Abitur ohne Papier

Auf Schloss Neubeuern haben Hefte und Bücher weitgehend ausgedient. Deutschlands erste papierlose Schule setzt schon seit Jahren auf den Tablet-Computer. Nun schreiben die angehenden Akademiker darauf erstmals ihr Abitur.

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Von
  • Paul Winterer
  • dpa

Antonia Kilger vertraut der Technik. "Da kann nichts schiefgehen", sagt die 18-Jährige. Die Gymnasiastin der 12. Klasse an der Internatsschule Schloss Neubeuern gehört zu den ersten in Deutschland, die ihr Abitur nicht auf Papier, sondern auf Computern schreiben. 28 weitere Abiturienten der Privatschule tun es ihr gleich. An diesem Freitag beginnen in Bayern die schriftlichen Abiturprüfungen. Schon seit der 9. Klasse lernen die angehenden Akademiker auf einem Tablet-Computer.

Keine Tafel, keine Kreide, keine Hefte, keine Bücher – stattdessen futuristisch anmutende Schreibtische mit Dockingstation für den Computer – das Klassenzimmer der Zukunft ist in dem altehrwürdigen Schloss nahe Rosenheim längst Alltag. Lehrer und Schüler verzichten von der 9. Klasse an auf Tinte und Papier. Stattdessen haben alle Schüler ein Tablet. Auf dem Display schreiben sie mit einem Stift elektronisch. Die Software erkennt die Handschrift des Schülers. Arbeiten werden vom Lehrer digital eingesammelt.

Und nun der nächste Schritt – das nach Angaben aus Neubeuern deutschlandweit erste Abitur auf Tablet-Computern. Erst sei die Kultusbürokratie in München dem Ansinnen skeptisch bis ablehnend gegenübergestanden, erinnert sich Schulleiter Jörg Müller. "Doch dann konnten wir auch die Juristen im Kultusministerium überzeugen." Geschlossene Netzwerke sorgen dafür, dass die Abiturienten keinen Zugriff auf Daten von außerhalb haben, also nicht elektronisch spicken können.

Beim ersten Abitur auf dem Tablet dürfen die Schüler allerdings nur mit den Eingabestiften schreiben – die Tastatur ist tabu. "Wir sind noch nicht da angekommen, wo wir hin wollen", erläutert Müller. Dem Argument des Ministeriums, das Schreiben auf Tastatur gehe deutlich schneller als mit dem Kugelschreiber, begegnet Müller mit einem Vorschlag: "Wie wäre es, wenn wie statt fünf Stunden Zeit für das Deutsch-Abitur nur viereinhalb Stunden bekämen?" Der Schulleiter ist sich sicher, dass seine Schützlinge dies akzeptieren würden.

Vorerst bedeutet das Tastatur-Verbot, dass 65 Prozent der Schüler ihr Deutsch-Abitur noch auf Papier schreiben. Ohnedies werden alle Prüfungsaufgaben nach der elektronischen Abgabe ausgedruckt und mit Tinte korrigiert sowie mehrere Jahre archiviert. Auch das will der Schulleiter im Laufe der Jahre aber abschaffen.

Antonia Kilger lernt schon das vierte Schuljahr in Folge nur noch mit ihrem Tablet. "Anfangs fand ich es cool, doch dann kamen Zweifel auf", erinnert sich die junge Frau mit dem Studienwunsch Betriebswirtschaftslehre oder Jura. "Nach einem Jahr waren aber alle Bedenken verflogen."

Auch Mitschüler Christopher Hardy verspürte in den ersten Wochen des Unterrichts mit dem Computer Verunsicherung. "Es war aufregend und lief holprig an", sagt der 18-Jährige aus dem rheinland-pfälzischen Weinort Wachenheim. "Aber wenn Neubeuern etwas macht, dann ganz", lobt der im US-amerikanischen Atlanta geborene Abiturient seine Schule. Alle Vorbehalte seien nach kurzer Zeit ausgeräumt worden.

Auch Englischlehrer Sebastian Görlitz ist zuversichtlich, dass beim ersten Abitur auf Computer alles gut geht. "Die Schüler haben die allerwenigsten Probleme damit", meint der 31-Jährige. So mancher ältere Lehrer tue sich da schon schwerer mit der Umstellung. "Aber wir jüngeren akzeptieren das." Das Kultusministerium beobachtet die Premiere genau. "Wir sammeln erstmals Erfahrungen, wie das Abitur vor dem Hintergrund der Gleichbehandlung aller Schüler auch auf PC geschrieben werden kann", sagt Ministeriumssprecher Ludwig Unger.

Das Alleinstellungsmerkmal der ersten papierlosen Schule Deutschlands kommt anscheinend gut an. Auf dem Schlossberg von Neubeuern entsteht gerade ein Erweiterungsbau mit 35 neuen Internatsplätzen. 180 Heim- und 50 Tagesschüler sollen dann in dem Schloss mit den pittoresk anmutenden Türmchen Platz haben.

Die Kinder und Jugendlichen kommen aus aller Welt: China, Korea, Pakistan, Vietnam oder die Ukraine sind nur einige der Länder. Der Anteil der ausländischen Schüler liegt derzeit bei rund 20 Prozent. Schulkleidung ist Pflicht. Wer sein Kind nach Neubeuern schickt, muss freilich eine dicke Brieftasche haben: Allein die Internatsgebühr beträgt 2840 Euro im Monat, Kaution und Aufnahmegebühr kommen hinzu. (anw)