Proteste gegen EU-Polizeikongress und Schäubles neue Pläne

Mehrere hundert Demonstranten haben heute in Berlin ihrem Unmut über den Überwachungsstaat und "neue Sicherheitsarchitekturen" Luft gemacht, während Oppositionspolitiker die geplante Vernetzung von Polizei-Datenbanken ablehnen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 249 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.

Rund 400 Demonstranten nahmen heute in Berlin am Protestmarsch "Sicherheit kostet Freiheit" teil.

Rund 400 Demonstranten äußerten in Berlin am heutigen Dienstag Unmut über den Überwachungsstaat und "neue Sicherheitsarchitekturen". Das inoffizielle Motto der Protestkundgebung gegen den 11. Europäischen Polizeikongress, der zum gleichen Zeitpunkt im Berliner Congress Centrum (bcc) am Alex Vertreter der Staatsmacht und Ausrüster aus der Wirtschaft zusammenführte, lautete "Sicherheit kostet Freiheit". Die Demo richtete sich konkret unter anderem gegen die seit Januar in Kraft gesetzte Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten, die Videoüberwachung, das Aufweichen der Grenzen zwischen Polizeien und Geheimdiensten sowie den Anti-Terrorparagraphen 129a. Aufgerufen zu dem Marsch von der Friedrichstraße zum Alex hatte das Komitee für Grundrechte und Demokratie gemeinsam mit zahlreichen linken Gruppierungen, die gegen den Polizeistaat kämpfen.

Einem verteilten Flugblatt zufolge hätte die Veranstaltung auch mit der Ansage: "Wir ham wat zu verbergen" überschrieben werden können. Die Organisatoren stimmen in dem Pamphlet, das auch mehrfach über den mitgeschobenen Lautsprecherwagen verlesen wurde, ein Hoch etwa auf den "Riss in der Linse der Überwachungskamera". Dem RFID-Chip, der in der Mikrowelle unbrauchbar gemacht werde, weine man keine Träne nach, heißt es weiter. Der Protest richtet sich auch gegen Rüstungskonzerne wie EADS und SAP, die auf dem Kongress die vernetzte Kriegsführung als Computerspiel "der Stärkeren" vorführen würden. Moniert wird in dem Papier ferner, dass einem wie auch immer gearteten Staatsapparat in der Zukunft viele Hindernisse zur Überwachung der Bürger bereits aus dem Weg geräumt worden seien.

Bilder fürs Archiv

Ein großes Polizeiaufgebot von insgesamt 1200 Beamten begleitete und umschloss die teils mit schwarzen Kapuzen angetretenen Demonstranten, so dass Spannungen nicht ausblieben. Schon im Vorfeld hatte die Einsatzleitung der Polizei die Veranstalter mit hohen Auflagen zu einer Routenänderung gezwungen. So durfte die Kundgebung nicht vor dem Kaufhaus der Firma Dussmann in der Friedrichstraße starten. Der Konzern verkaufe nicht nur Bücher oder CDs, sondern sei auch im Wachschutzbereich vorn mit dabei und liefere "Fraß" für eine Abschiebezentrale für illegale Immigranten in Spandau. Zudem durfte die Demo nicht am Haus der deutschen Wirtschaft vorbeiführen.

Im Umfeld der Kundgebung führte die Polizei dann Taschenkontrollen bei Fußgängern durch, die sie offenbar der autonomen Szene zurechnete. Von Anfang an filmten mehrere Ordnungshüter zudem wie bei der Großdemo gegen den "Überwachungswahn" im September den Zug mit Videokameras. An der Spitze fuhr ein "TV-Übertragungswagen" der Polizei, auf dem ebenfalls sichtbar ein Kameraauge aufgebaut war. Zweimal kam es dann zu brenzligen Situationen. Gegen 16:40 Uhr forderten die Sicherheitskräfte auf Höhe der von den Veranstaltern kritisch gewürdigten Bertelsmann-Repräsentanz Unter den Linden den Einzug von mitgeführten Transparenten, die höher als die genehmigten 1,5 Meter gewesen sein sollen, und versperrten den Weg. Nach Drohgebärden beider Seiten ging der Marsch aber weiter. Am Bahnhof Alexanderplatz stürmte die Zugführung der Demo dann einige Meter auf die vor ihr aufgebaute Polizei zu, bremste aber gleich wieder ab. Ein frontaler Zusammenstoß blieb aus, es kam nur zu Rempeleien.

Oppositionspolitiker kündigten derweil Widerstand gegen die Verlautbarungen von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble auf dem Polizeikongress an. Der CDU-Politiker hatte sich bei auf gut abgeschirmten Treffen dafür ausgesprochen, so schnell wie möglich durch eine Ausweitung des Vertrags von Prüm den automatisierten Zugriff der Polizeien aller 27 EU-Mitgliedsstaaten auf die nationalen Datenbanken der Strafverfolger inklusive DNA-Abgleich umzusetzen. Die FDP-Innenexpertin Gisela Piltz erklärte dazu, dass eine engere polizeiliche Zusammenarbeit zwar sicher notwendig sei. "Das darf aber nicht bedeuten, dass jeder auf jegliche Daten unkontrollierten Zugriff erhält." Schon die Vorratsdatenspeicherung sei ein Beispiel für einen "nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die Freiheit". Wenn unbescholtene Bürger nun unter Generalverdacht gestellt würden, "gehen Freiheit und Recht verloren".

Links-Fraktionsvize Petra Pau hielt Schäuble vor, er wolle die EU zu einem "bürgerrechtsfreien Raum" umgestalten. "Immer mehr persönliche Daten werden gesammelt, gespeichert, gehandelt, ausgetauscht und abgeglichen. Ohne Verdacht, rein präventiv. Das ist wider das Grundgesetz und das darf auch nicht über den Umweg EU zum Standard werden." Für die Innenexpertin der Linken, Ulla Jelpke, ist der Polizeikongress eine "einzige Werbeveranstaltung" europäischer Innenpolitiker und Sicherheitsexperten für die weitere Einschränkung von Grund- und Menschenrechten. Politik und Wirtschaft würden dort ausloten, "was technisch machbar ist und politisch durchsetzbar zu sein scheint".

Silke Stokar, innenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, bescheinigte Schäuble, nun "völlig auszurastern". Der Minister wolle ein engmaschiges Netz der "totalen elektronischen Überwachung über den erweiterten Schengen-Raum ziehen". Die "grenzenlose Aushöhlung des deutschen und europäischen Datenschutzrechts" nehme er dabei in Kauf. Mit seinen Forderungen nach dem unbeschränkten polizeilichen Zugriff auf alle Daten vom Autokennzeichen über den Fingerabdruck bis hin zu DNA-Merkmalen werde Europa zur datenschutzfreien Zone erklärt. Die SPD forderte Stokar auf, Schäuble zu stoppen.

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:

(Stefan Krempl) / (pmz)