re:publica: Der Datenschutz und die "schizophrenen Konsumenten"

Guter Datenschutz sei kein Wettbewerbsvorteil für Firmen, hieß es auf der Internetkonferenz von Industrieseite. Online-Dienste, die laxer mit der Privatsphäre der Nutzer umgingen, würden nicht weniger genutzt.

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Das Hüten der Privatsphäre der Nutzer zahlt sich für Unternehmen bislang nach Auffassung der Industrie nicht aus. Guter Datenschutz sei kein Wettbewerbsvorteil für Firmen, erklärte Susanne Dehmel vom Hightech-Verband Bitkom am Mittwoch auf der re:publica in Berlin. Dies liege daran, dass die Konsumenten sich "schizophren" verhielten. Allgemein werde der Datenschutz zwar gern eingefordert. Andererseits sei nicht zu erkennen, dass Dienste, die laxer mit personenbezogenen Informationen umgehen, weniger genutzt würden.

Firmen seien darauf angewiesen, das der Bürger ein gewisses Vertrauen in die Verarbeitung der eigenen Daten habe, räumte Dehmel auf der Netzkonferenz ein. Die Politik dürfe das Rad mit Auflagen aber nicht überdrehen. Insgesamt sei die derzeit vom EU-Parlament beratene Datenschutzreform zu begrüßen, da sie eine einheitliche Rechtsgrundlage für alle Mitgliedsländer und den europäischen Markt anvisierende Unternehmen aus Drittstaaten schaffe. Die "ein oder andere bürokratische Maßnahme" sei aber noch auszusieben. So könne man etwa durch technische Maßnahmen wie Pseudonymisierung oft mehr erreichen als durch gesetzliche Vorgaben.

Ohne einen rechtlichen Rahmen gehe es nicht, bekannte die Bitkom-Vertreterin: "Selbstregulierung ist im Datenschutz bislang keine Erfolgsgeschichte." Dies habe auch der weitgehend gescheiterte Versuch gezeigt, einen einschlägigen Kodex für soziale Netzwerke zu entwerfen. Wenn die geplante EU-Datenschutzverordnung klarere Grundsätze für Selbstverpflichtungen aufstelle, könnte sich die Branche aber einfacher etwa auf Umsetzungsvorhaben für die künftig geforderten Folgenabschätzungen besonders risikobehafteter Dienste oder Standards fürs Cloud Computing einigen.

Auf der re:publica 13: Paul Nemitz, Max Schrems,Ninja Marnau, Linnea Riensberg, Susanne Dehmel und Jan Philipp Albrecht

(Bild: Stefan Krempl)

Paul Nemitz, Leiter der Abteilung Grundrechte in der Generaldirektion Justiz bei der EU-Kommission, konstatierte, dass nur ein hoher Datenschutzstandard die nötige Akzeptanz für die digitale Wirtschaft schaffe. Da in Deutschland die Bürger besonders aufmerksam für dieses Thema seien, hätte eine Absenkung des Schutzniveaus für die hiesigen Unternehmen "erhebliche Folgen". Den Bitkom sieht Nemitz so gefordert, gegen entsprechende Vorschläge von Verbänden aus anderen Mitgliedsstaaten zu intervenieren. Da US-Konzerne wie Microsoft mittlerweile große Werbekampagnen unter dem Aufhänger Datenschutz führen, müssten deutsche Firmen aufpassen, ihren Vorsprung nicht zu verlieren.

Generell zeigte sich der Brüsseler Abgesandte zuversichtlich, dass der Schutz der Privatsphäre beim Durchkommen der Initiative "auf Vorstandsebene beachtet wird". Dies bewirkten künftig mögliche Strafzahlungen in Höhe von zwei Prozent vom Weltumsatz eines Unternehmens bei Rechtsverstößen. Man habe sich dabei am Wettbewerbsrecht orientiert, wo die Sanktionen sogar bis zu zehn Prozent der Einnahmen betragen dürften. Bislang liege die Höchststrafe bei Datenschutzvergehen bei 600.000 Euro.

Der Berichterstatter für den Verordnungsentwurf im EU-Parlament, Jan Philipp Albrecht, beklagte, dass viele Änderungswünsche aus der Wirtschaft einen "Frontalangriff auf den Datenschutz" darstellten. Der Vorschlag, pseudonymisierte Daten allgemein vom Prinzip der Erfordernis einer Einwilligung in eine Verarbeitung personenbezogener Informationen auszunehmen, gehöre etwa in diese Kategorie. Eine "vollkommen absurde" Studie habe die US-Handelskammer vorgelegt, wonach das bereits bestehende, mit der Reform ausgebaute Recht auf das Löschen eigener Daten einer "Wohlstandseinbuße" in Höhe von 4000 Euro pro Haushalt pro Jahr gleichkäme.

Das im Raum stehende Gesetz stellt laut Albrecht "unsere einzige Chance" dar, um ein Zerschießen der Grundrechte der EU-Bürger in einer globalisierten Welt zu verhindern. Letztlich gehe es darum, das Datenschutzrecht zu vereinheitlichen und durchsetzbar zu machen. Damit würden zumindest bestehende Wettbewerbsnachteile für Firmen, die den Schutz der Privatsphäre ernst nähmen, beseitigt. Wichtig sei jetzt ein öffentlicher Druck, um das Vorhaben durchs Parlament zu bringen. Gegenüber heise online bestätigte der Grüne Berichte, wonach sich die Abstimmung im federführenden Innenausschuss erneut um einige Wochen auf Ende Juni oder Anfang Juli verzögern werde. Der Fahrplan insgesamt sei damit aber nicht bedroht.

Einen "Aufschrei aus der Netzgemeinde und den Medien" über den Großteil der über 3000, große Löcher in den Datenschutz reißenden Änderungsanträge vermisste Max Schrems von der Kampagne Europe vs. Facebook. Offenbar sei vielen noch nicht klar, dass das Gesetz "für zwanzig Jahre lang unsere Privatsphäre bestimmt". Der Industrie gehe es darum, so viele Ausnahmeklauseln einzubauen, dass es erst gar nicht zu einer Strafe käme.

Generell sieht der Österreicher den Staat und Unternehmen in der Pflicht, die Grundrechte zu wahren und die Finger von dagegen verstoßenden Vorschlägen zu lassen. Ninja Marnau vom Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein monierte, dass viele Geschäftsmodelle datensammelnder Unternehmen schon lange illegal seien. Erst mit der Reform erhielten die staatlichen Kontrolleure aber die Möglichkeit, dagegen länderübergreifend vorzugehen. (bo)