte verkauft die US-Firma CTC Cable, der Konkurrent 3M hat die Keramikvariante im Programm – entsprechend begrenzt ist noch das Angebot.


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