ISO-Standardisierung von Microsofts OOXML weiter ungewiss

Bei der Einspruchsberatung in Genf über das Dokumentenformat Office Open XML kam es offenbar zu Unregelmäßigkeiten.

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Bei der einwöchigen Einspruchsberatung über den Vorschlag der ECMA (European Computer Manufacturers Association) zur Standardisierung von Microsofts Dokumentenformat Office Open XML (OOXML) bei der Internationalen Organisation für Normung ISO in Genf konnten die zugelassenen Delegationen aus 32 Mitgliedsländern bis Mittwoch nur 20 Prozent der über 1100 auf dem Tisch liegenden Kommentare und Änderungsanträge bearbeiten. Als sich abzeichnete, dass wegen Zeitnot über die verbleibenden Eingaben aus der Vorrunde nicht mehr gesondert zu verhandeln sein würde, schlug die Verhandlungsleitung entgegen dem Zweck eines derartigen Ballot Resolution Meeting (BRM) eine reine Abstimmung über die restlichen Kommentare en bloc vor.

Die einfachen Zahlen des Resultats, die der Standardisierungsexperte der Linux Foundation, Andy Updegrove, in seinem Blog auflistet, sprechen für Microsoft: Sechs Delegationen stimmten für die Annahme der Kommentare, vier dagegen bei 18 Enthaltungen und vier aus Protest nicht abgegebenen Stimmen. Doch das Ergebnis ist Gegenstand unterschiedlichster Interpretationen.

Vertreter von Microsoft feiern das Votum und die gesamte, am gestrigen Freitag zu Ende gegangene Einspruchsberatung als vollen Erfolg. Einer der Standardexperten der Redmonder, Jason Matusow, schreibt in einem Blogeintrag, dass die Debatte im Zeichen der Erzielung von Konsens und der Lösung noch ausstehender technischer Fragen gestanden habe. OpenXML sei im Standardisierungsprozess gereift und nun eine "attraktive Alternative" zu dem bereits ISO-zertifizierten Open Document Format (ODF). "Das Verfahren hat wirklich funktioniert", jubelt auch ein Office-Manager bei Microsoft, Brian Jones, in seinem Blog.

Offiziell verkündete Tom Robertson, der bei den Redmondern für den Bereich Standards und Interoperabilität zuständig ist, dass die "überwältigende Mehrheit" der Kommentare und darin zum Ausdruck gebrachten Bedenken erledigt worden sei. Es sei nun klar, wie die aufgeworfenen Probleme rund um die 6000 Seiten umfassende Spezifikation zu lösen seien.

"80 Prozent der Änderungen sind gar nicht diskutiert worden", zeigte sich dagegen Frank Farance, Leiter der US-Delegation, enttäuscht. Das sei genauso, als ob bei einem Softwareprojekt der Großteil des Codes nicht einmal einer Qualitätsprüfung unterzogen werde. "Ich habe so etwas noch nie erlebt und bin schon 25 Jahre dabei", beklagte er gegenüber US-Medien. Die USA stimmten letztlich etwa mit Dänemark und Malaysia gegen das Durchwinken der rund 900 ausstehenden Kommentare. Dafür votierten Länder wie Polen, Tschechien, Finnland, Chile oder die Elfenbeinküste. Bei dem Gesandten des afrikanischen Landes handelte es sich Kritikern zufolge um einen senegalesischen Microsoft-Lobbyisten.

Die an sich bereits ungewöhnliche Abstimmung erfolgte laut Updegrove wiederum nicht regelgerecht. Sitzungsleiter Alex Brown habe entgegen der Satzung auch Delegierte von Ländern zugelassen, die nur einen Beobachterstatus haben. Eigentlich hätten aber nur Vollmitglieder ihr Votum abgegeben dürfen. Von diesen haben sich dem Beobachter zufolge vier für die Annahme der Änderungen und vier dagegen ausgesprochen. Updegrove zieht die Schlussfolgerung, dass OOXML in dem von ECMA eingeschlagenen Schnellverfahren nicht fit gemacht werden konnte für eine ISO-Standardisierung. Viele Experten aus der ganzen Welt hätten versucht, den Prozess funktionsfähig zu machen. Nun sei er von einem einzelnen Hersteller aus reinem Selbstinteresse schwer missbraucht worden.

Updegrove sprach gegenüber US-Medien auch von ungebührlichen Lobbymaßnahmen der Redmonder. So seien Mitglieder der schwedischen Delegation mit Geldofferten des dortigen Microsoft-Vertreters geködert worden, überhaupt an dem Treffen in Genf teilzunehmen. Der Softwarekonzern selbst sprach von einem Einzelfall eines dazu nicht autorisierten Mitarbeiters.

Aus Indien war zuvor bekannt geworden, dass Microsoft eine Reihe zivilgesellschaftlicher Organisationen in den Lobbykampf um OOXML einzuspannen suchte. Die Vereinigungen sollten auf Basis eines vorgefertigten Musterschreibens Briefe an die für IT zuständige Regierungsstelle sowie das indische Standardisierungsgremium schicken und darin ihre Unterstützung für die Standardisierung des Microsoftformats ausdrücken. Es fördere die Interoperabilität und erweitere die Auswahlmöglichkeiten für die Verbraucher, lautete die Kernargumentation der Vorgaben. Dokumentiert ist auch der Dankesbrief einer Nichtregierungsorganisation für die wertvolle Spende Microsofts. Aus Singapur hatte es geheißen, dass der Softwareriese sechs wissenschaftlichen Mitgliedern des technischen Ausschusses der dortigen Standardisierungsorganisation Spenden für Forschungstätigkeiten angeboten habe.

Die nationalen ISO-Gremien haben nun 30 Tage Zeit, ihr Votum aus der Vorrunde zu überdenken und gegebenenfalls zu korrigieren. Bei der Hauptabstimmung im Rahmen des "Fast Track"-Verfahrens war OOXML Anfang September zunächst durchgefallen. (Stefan Krempl) / (ad)