Interview mit Robert Götzfried: "Allein im Kino"

Robert Götzfried mag öffentliche Räume – aber nur, wenn Sie menschenleer sind. In ihnen sucht er nach "Gleichungen, die immer aufgehen".

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Dr. Thomas Hafen
  • seen.by

Robert Götzfried mag öffentliche Räume – aber nur, wenn Sie menschenleer sind. In ihnen sucht er nach "Gleichungen, die immer aufgehen".

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Sie fotografieren Schwimmbäder, U-Bahnhöfe, Kinos und Kegelbahnen außerhalb der Öffnungszeiten. Warum verzichten Sie auf die Menschen, für die diese Räume eigentlich gedacht sind?

Götzfried: Es ist ein erhabenes Gefühl, diese Orte für sich zu haben: Man kommt sich klein und unbedeutend vor. Ein idealer Ausgleich nach einem lauten und anstrengenden Tag.

Und das gibt Ihnen die Kraft, trotz eines Vollzeitjobs morgens um fünf Uhr aufzustehen oder sich die halbe Nacht in U-Bahnschächten herumzutreiben?

Götzfried: Absolut! Stimmt das Ergebnis, ist das ein wahnsinniger Energieschub. Wenn ich morgens aufwache und weiß, dass ich gleich ein Schwimmbad fotografieren darf, oder nachts so lange aufbleibe, bis niemand mehr in der U-Bahn ist – das ist es ausnahmslos wert. Bei meiner persönlichen Kosten-Nutzen-Rechnung schneide ich sehr gut ab.


Wir Menschen verlagern heute das Private immer mehr in die Öffentlichkeit: Viele führen intime Handygespräche im Zug oder spazieren in Jogginghosen in die Kirche. Reagieren Sie mit Ihrer Fotografie auch auf dieses Verschwinden des öffentlichen Raumes?

Götzfried: Auf jeden Fall. Mit zunehmendem Alter stört mich das immer mehr. Für mich gibt es nichts Schlimmeres, als am Samstag zu Ikea zu gehen oder auf den Münchener Marienplatz. Undenkbar, dort ein Foto zu schießen.

Dabei dürfen Sie ja gar nicht menschenscheu sein, oder? In Bädern, Museen oder Kinos kommt man außerhalb der Öffnungszeiten sicherlich nur mit viel Überredungskunst hinein.

Götzfried: Gerade für die Schwimmbäder-Fotos habe ich sehr viele Telefonate mit Stadtwerken geführt, die anfangs sehr unbefriedigend waren. Schließlich habe ich aber doch die Genehmigung bekommen – an dieser Stelle nochmal ein großes Dankeschön an die M-Bäder in München.

Haben Sie bei so viel Interaktion im Vorfeld nicht doch mal Lust bekommen, ein paar Menschen mit abzubilden?

Götzfried: Ich habe darüber nachgedacht. Bei den Bädern hätte es sich beispielsweise angeboten, die Bademeister mit zu fotografieren.


Und bei den Kegelbahnen? Da will man doch wissen: Wer kegelt denn da?

Götzfried: Mag sein. Ich möchte diese Orte aber so darstellen, wie man sie sonst nicht wahrnimmt. Wer an ein Schwimmbad denkt, hat sofort ein Bild im Kopf – kreischende Kinder, verschlucktes Chlorwasser. Meine Fotos sind dagegen still, sie haben etwas Meditatives mit der Wasserspiegelung. Bei den Kinos ist es ähnlich. Man kommt selten in einen leeren Saal. Manchmal hat man das Glück, der erste zu sein, aber dann sitzen schnell Leute hinter einem und rascheln mit der Chipstüte. Manche Bilder haben auch historischen Wert. Ich habe in München das Filmcasino am vorletzten Tag fotografiert, bevor es geschlossen wurde, das Gloria vor dem Umbau. Die wunderschönen Kinos sterben ja weg. Insofern hat meine Fotografie auch konservierenden Charakter.

