Gesetzentwurf gegen Abmahnabzocker entzweit Experten

Richter, Anwälte und Filmproduzenten warnten in einer Anhörung im Bundestag, dass der Regierungsentwurf gegen "unseriöse Geschäftspraktiken" die Urheberrechtsdurchsetzung erschwere. Verbraucherschützern geht er nicht weit genug.

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Richter, Anwälte und Filmproduzenten warnten in einer Anhörung im Bundestag am Mittwochabend, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung gegen "unseriöse Geschäftspraktiken" die Urheberrechtsdurchsetzung erschwere. Den Streitwert bei ersten Abmahnungen wegen einfacher Urheberrechtsverletzungen zu senken "setzt an der falschen Stelle an", befand etwa Joachim Bornkamm, Vorsitzender des Ersten Zivilsenats am Bundesgerichtshof (BGH). Besser sei es, die Anwaltskosten bei ungerechtfertigten Abmahnungen "nicht anrechenbar" zu machen. "Sprachlos" machten ihn Forderungen, dass Urheberrechtsverstöße im privaten Bereich gar nicht mehr verfolgt werden sollten.

Wenn der Gesetzgeber wolle, dass "unwesentliche Rechtsverstöße" tatsächlich ohne jede Konsequenz blieben, müsse er dies im materiellen Urheberrecht regeln, meinte Frank-Michael Goebel, Richter am Oberlandesgericht Koblenz. Das von der Regierung gewählte Kostenrecht sei nicht der geeignete Ort dafür. Goebel machte sich aber dafür stark, dass "effektiver Rechtsschutz irgendwo gelebt werden muss".

Als unflexibel, ungerecht und unfair kritisierte der Berliner Fachanwalt für Urheberrecht Jan Bernd Nordemann die Deckelung. Der Grad privater Urheberrechtsverletzungen sei völlig unterschiedlich, die Spannweite reiche vom Download eines Songs bis dahin, einen teuren Kinofilm öffentlich zugänglich zu machen. Die Kostenerstattung für einen Rechtsbeistand herabzusetzen führe dazu, dass Rechteinhaber oder ihre Vertreter bei einer außergerichtlichen Streitbeilegung "immer dazuzahlen" müssten.

Dazu komme, dass Filesharing derzeit "üblich" sei, führte Nordemann aus. Die eingebaute Ausnahmeklausel, wonach die Kostenbremse von "besonderen Umständen des Einzelfalles" abhängig gemacht werden dürfte, könne so beim Dateitauschen nicht beansprucht werden. Laut Gesetzesbegründung müsse für das Ansetzen gängiger Anwaltsgebühren nämlich etwa eine "in relevantem Ausmaß vom üblichen Maß abweichende Anzahl oder Schwere der Rechtsverletzung" vorliegen. Das könne dazu führen, "dass gefährliche private Verletzungen nicht verfolgt werden". Da dies "verfassungsrechtlich relevant" wäre, müsse es eine kostengünstige Alternative geben. Diese könne etwa in einem Warnsystem für Copyright-Sünder bestehen.

Auch Mirko Möller von der Bundesrechtsanwaltskammer riet von der "Streitwertsvorgabe" ab. Letztlich könne die Pauschale nämlich auch "deutlich zu hoch sein". Andererseits wären die verbliebenen 97 Euro an erstattetem Aufwand in der Regel zu niedrig, um die Verteidigung für einen Abgemahnten zu übernehmen. So würden die Verbraucher eventuell schutzlos gestellt. Das Geschäftsmodell von Abmahnkanzleien werde dagegen kaum tangiert, da es sich um automatisierte, mit Textbausteinen durchgeführte Verfahren handle, bei denen von einer umfassenden anwaltlichen Dienstleistung keine Rede sein könne.

"Filesharing geht massiv zurück", meinte Sebastian Bergau von Constantin Film. Daher werde die Produktionsfirma vermutlich dieses Jahr 20 Prozent weniger Abmahnungen verschicken als noch 2010. Der Jurist rechnet aber damit, dass der Gesetzentwurf diese positive Entwicklung konterkarieren könne. Besonders rieb er sich an dem Gegenanspruch auf Ersatz von Rechtsverteidigungskosten bei unberechtigten Abmahnungen. Da ein betroffener Anschlussinhaber die Möglichkeit habe, seine Unschuld zu beweisen, erhöhe sich so das wirtschaftliche Risiko für die Industrie wesentlich.

Verbraucherschützer forderten derweil unisono, die Ausnahmeregel in der Klausel zum Kappen der Anwaltskosten zu streichen. Andererseits wären 78 Prozent der derzeit wichtigsten Abmahnkonstellationen geeignet, die erwähnten "besonderen Umständen des Einzelfalles" sowie die weiter in dem Paragraphen aufgeführten unbestimmten Rechtsbegriffe zu erfüllen, erklärte Lina Ehrig vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv). Damit würde das Ziel des Gesetzes verfehlt.

Die Medienreferentin sprach sich dafür aus, den Auskunftsanspruch zu begrenzen. Damit können Rechteinhaber von Providern erfragen, welche Personen hinter IP-Adressen stecken. Sie unterstütze einen Vorstoß der Grünen, wonach das Instrument nur noch angewendet werden können soll gegen Nutzer, die "im geschäftlichen Verkehr das Urheberrecht" verletzen. Sinnvoll wäre auch eine Bagatellvorschrift, wonach geringfügige Urheberrechtsverstöße generell straffrei bleiben sollen.

Iwona Husemann von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen berichtete entgegen der Ansage Bergaus, dass die Zahlen der Abmahnschreiben seit Monaten auf hohem Niveau lägen. Sie monierte, dass der über reine Anwaltskosten hinausgehende Schadenersatzanspruch von Rechteinhabern und Verwertern nicht geregelt werde. Dieser werde über Lizenzanalogien gebildet, wobei Gerichte derzeit bis zu 2000 Euro für ein einzelnes Musikstück ansetzten. So werde eine Hintertür für hohe Forderungen offen gehalten.

Der Kölner Rechtsanwalt Christian Solmecke sah ebenfalls dringenden Anpassungsbedarf beim Auskunftsanspruch. Derzeit würden monatlich die Identitäten hinter etwa 300.000 IP-Adressen abgefragt. Dabei passierten häufig Fehler. So habe Telefonica etwa bei 10.000 Ersuchen falsche, auf die USA bezogene Uhrzeiten mitgeteilt. Der "fliegende Gerichtsstand" bei Urheberrechtsverstößen müsse abgeschafft werden, da die Streitigkeiten derzeit fast alle bei den urheberrechtsfreundlichen Gerichten in Hamburg, Köln und München ausgetragen würden.

Sonst plädierte Solmecke dafür, der bisherigen Gesetzesvorgabe, die Anwaltskosten auf 100 Euro bei ersten Abmahnungen ohne gewerbliches Ausmaß zu beschränken, noch Raum zur Entfaltung zu geben. Der BGH etwa habe sich damit noch gar nicht intensiv auseinandergesetzt. Bestimmungen zum gewerblichen Ausmaß sollten dagegen gestrichen werden, da dieses der Rechtsprechung zufolge immer dann gegeben sei, wenn aktuelle Werke getauscht würden. (anw)