EuroHawk: Verteidigungsminister unter Beschuss

Die Opposition kritisiert Verteidigungsminister Thomas de Maizière nach dem Aus für das Drohnenprojekt für seine Beschaffungs- und Informationspolitik. Techniker sind eher erstaunt, dass die Debatte erst jetzt stattfindet.

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Von
  • Detlef Borchers

Das Aus für das Drohnenprojekt EuroHawk empört Politiker, die sich unzureichend vom Verteidigungsministerium informiert fühlen. So fordert Carsten Schneider, haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Passauer Neuen Presse auf, die Aufklärung zur Chefsache zu machen. SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold forderte in der Rheinischen Post personelle Konsequenzen und Omid Nouripour, verteidigungspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, wirft Verteidigungsminister Thomas de Maizière im Handelsblatt eine pannenreiche Beschaffungspolitik vor. Parteikollege Jürgen Trittin sagte in der ARD, es sei offensichtlich auf der höchsten Ebene des Bundesverteidigungsministeriums entschieden worden, dass der Bundesrechnungshof über die Vertragsbestandteile nicht komplett und korrekt informiert wird. Das sei ein Verstoß gegen das Gesetz.

Techniker sind eher erstaunt, dass die Debatte erst jetzt stattfindet. Spätestens seit einer Drohnen-Tagung im Jahre 2011 ist bekannt, dass die Integration des EuroHawks in den allgemeinen Luftverkehr eine knifflige Frage ist und ihre Lösung die Krönung einer aufstrebenden Branche. Am 5. Juni will de Maizière einen "umfassenden Bericht" vorlegen, wie es dazu kommen konnte, dass während des Drohnenprojekts die Luftverkehrszulassung außen vor gelassen wurde. Bis dahin deuten Indizien darauf hin, dass bis zum "Schluss" die Bedeutung der detaillierten lufffahrttechnischen Zulassung mitsamt der Einsichtnahme in geheime Konstruktionsunterlagen ignoriert wurde.

Laut den Geschäftsberichten der EuroHawk GmbH hat der Bund in den Jahren 2010 und 2011 etwas über 692 Millionen Euro für den EuroHawk gezahlt. Dafür schickte Northrop Grumman, der eine Partner des Joint Ventures, eine Global Hawk Block 20 (RQ-4B) über den Teich und bildete elf Piloten der Luftwaffe im Fliegen der Langstreckendrohne aus. Die EADS-Tochter Cassidian, der andere Partner des Joint Ventures, war dagegen nur für die "Payload" zuständig und entwickelte und produzierte die SIGINT-Ausrüstung und die Kommunikationstechnik zum Versand der Daten an die Auswertungsstation auf dem Boden. Beide Partner kümmerten sich um die Tests des Gesamtsystems, das im Jahre 2000 unter Verteidigungsminister Rudolf Scharping unter dem Bundeswehrnamen SLÜWA gestartet worden war: "Systeme der Signalerfassenden Luftgestützten Weiträumigen Überwachung und Aufklärung".

In der Frage der Flugzulassung gibt sich Cassidian-Chef Bernd Grewert ahnungslos. Gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erklärte er: "Nur wenn Zertifizierungsstandards bereits bei der Entwicklung eines Flugsystems berücksichtigt werden, lassen sich langwierige und kostspielige Nachzertifizierungen vermeiden." Von Northrop Grumman gibt es eine ähnliche Stellungnahme: Gegenüber der Welt erklärte Pressesprecher Tim Paynter, dass seine Firma keine Kündigung des Drohnen-Liefervertrages erhalten habe. Außerdem habe der Konzern niemals einen Auftrag zur Zertifizierung der Drohne erhalten. Die Darstellung sei falsch, dass es Probleme mit dem Flugleitsystem gebe, dieses arbeite "fehlerfrei".

