Neue Top Level Domains: Falsche Kundendaten und Missbrauch sensibler Domains im Visier

Alle neuen TLD-Registries sollen ständig auf falsche Angaben in den Inhaberdaten prüfen und Registrare zu raschen Aktionen dagegen anhalten, forderten die Regierungen beim 46. ICANN-Treffen. "Sensible Domains" sollen gegen Missbrauch geschützt werden.

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Von
  • Monika Ermert

Die Regierungen bei der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) fordern erweiterte Monitoring-Verpflichtungen für neue Top Level Domains (TLD). Alle neuen TLD-Inhaber sollen ihre Datenbanken ständig auf falsche Angaben in den Daten zu den Inhabern von Adressen innerhalb der jeweiligen TLD überprüfen. Registrare sollen zu raschen Aktionen gegen Kunden mit Second Level Domains angehalten sein, die mit falschen Angaben arbeiten, forderten die Regierungen in ihrem Kommuniqué zum 46. ICANN-Treffen in Peking. Verschärfte Auflagen soll es überdies für eine lange Liste "sensibler" Top Level Domains (TLDs) geben. Mehrere TLD-Bewerbungen sollen vorläufig oder dauerhaft gestoppt werden.

Als sensibel betrachten die Regierungen eine einige neue TLDs, wie die potenziell Kinder ansprechenden TLDs (.kids, .games, .schule, .toys usw), TLDs für die Umwelt (.eco, .bio, .organic) oder den Gesundheitsektor (.diet, .fit, .doctor, usw) sowie eine lange Liste von TLDs, die irgendwie mit Geistigem Eigentum zu tun haben (.audio, .book, .design, .fan .news). Für diese TLDs fordern die Regierungen, dass sie gegenüber den Domainnutzern Richtlinien zum Beispiel zu Daten- und Verbraucherschutz durchsetzen. Streng genommen würden die TLD-Betreiber beinahe so etwas wie Zertifizierer etwa für Bioprodukte. Die TLD-Betreiber sollen, gemeinsam mit lokal zuständigen Behörden, Strategien gegen Missbrauch entwickeln. Domainkunden sollen verpflichtet werden, eine Kontaktadresse für Missbrauchsmeldungen anzugeben und ihre Domains verlieren, wenn sie nicht rasch reagieren.

Die Regierungen einigten sich überdies darauf, gemeinsam die TLD-Bewerbung der Bewerbung der afrikanischen Union zu unterstützen. ICANN müsse die konkurrierende .africa-Bewerbung ablehnen. Auch eine Bewerbung des in der Golfregion angesiedelten Internet-Knotenpunktes GCCIX für .GCC soll laut dem Regierungsbescheid verworfen werden. Mit einem vorläufigen Stopp begnügen sich die Regierungen für vergleichbare geographische Namen wie amazon, patagonia, thai, zulu, wine. Trotz der starken Opposition der Anrainerländer konnten sich die Regierungen bei amazon und patagonia nicht auf ein Stoppschild einigen, bei wirtschaftlichen Schwergewichten fällt das offenbar schwerer. Deutschland, Österreich und die Schweiz machten sich stark dafür, das unter .reise oder .reisen nur anerkannte Reiseveranstalter TLDs registrieren dürfen.

Trotz einer Präambel im Regierungsdokument, das nationales Recht und Menschenrechtsstandards den Monitoring- und Durchsetzungsverpflichtungen voranstellt, waren die Reaktionen von Teilnehmern des ICANN-Treffens in Peking empört. "Das Governmental Advisory Committee versucht, die von den Selbstverwaltungsgremien entwickelten Regeln für die Zulassung neuer Top Level Domains noch einmal neu zu schreiben", wetterte der US-Wissenschaftler Milton Mueller. Die Regulierung von Inhalten sei gerade nicht die Aufgabe der ICANN, sagte Datenschutzexpertin Wendy Seltzer. Die US-Anwältin und ehemalige US-Regierungsvertreterin Becky Burr warnte, die ICANN dürfe nicht versuchen, die internationalen Foren zum umgehen, die sich mit diesen Fragen befassen, darunter die World Intellectual Property Organisation und die World Trade Organisation.

Jeff Neuman vom US-Registrar Neustar meinte, die Forderungen der Regierungen müssten zum Gegenstand einer öffentlichen Konsultation werden. Normalerweise gehen die Regierungen direkt an den Vorstand, damit dieser sie umsetzt oder den Regierungen erklärt, warum der dies nicht tut.

Auf den letzten Metern zur Öffnung des Namensraumes im Internet für hunderte neuer TLDs steckt die ICANN zunehmend in der Zwickmühle, dass viele Bewerber keine weiteren Verzögerungen wollen, gleichzeitig jedoch nach wie vor Last-minute-Wünsche – nicht zuletzt von den Regierungen – eintrudeln. Mehrere Vorstöße des neuen CEO Fadi Chehade, den Sonderwünschen durch rasche Änderungen entgegen zukommen, haben die Mehrheit der ICANN-Teilnehmer mit scharfen Warnungen vor einer Machtübernahme durch das Management quittiert. Chehade erklärte im offenen Forum heute daher eine für den 20. April anberaumte Vorstandssitzung für abgesagt. Dort sollten ursprünglich die Verträge der ICANN mit den Registraren und den Registries verabschiedet werden. Zwei Tage später wollte Chehade den ersten neuen TLD-Vertrag unterschreiben. Die Vertreter der Endnutzer (Non-Commercial User Stakeholder Group) wollen nun ebenfalls noch einmal nachlegen und eine eigene Nutzercharta vorlegen.

(anw)