D21-Digitalindex: Die vernetzte Gesellschaft lässt in Deutschland auf sich warten

Deutschland verharrt auf einem mittleren Digitalisierungsgrad mit einem kleinjen Kern "überzeugter Offliner", geht aus dem (N)onliner-Atlas hervor. Die Mehrheit der Bevölkerung zählt zu "außenstehenden Skeptikern" und "häuslichen Gelegenheitsnutzern".

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Sabrina Ortmann (D21), Karin Bickelmann (Landesmedienanstalt Saarland), Robert Wieland (TNS Infratest), Staatssekretär Hans-Joachim Otto und der Bundestagsabgeordnete Reinhard Brandl (v.l.n.r.) stellten den D21-Digitalindex vor

(Bild: Stefan Krempl / heise online)

Deutschland verharrt auf einem mittleren Digitalisierungsgrad. Die Zahl der Internetnutzer ist in den vergangenen Monaten – wie schon 2012 – nur noch um 0,9 Prozentpunkte gewachsen. Mit zusammengenommen 56,8 Prozent zählt die Mehrheit der Bevölkerung zu "außenstehenden Skeptikern", die zu über Dreivierteln dem Netz die kalte Schulter zeigen, und "häuslichen Gelegenheitsnutzern". Dies geht aus einer jetzt veröffentlichten Studie von TNS Infratest im Auftrag der Initiative D21 hervor.

Nur 3,2 Prozent werden demnach den vor allem in sozialen Netzwerken dauernd aktiven "smarten Mobilisten" zugeschlagen, 15 Prozent den "passionierten Onlinern", die sich ein Leben ohne Internet nicht mehr vorstellen können. Dazwischen liegt die auf 27,9 Prozent kommende Gruppe der "häuslichen Gelegenheitsnutzer" und die der 15,4 Prozent ausmachenden "reflektierten Profis".

Für die Untersuchung haben die Marktforscher erstmals den seit 13 Jahren veröffentlichten (N)onliner-Atlas mit der seit 2010 durchgeführten Analyse des Stands der digitalen Gesellschaft hierzulande zusammengeführt. Ergebnis ist der neue "D21-Digitalindex", der aktuell für die Bundesrepublik 51,2 Punkte beträgt.

Die Maßzahl basiert auf einem umfassenden Fragebogen, der mit 24 Fragen und über 230 Antwortvorgaben verschiedene Aspekte der Digitalisierung erfasst. Dazu führte TNS Infratest eine repräsentative Umfrage bei 3819 Personen in hiesigen Haushalten durch. Die Marktforscher überprüften die neue "Währung", die auf einer Skala zwischen 0 und der Idealgröße 100 dargestellt wird, nach eigenen Angaben durch eine Diskussion mit einem "hochrangigen Expertenkreis".

Die Kennziffer setzt sich zusammen aus vier einzelnen Säulen. Die Bundesrepublik erreicht mit 54,2 Punkten beim Zugang, bei dem etwa ein Breitbandanschluss zu guten Ergebnissen führt, den höchsten Wert. Bei der "digitalen Offenheit" gegenüber der Welt aus Bits und Bytes erreicht Deutschland immerhin noch 53,9 Punkte. Beim dritten Subindex Nutzungsintensität, wo die Verwendung etwa von Online-Banking, E-Government oder sozialer Netzwerke abgefragt wurde, erzielt Deutschland mit 40,3 Punkten eine unterdurchschnittliche Punktezahl. Besser sieht es bei der "digitalen Kompetenz" mit 50,3 Punkten aus. Die Forscher loteten dazu aus, ob die Befragten mit Begriffen wie Cloud, IT-Sicherheit, Word oder Google etwas anfangen können.

Die Variablen der Säulen sollen durch Worksshops mit Sachverständigen im Verlauf des Jahres angepasst werden, um sie stabil und aktuell zu halten. Für Infratest-Geschäftsführer Robert Wieland, definiert der Index für "Politik, Wirtschaft und Wissenschaft eine neue Zielgröße". Mit der Kennziffer wolle man einen 360-Grad-Blick auf den Stand der Vernetzung Deutschlands und der einzelnen Bundesländer eröffnen.