Dass der Kontakt zur Drohne auf dem Überführungsflug von Kalifornien nach Deutschland zweimal abgerissen war, wurde auf der Internationalen Luftfahrtshow in Berlin 2012 bekannt, aber nicht diskutiert. Schließlich war die Steuerung nicht beeinträchtigt; die Maschine flog ihren einprogrammierten Kurs – weitab der Zivilisation, denn für die USA gab es keine Überflugerlaubnis. Auf der Show wurde die milititärische Zukunft der Drohnentechnik gefeiert, während die Verkehrszulassung als Petitesse galt. Zuvor hatte die für die Zulassung zuständige Wehrtechnische Dienststelle 61 ja selbst im August 2011 gegenüber einer Bundeswehr-Journalistin erklärt: "Wir haben schließlich nur einen gemeinsamen Luftraum, und den nutzen wir zusammen mit der zivilen Luftfahrt". Keine Zweifel wurden laut, dass auf die vorläufige Musterzulassung des EuroHawk für Testflüge im abgesperrten Luftraum eine Typzulassung folgen wird. Schließlich hatte es schon 2008 in dem Bundeswehr-Papier "Konzeptionelle Grundvorstellungen zum Einsatz unbemannter Luftfahrzeuge" geheißen: "Drohnen, die für die Teilnahme am allgemeinen Luftverkehr vorgesehen seien, müssten grundsätzlich die gleichen luftfahrtrechtlichen Sicherheitsstandards wie bemannte Systeme erfüllen".

Bezogen auf den europäischen Luftraum muss hier das NATO-Projekt Advanced Ground Surveillance (AGS) erwähnt werden, die Anschaffung von mehreren Drohen des Typs Global Hawk Block 40 zur Überwachung des europäischen Raumes. Bei diesem Projekt ist Deutschland anteilig mit rund 500 Millionen Euro dabei, von denen bereits 120 Millionen im Jahre 2012 bezahlt wurden – auf besonderes Drängen des Verteidigungsministers. Als Datenzulieferer stellt die EuroHawk ein Teil der Aufklärungsfähigkeiten des ambitionierten Programmes. Die Musterzulassung dieser direkt von Northrop Grumman erworbenen Drohnen, die nur von US-Airforce-Piloten gesteuert werden dürfen, sollte in Italien erfolgen. Dies ist vor allem darin begründet, dass bereits heute Global Hawks auf der italienischen Flugbasis Sigonella starten und landen dürfen. Dahinter steckt eine Sondergenehmigung, die der damalige italienische Premierminister Silvio Berlusconi mitten im Wahlkampf im Jahr 2008 vergab. Der Schritt war für die US-Amerikaner so wichtig, dass sich ihre höchsten Militärs direkt bedanken sollten, wie eine von Wikileaks veröffentlichte US-Depesche zeigt.

Von Sigonella aus sollen die AGS-Drohnen außerhalb der 12-Meilen-Zone auf über 15.000 Metern aufsteigen, in der kein ziviler Luftverkehr operiert. Das Konzept erinnert an den EuroHawk, der von seiner Basis in Jagel aus über der Deutschen Bucht an Höhe gewinnen soll, ehe er zwischen Cuxhaven und Garmisch-Patenkirchen seinen Rundflug beginnt. Nach Darstellung von Insidern ist es dieses maritime Konzept, das die Frage der Zulassung der Drohne für den allgemeinen Luftverkehr in den Hintergrund drängte. Ein Sense-and-Avoid-System, das bei zivilen Flugzeugen längst Standard ist, war für die EuroHawk nicht vorgesehen, weil es auf ihrer Flughöhe kein Ausweichmanöver notwendig ist. Im Notfall, wenn der EuroHawk als Segler vorprogrammiert einen der sieben dafür ausgerüsteten Militärflugplätze erreichen muss, wird ohnehin kein Ausweichmanöver zu fliegen sein. Erst als mit dem Überführungsflug der EuroHawk nach Deutschland klar wurde, dass der Kontakt zur Drohne abreißen kann, stellte sich die Frage der allgemeinen luftfahrttechnischen Zulassung, mit allen damit verbundenen Kosten inklusive eingebauter Reißleine. (anw)