Wikipedia-Seite nach Zensurversuch in zahlreiche Sprachen übersetzt

Unauffällig ist anders: Mit seinem Versuch, einen unliebsamen Artikel im Online-Lexikon Wikipedia zu löschen, hat der französische Geheimdienst DCRI eindrucksvoll vorgemacht, wie der Streisand-Effekt funktioniert.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 112 Kommentare lesen
Lesezeit: 2 Min.
Von
  • Jan Schüßler

Der französische Inlandsgeheimdienst DCRI hat mit seiner Intervention gegen einen vermeintlich sicherheitsgefährdenden Artikel im Online-Lexikon Wikipedia ein Paradebeispiel für den Streisand-Effekt abgeliefert. Der Artikel hat im Internet mittlerweile eine weite Verbreitung gefunden, Wikipedia-Nutzer erstellten bis Montag Versionen des Artikels in 20 verschiedenen Sprachen. Am vergangenen Sonntag schnellte der Artikel mit rund 75.000 Aufrufen an die Spitze der Nutzungsstatistik für die französische Ausgabe der Online-Enzyklopädie, wie Wikiscan ermittelte.

Der Beitrag zur militärischen Sendeanlage Pierre-sur-Haute schlummerte jahrelang relativ unbeachtet in den Tiefen der französischen Wikipedia, bis der französische Inlandsgeheimdienst DCRI im März die Wikimedia Foundation als Betreiberin der Enzyklopädie nach deren Angaben aufforderte, den Artikel zu löschen. Nähere Begründungen bekam Wikimedia auch auf Nachfrage nicht. "Deswegen war die Stiftung gezwungen, das Ansinnen abzulehnen", erklärte Wikimedia. Praktisch alle Informationen des Artikels seien öffentlich zugänglich. Zudem habe der Artikel seit 2009 unbeanstandet im Netz gestanden. Entscheidungen über die Löschung eines Artikels treffen üblicherweise die Wikipedia-Mitglieder gemeinsam.

Der Inlandsgeheimdienst soll daraufhin Ende März einen Administrator der Wikipedia mit Hinweis auf mögliche rechtliche Folgen unter Druck gesetzt haben. Der Betroffene löschte daraufhin den Artikel, der später wiederhergestellt wurde. Das für den Geheimdienst DCRI zuständige Innenministerium bestätigte tatsächlich, die Seite habe aus Gründen der nationalen Sicherheit gelöscht werden sollen. Allerdings will das Ministerium keinen Druck auf den Administrator ausgeübt, sondern nur vor juristischen Risiken gewarnt haben.

Wer sich über die militärische Anlage informieren will, kann dafür übrigens – jenseits der Wikipedia – auch einen Beitrag des örtlichen TV-Senders Television Loire 7 anschauen. Dort wird auch ein Atombunker als Teil der Anlage erwähnt, um den es beim Streit um den Wikipedia-Artikel gehen könnte. Im Fernsehbeitrag werden Anlage und Keller rund 25 Minuten lang erklärt – unter anderem von einem Offizier. (Mit Material von dpa) / (jss)