Einzelheiten zur Zugangsebene verrät weiterhin der (N)onliner-Atlas, für den das Institut dieses Mal zwischen Dezember und März über 30.000 Telefoninterviews durchführte. 76,5 Prozent der Bevölkerung sind demnach "drin", während es im vergangenen Jahr 75,6 Prozent waren. 23,5 Prozent der Deutschen ab 14 Jahren, etwa 16,5 Millionen Menschen, leben derzeit noch ohne Internetanbindung. Die Ergebnisse belegen den Studienmachern zufolge, "dass trotz zahlreicher Initiativen die digitale Spaltung in Deutschland noch immer nicht überwunden ist". Ein Grund dafür könne sein, dass die Nutzungszahlen in den Städten schon auf hohem Niveau längen, während in Flächenstaaten die Versorgung gerade mit Breitband noch nicht überall gewährleistet sei.

Noch immer sind mehr Männer als Frauen online, mehr Junge als Alte, mehr Menschen mit hohem Bildungsabschluss als mit niedrigem, heißt es in der Studie. Immerhin ist etwa der Zuwachs bei den weiblichen Befragten mit 1,3 mehr als dreimal so groß wie bei den männlichen mit 0,4 Prozentpunkten. Bei den 50- bis über 70-Jährigen liegt die Zunahme ebenfalls überdurchschnittlichen zwischen 2 und 3,3 Prozentpunkten. Andererseits sieht Wieland nach wie vor großen Nachholbedarf, da nicht einmal jede zweite Frau über 50 im Netz unterwegs sei.

Im Vergleich der einzelnen Bundesländer hat ein "ewiger Nachzügler", das Saarland, eine recht hohe Wachstumsquote erreicht. Mit einem Plus von 2,9 Prozentpunkten ist die Internetnutzung im kleinsten Flächenland von 67,4 Prozent 2012 auf aktuell 70,3 Prozent gestiegen. Der Stadtstaat Hamburg konnte 1,8 Prozentpunkte zulegen und führt mit 81,8 Prozent wieder die Rangliste an. Berlin und Bremen folgen mit 81 beziehungsweise 79,3 Prozent auf den weiteren Plätzen. Der Breitbandanteil erreicht im Bundesdurchschnitt 58,3 Prozent, ein Plus von nur noch 1,2 Prozentpunkten. Der Durchschnittsindex der Länder liegt bei 51,2 Punkten; Nordrhein-Westfalen, Bremen und Schleswig-Holstein liegen mit werten zwischen 57,7 bis 52,3 darüber.

Nonliner geben zu 67,5 Prozent an, dass sie aus Datenschutzbedenken das Internet meiden. Zu 59,1 Prozent hält sie die Sorge um die Sicherheit vom Netz ab. 64,2 Prozent geben an, dass für sie Kinder, Freunde oder Bekannte Dinge online erledigen. 58,5 Prozent verfügen über mangelnde Erfahrung mit dem Computer, über 44 Prozent sehen prinzipiell keinen Nutzen im Internet.

Hans-Joachim Otto, parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, wollte bei der Vorstellung der Studie am Montag in Berlin nicht bestreiten, "dass es noch Optimierungs- und Handlungsbedarf gibt". Der Liberale begrüßte die Neuerung, dass die Politik dank der Indizes jetzt Maßnahmen genauer steuern könne. So zeige sich daran, dass "wir bei der Kompetenz und Nutzungsvielfalt über Google und Word hinaus Reserven haben". Zudem sei es nötig, "mehr Sachkenntnis zu erzeugen gegen diffuse Unsicherheitsgefühle". Immerhin seien "in wenig erreichten Bevölkerungsgruppen die höchsten Zuwächse" festzustellen, die Kluft zwischen Männern und Frauen habe sich auf unter zehn Prozent verringert. Eine "besondere Erfolgsgeschichte" seien mobile Anwendungen, die auch bei Älteren zu einer verstärkten Nutzung führten.

Als "nicht zielführend" beim Schließen der digitalen Spaltung bezeichnete Wieland "Maßnahmen mit der Gießkanne". Nötig seien kreative, teils technische Lösungen. Wirtschaft und Politik müssten die Leute etwa überzeugen, dass " im Breitband mehr drin ist". Aber auch die Medienkompetenz müsse mit der zunehmenden Digitalisierung mithalten. Herauskristallisiert hätten sich "überzeugte Offlinern, die vor allem aus Angstgründen das Medium ablehnen". Diese Tendenz, die besonders stark im Osten der Republik durchschlage, habe insbesondere etwas mit der Alters- und Beschäftigungsstruktur zu tun.

(jk)