Ihre Bilder sind nach Ihrer eigenen Aussage "Gleichungen, die immer aufgehen". Sind Sie ein verhinderter Mathematiker?

Götzfried: Um Gottes Willen – ich war in keinem Fach schlechter als in Mathematik. Deshalb bin ich wohl Grafiker geworden. Nein, im Ernst: Diese Suche nach Rastern und Symmetrien ist eine Art Berufskrankheit. Ich ordne gerne, ich denke und arbeite in Serien. Das ist fast ein bisschen zwanghaft. Aber von Mathematik ist das meilenweit weg.


Wie kommen Sie auf neue Motivideen?

Götzfried: Manche fallen mir zu. Ich war neulich zum Beispiel im Fitnessstudio auf dem Cross-Trainer und habe dabei ferngesehen. Da lief ein Bericht über einen Gerichtsprozess und mir kam spontan die Idee, dass ich gerne Gerichtssäle fotografieren würde. Deren Aufbau ist immer gleich, das passt sehr gut zum Konzept meiner Serie. Denke ich zumindest – ich war noch nie in einem Gerichtssaal.

Betreiben Sie viel Aufwand, um sicherzugehen, dass Ihre Motive nicht schon fotografiert wurden?

Götzfried: Es ist besser, nicht so wahnsinnig tief zu recherchieren. Wenn man eine eigene Bildidee hat, geht man relativ unvoreingenommen an das Thema heran und die Wahrscheinlichkeit ist sehr klein, dass genau dasselbe herauskommt wie bei jemand anderem. So entwickelt man auch viel eher eine eigene Handschrift.


Andere Fotografen recherchieren offenbar mehr – Ihre Aufnahmen der Münchner U-Bahn wurden ja schon mehrfach kopiert. Ärgernis oder Ehre?

Götzfried: Kommt darauf an. Die extremen Fluchten von U-Bahnhöfen drängen sich auf, das haben andere wahrscheinlich unabhängig von mir erkannt – auch vor mir. Und bei den Kinos würde ich selbst nie ein Geheimnis daraus machen, dass andere sie bereits ähnlich fotografiert haben – Hiroshi Sugimoto oder Candida Höfer etwa. Aber wenn jemand an genau dieselbe Stelle geht und genau dasselbe Bild aus demselben Winkel macht und seine Quelle nicht einmal nennt, ärgert mich das.

Der Begriff "Original" ist in der Fotografie ja ohnehin problematisch.

Götzfried: Originell ist grundsätzlich immer die Idee – das ist in der Fotografie nicht anders als bei anderen Kunstformen. Der klassischen Vorstellung vom Original kommen die limitierten Editionen wohl am nächsten.


Der Markt für Fotokunst ist in Deutschland dennoch schwierig, wenn man von wenigen großen Namen absieht.

Götzfried: Richtig. Das Verständnis wächst aber, obwohl es natürlich immer noch ein Unterschied ist, ob jemand ein Gemälde malt, also ein echtes Einzelstück – oder ob er einen Abzug anbietet. Im Vergleich zur Situation vor 15 Jahren hat sich jedoch viel gebessert.

Die Konkurrenz ist – nicht zuletzt durch die Digitalisierung – enorm gewachsen. Wie besteht man in diesem Markt?

Götzfried: Gut zu sein, reicht nicht – es gibt viele gute Leute. Man muss über einen langen Zeitraum hinweg ein Thema oder eine Linie verfolgen. Und immer wieder beweisen, dass man die Aufmerksamkeit wert ist.

Lohnt es sich, mit Agenturen oder Fotokunst-Plattformen zusammenzuarbeiten?

Götzfried: Absolut! Ich werde zum Beispiel hervorragend von den ICAA, den Independent Contemporary Art Advisors vertreten. Dr. Annette Doms, der Kopf dahinter, kennt den Markt seit 15 Jahren und hat ein sehr schönes Portfolio an Künstlern und an Kunden, die sich dafür interessieren. (keh)