Wikimedia verurteilt Artikel-Sperrungen in Großbritannien

Die Wikimedia Foundation hat die Sperre eines Wikipedia-Artikels in Großbritannien als Zensur verurteilt. Die Internet Watch Foundation verteidigt jedoch ihre Maßnahme.

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  • Torsten Kleinz

Die Wikimedia Foundation hat die Sperre eines Wikipedia-Artikels in Großbritannien als Zensur verurteilt. Die Internet Watch Foundation (IWF) verteidigt jedoch ihre Maßnahme.

"Seit dem 6. Dezember können die meisten Internet-Nutzer in Großbritannien keinen vollen Zugriff mehr auf die Wikipedia" bekommen, heißt es in einem Statement der Wikimedia Foundation. Die meisten Provider des Landes sperren derzeit den Artikel über das 1976 erschienene Album Virgin Killer der Band The Scorpions. Das Cover zeigt das Bild eines nackten, zirka 12-jährigen Mädchens.

Durch die Sperre sind aber auch andere Teile der Wikipedia in Mitleidenschaft gezogen worden. Da der Wikipedia-Traffic durch wenige transparente Proxies geleitet wird, sahen sich die Wikipedia-Administratoren gezwungen, diese IPs von der Mitarbeit in der Wikipedia auszuschließen – nur wer sich bereits angemeldet hat, kann noch an der Online-Enzyklopädie mitarbeiten. Darüber hinaus berichten Nutzer von Performance-Problemen beim Zugriff auf die Online-Enzyklopädie.

Am Sonntag hatte die Foundation noch versucht, die Sperrung auf gütlichem Wege zu beseitigen – offenbar ohne Erfolg. In einem ersten Statement schildert die IWF, die eine Sperrliste für die meisten britischen Provider erstellt und mit staatlichen Stellen zusammenarbeitet, die Wikipedia-Sperre als alltäglichen Vorgang. Die beanstandete Seite sei im Dezember bei der IWF als bedenklich gemeldet worden. "Der Inhalt wurde als potenziell illegales unsittliches Bild eines minderjährigen Kindes eingestuft", heißt es in dem Statement. Dabei beruft sich die Organisation auf die Richtlinien zum Sexual Offences Act (PDF-Datei), die das erotische Posieren unbekleideter Kinder als Verstoß auf unterster Ebene definiert.

Die Wikimedia-Foundation widerspricht dieser Einschätzung. "Wir haben keinen Grund zu glauben, dass der betroffene Artikel oder das enthaltene Bild in irgendeiner Rechtsprechung dieser Welt als illegal eingestuft werden", erklärt der Rechtsberater Mike Godwin. "Man sollte beachten, dass das Bild derzeit auf Amazon abgebildet ist, von wo die CD von jedem Bürger Großbritanniens legal bestellt werden kann." Darüber hinaus sei das Bild auf tausenden Webseiten weiter zugänglich.

Die IWF sieht es nicht als ihre Aufgabe, mit den betroffenen Seitenbetreibern Kontakt aufzunehmen, wenn diese nicht in Großbritannien selbst angesiedelt sind. Man habe aber eine Partner-Hotline verständigt und Rücksprache mit den Ermittlungsbehörden gehalten, erklärt die IWF. Gegenüber der Nachrichtenagentur AP gab sich eine Sprecherin der Organisation von den Beschwerden der Wikipedianer überrascht: "Eigentlich sollte es bei dieser Sperre keine Kollateralschäden geben."

Die Organisation verweist darauf, dass ihre Liste auf freiwilliger Basis verwendet wird. 95 Prozent der Internet-Nutzer Großbritanniens seien derzeit von den Filtern der Selbstregulierungsorganisation abgedeckt. Die Arbeit der Organisation werde enorm positiv bewertet. In einer aktuellen Umfrage bescheinigten 97 Prozent der befragten Briten der IWF eine wichtige Aufgabe, gleichzeitig erklärten aber auch 94 Prozent, dass der uneingeschränkte Zugang zu allen Inhalten im Netz wichtig sei.

"Die IWF behauptet, ihr Ziel sei es, die Bürger Großbritanniens zu schützen, aber ich kann nicht erkennen, wie diese Maßnahme dazu beitragen soll", empört sich Sue Gardner, Geschäftsführerin der Wikimedia Foundation. "Die IWF hat nicht nur das Bild gesperrt, sondern auch den Artikel, der das Bild in einer neutralen enzyklopädischen Weise diskutiert." Nun seien die britischen Nutzer von Informationen ausgeschlossen, die überall auf der Welt frei erhältlich sind. "Ich möchte es der IWF nahelegen, die Sperre wieder aufzuheben", sagt Gardner.

Die Wikipedianer setzen auch auf öffentlichen Druck. In einer Fehlermeldung in der Wikipedia werden betroffene Nutzer dazu aufgefordert, ihren Provider zu kontaktieren. Als der Bundestagsabgeordnete Lutz Heilmann vor drei Wochen die Domain wikipedia.de sperren ließ, waren bei seiner Partei am Wochenende über 3000 Beschwerden eingegangen – der Abgeordnete zog seine einstweilige Verfügung schnellstmöglich zurück.

Der Chaos Computer Club (CCC) zeigt sich von dem Vorfall wenig überrascht: "Die Briten zeigen, was uns in Deutschland bevorsteht mit dem gerade frischen § 184c des Strafgesetzbuches und dem Vorstoß von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen zur Änderung des Telemediengesetzes zur 'unbürokratischen' Sperrung von Internetseiten", sagt CCC-Sprecher Frank Rosengart im Gespräch mit heise online.

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(Torsten Kleinz) / (jk)