Familienministerium legt geplante Jugendschutzverschärfung komplett auf Eis

Der umstrittene Entwurf zur Änderung des Jugendschutzgesetzes mit seinen Bestimmungen zum Verbot "Gewalt beherrschter" Computerspiele und Testkäufen durch Heranwachsende ist zunächst vom Tisch.

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Der umstrittene Entwurf zur Änderung des Jugendschutzgesetzes (JuSchG) mit seinen Bestimmungen zum Verbot "Gewalt beherrschter" Computerspiele und Testkäufen von Heranwachsenden im Handel ist zunächst komplett vom Tisch. "Ich will jetzt nichts durchpeitschen, sondern glaube, dass uns eine Atempause hilft, über wirksame Schritte im Jugendschutz zu diskutieren", sagte Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen der "Bild"-Zeitung. Die CDU-Politikerin kündigte einen runden Tisch für November an. Dieser solle darüber beraten, wie verhindert werden könne, dass Kinder und Jugendliche in Deutschland zu einfach an so genannte Killerspiele, Gewaltvideos, Schnaps oder Tabak kämen. Von den Beratungen erwarte sie "konkrete Vorschläge zur Verbesserung des viel zu laschen Jugendschutzes". Die Zukunft des Gesetzesentwurfs ist laut einem Ministeriumssprecher derzeit aber "völlig offen".

Von der Leyen hatte bereits im Februar gemeinsam mit ihrem nordrhein-westfälischen Amtskollegen Armin Laschet (ebenfalls CDU) als Reaktion auf den Amoklauf in Emsdetten vor einem Jahr ein nun auf Eis liegendes "Sofortprogramm" vor allem zur Bekämpfung von "Killerspiele" vorgestellt. Konkret sollten nicht mehr nur Gewalt oder Krieg "verherrlichende" Games für Jugendliche automatisch verboten sein. Vielmehr sollte sich diese Regelung auch auf Trägermedien erstrecken, die "besonders realistische, grausame und reißerische Darstellungen selbstzweckhafter Gewalt beinhalten, die das Geschehen beherrschen". Über diese Katalogausweitung hinaus plante von der Leyen, die im Gesetz genannten Indizierungskriterien rund um mediale Gewaltdarstellungen auszudehnen.

Die Ministerin, der zufolge "der zahnlose Tiger Jugendschutzgesetz endlich ein scharfes Gebiss" bekommen muss, stolperte schließlich nicht über diese etwa vom Hightechverband Bitkom scharf kritisierten Passagen. Vielmehr erregte mit einiger Verspätung kurz vor der geplanten Verabschiedung des Vorhabens im Bundeskabinett eine Klausel großen Unmut, wonach Heranwachsende im Auftrag von Ordnungsämtern Testkäufe nicht jugendfreier Produkte wie brutaler Computerspiele durchführen sollten. Entschieden sprachen sich am Wochenende etwa der Deutsche Kinderschutzbund oder SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach gegen die geplante Regelung zum Einsatz jugendlicher "Spitzel" aus.

Die jugendpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Miriam Gruss, hat den Rückzug der Familienministerin unter dem öffentlichen Druck begrüßt. Sie wertete ihn "als politische Niederlage von Frau von der Leyen". Die Entscheidung zeige einmal mehr, dass inzwischen auch im Familienministerium "blinder Aktionismus herrscht, anstatt überlegtes Handeln".

Doch die Ministerin hat auch Unterstützung für ihre Initiative erfahren. Der niedersächsische Kriminologe Christian Pfeiffer etwa konnte gegenüber der in Hannover erscheinenden Neuen Presse "nicht nachvollziehen, dass Kinderschutzorganisationen hier die Hände über dem Kopf zusammenschlagen". Es sei harmlos daran mitzuwirken, dass die Gesetze eingehalten werden. Jugendliche Lockvögel könnten vor allem im Kampf gegen den illegalen Verkauf von "Killerspielen" erfolgreich sein, meint der Kriminologe. "Die anderen Testkäufe sind harmlos im Vergleich zu der Gefährdung der Jugendlichen durch für sie verbotene Computerspiele", sagte Pfeiffer. Händler, die "Killerspiele" verkaufen, müssten in Angst und Schrecken versetzt werden.

Auch Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach verteidigte den Vorstoß der Ministerin: Von der Leyens Kritiker sollten Alternativen nennen, wie die Einhaltung der Verbote kontrolliert werden könne, forderte der CDU-Politiker in der Thüringer Allgemeinen. Den Einsatz von Jugendlichen als Lockvögel knüpfte Bosbach an drei Bedingungen: Die Jugendlichen müssten älter als 14 Jahre sein, ihre Eltern müssten zustimmen, und die Testkäufe müssten im Beisein von Amtspersonen erfolgen. Rückendeckung hatte die Ministerin zuvor von Georg Ehrmann erhalten, dem Vorsitzenden der Deutschen Kinderhilfe Direkt: "Alle schreien nach Gesetzesverschärfungen, aber wenn es konkret wird, dann zucken sie zurück." Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz rechnet dagegen nicht damit, dass von der Leyens Vorstellungen mit jugendlichen Testkäufern jemals Gesetz werden. "Das ist eine Verirrung: bestenfalls gut gemeint, aber schlecht gemacht", sagte er der Netzeitung. Das Projekt habe nicht den Hauch einer Chance. Jugendliche dürften nicht in Situationen gebracht werden, in denen sie als verdeckte Ermittler agieren.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hält von der Leyens Plan weiterhin für eine "gute Absicht", wie Vize-Regierungssprecher Thomas Steg sagte. "Wir halten an dem Vorschlag fest, aber es wäre falsch, unter Zeitdruck etwas durch das Kabinett zu peitschen." (Stefan Krempl) / (jk)