Proteste gegen Gesetz zu Web-Sperren reißen nicht ab

Trotz der Änderungen der Koalition am ursprünglichen Entwurf zur Kinderporno-Blockade machen Juristen, Datenschützer und Zensurgegner gravierende Einwände geltend und feilen an Verfassungsbeschwerden.

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Trotz der vielen Änderungen der großen Koalition am ursprünglichen Entwurf zu Kinderporno-Sperren machen Juristen, Datenschützer und Zensurgegner gravierende Einwände gegen das am gestrigen Donnerstag vom Bundestag beschlossene "Zugangserschwerungsgesetz" geltend und feilen an Verfassungsbeschwerden. So bezeichnete etwa der Münsteraner Informationsrechtler Thomas Hoeren die von Union und SPD ergänzten Korrekturen beim Datenschutz als unzureichend. Wer ungewollt auf das geplante Stoppschild gelange, müsse nach wie vor mit Ärger rechnen, monierte der Professor gegenüber dpa.

Der Zugangsanbieter dürfe die dabei registrierten Nutzerdaten zwar nicht mehr direkt zur Strafverfolgung an das Bundeskriminalamt (BKA) weiterleiten, erläuterte Hoeren. Doch sobald die zuständige Behörde ein weiteres Verdachtsmoment gegen den Surfer habe, werde sie die Informationen anfordern: "Und der Provider müsste sie dann laut der Strafprozessordnung auch herausgeben." Wer aus Protest gegen das Gesetz eine der einfachen Umgehungsmöglichkeiten der zunächst vorgesehenen Zugangserschwernis auf Basis des Domain Name Systems (DNS) nutzt, macht sich nach Auffassung des Stuttgarter IT-Rechtlers Carsten Ulbricht aber prinzipiell erst einmal nicht strafbar.

Der Verband der deutschen Internetwirtschaft eco beklagte, dass die Provider auf eigene Kosten eine Sperrinfrastruktur aufbauen müssten. Sie hätten dabei das Risiko zu tragen, "dass das Gesetz sich im Nachhinein als verfassungswidrig erweist". Der Grundsatz "Löschen vor Sperren" sei nicht konsequent genug umgesetzt, weil dem BKA ein viel zu weiter Ermessensspielraum bleibe. Auch die Befugnisse des unabhängigen Kontrollgremiums seien nicht ausreichend.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar, bei dem die Expertenrunde zur Prüfung der Einträge auf dem geheimen Filterverzeichnis des BKA angesiedelt werden soll, untermauerte seine Bedenken gegen diesen Ansatz. Seiner auch für Informationsfreiheit zuständigen Behörde werde die "völlig wesensfremde Funktion" zugeteilt, bestimmte Inhalte nach strafrechtlichen Kriterien auf den Gehalt von Kinderpornographie einzuschätzen. Das Hauptproblem sei, dass zum ersten Mal in Deutschland eine institutionelle Inhaltskontrolle eingeführt werde, was Datenschutzrisiken berge. Durch die Zuteilung einer exekutiven Funktion als Internet-Kontrolleur könne die Unabhängigkeit seines Amts aber beschädigt werden. Generell sei das Gesetz offenbar "mit sehr heißer Nadel gestrickt" worden.

Verfassungsbeschwerde haben Alvar Freude vom Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur sowie die Initiatorin der Rekord-Petition gegen das Gesetz, Franziska Heine, angekündigt. Der Widerstand aus der vielfach von der Koalition erwähnten "Internet-Community" solle dazu besser organisiert und professionalisiert werden – "ohne die bisherige Identität einer Graswurzelbewegung aufzugeben". Auch aus der FDP sind Überlegungen für einen Gang nach Karlsruhe laut geworden. Die Liberalen ärgert bereits das formale Vorgehen der Regierungsfraktionen, erst zwei Tage vor Schlussabstimmung einen letztlich neuen Gesetzesentwurf vorgelegt zu haben. Dieser hätte ganz neu eingebracht und debattiert werden müssen, heißt es bei der Oppositionspartei. Die Koalition betrachtet das Zugangserschwerungsgesetz dagegen als reine Änderung an ihrem früheren, anders betitelten Vorstoß.

Empört hat FDP-Politiker auch, dass der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Strobl entgegen aller Beteuerungen der eigenen Fraktion zur Beschränkung des Gesetzes auf Kinderpornographie "Killerspiele" für die nächste Sperr-Runde ins Gespräch gebracht hat. "Es ist beschämend, wie schnell die gestrigen Bekenntnisse der großen Koalition ad absurdum geführt werden", kommentierte der Medienexperte der Liberalen, Christoph Waitz, das sich abzeichnende "Déjà Vu der Internetzensur". Die Regierungsfraktionen zeigten damit, dass man ihnen in Sachen Internetfreiheit nicht über den Weg trauen könne.

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, der AK Zensur und die Piratenpartei organisieren derzeit Demonstrationen gegen Netzsperren in verschiedenen Städten, die am Samstag stattfinden sollen. Eine größere Kundgebung ist etwa in München um 12 Uhr am Sendlinger Tor mit Rednern auch von FDP und Grünen geplant. Das Abstimmungsverhalten (PDF-Datei) der Grünen überraschte Beobachter, da sich 15 ihrer Abgeordneten enthielten. In der Fraktion gab es offenbar abweichende Meinungen über den besten Weg zur wirksamen Bekämpfung der Kinderpornographie und "rechtswidriger Placebo-Gesetze", hieß es dazu aus dem Parteivorstand. Man werden den Protest gegen die "fatale Bürgerrechtspolitik" von Schwarz-Rot auch künftig mit auf die Straße tragen. Gegen das Gesetz stimmten neben allen Vertretern von FDP und Linken die drei SPD-Abgeordneten Steffen Reiche, der sich angeblich einen Wechsel zur Piratenpartei überlegende Jörg Tauss und Wolfgang Wodarg. Außerdem stimmte Jochen Borchert von der CDU, Vater einer zur Online-Chefin der WAZ aufgestiegenen Bloggerin, mit Nein.

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(Stefan Krempl) / (jk)