Vor 40 Jahren: die Maus kreißte und gebar eine neue Welt

Heute vor 40 Jahren strömten Computerspezialisten in das Auditorium der Brooks Hall in San Francisco. Sie wollten das von der Association of Computing Machinery angekündigte "computer-based, interactive, multiconsole display system" sehen.

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Von
  • Detlef Borchers

Heute vor 40 Jahren strömten etwa 1000 Computerspezialisten an einem regnerischen Montag in das Auditorium der Brooks Hall in San Francisco. Die Teilnehmer der Herbsttagung der Association of Computing Machinery wollten sehen, was ihnen als Präsentation eines computer-based, interactive, multiconsole display system angekündigt worden war. Was sie in anderthalb Stunden unter Anleitung von Douglas Engelbart sahen, ist als Mother of all Demos in die Computergeschichte eingegangen und gilt heute als der Beginn des interaktiven Umgangs mit dem Computer. Zur Feier des Ereignisses gibt es in den USA eine Konferenz zur Zukunft des Computerns.

Vor wenigen Tagen hat die Firma Logitech ihre milliardste Computermaus in ihrer Fabrik im chinesischen SuzHou produziert. Reiht man diese Mäuse aneinander, würden sie dreimal die Erde umspannen. Die Erfolgsgeschichte der Maus begann mit der Präsentation von Douglas Engelbart, der die Maus patentieren ließ, aber wesentlich mehr wollte als nur "Maus-Erfinder" zu sein. Dass seine Erfindungen auf einer "MouseSite" gespeichert sind, dass seine Theorien am Bootstrap-Institute von Logitech finanziert werden, ist die sprichwörtliche Ironie der Geschichte. Man muss sie ergänzen durch den Designer Jack Kelley, der bei der Büromöbelfirma Herman Miller den Bürostuhl für Engelbarts Demonstration entwarf. Er gilt heute als Vater der Mausmatte.

Die von Engelbart und seinen Technikern produzierte Präsentation wurde zu einer Zeit durchgeführt, als Mainframes und Lochkarten das Bild der Computerarbeit bestimmten und erste Timesharing-Konzepte erprobt wurden. Zu diesem Abschnitt der Technikgeschichte gehörte das Vertrauen in technische Superleistungen: Der Mensch landet auf dem Mond, erobert den Mars und lebt in einer vollautomatischen Wohnung, von Robotern umgeben. Parallel zur berühmten "Mother of all Demos" zeigten Raj Reddy und Les Earnest vom Stanford Artificial Intelligence Lab (SAIL) im Nachbarraum des Veranstaltungscenters einen Film über einen Roboter, der sehen und hören kann und zeigten einen Karren, der auf dem Mond zum Einsatz kommen sollte.

Wer das komplette Video der sagenumwobenen Präsentation an jenem 9. Dezember 1968 sieht, bekommt eine Ahnung von der Augmentation Research, die Engelbart mit einem Team von 13 Programmierern und 7 Hardware-Ingenieuren betrieb. Hier ging es um eine Verschmelzung von Mensch und Maschine, um blitzschnelle Befehlseingabe und Cursor-Steuerung mit einer Chording-Tastatur und der Maus, die den Vorzug vor der Kniesteuerung bekam. Mensch und Computer sollten miteinander verschmelzen und eine höherwertige Einheit in der Aneignung und Speicherung von Wissen bilden. Nichts lag dem von Engelbart geleiteten Augmentation Research Center ferner als "Benutzerfreundlichkeit" und einfache Bedienung durch Otto Normalverbraucher. Als das "oNLine System" (NLS) entwickelt wurde, dachte man an kunstfertige Programmierer, die wie Violinisten ein schwieriges Instrument meisterhaft beherrschen. Die arkane Benutzeroberfläche des NLS wurde an einem Wochenende geschrieben und danach nie wieder verändert.

Für die Zuschauer war die Demonstration dennoch ein Erlebnis. Nach anderthalb Stunden gab es "standing Ovations". Es wurde gezeigt, wie eine Maus zum Ausschneiden und kopieren benutzt werden kann, wie Inhalte indexiert und direkt am Bildschirm sortiert werden können. Sie konnten verfolgen, wie aus einer Einkaufsliste der Weg der zu besuchenden Geschäfte als Grafik entsteht, bei der ein Klick auf die Station die Dinge anzeigt, die gekauft werden sollen. Für die Zuschauer, die es gewohnt waren, mit Lochkarten und Tabellierpapier zu arbeiten, war die Demonstration eine Offenbarung. Ein leistungsfähiger Schweizer Eidophor-Großbildprojektor sorgte dafür, dass erstmals Multimedia gezeigt werden konnte: Text, Grafik und eingeblendete Bilder der Arbeitsmittel wie der beteiligte Bediener verschmolzen zu einem einzigartigen Aha-Erlebnis im Stil einer Offenbarung. Der LSD-Aktivist Ken Kesey fasste seinen Eindruck vom NLS so zusammen: "It's the next thing after acid".

In dieser Hinsicht ist der Einfluss, den die "Mother of all Demos" auf die technische Entwicklung hatte, außerordentlich verzweigt und indirekt. Das beginnt schon beim Namen dieser Veranstaltung. Er stammt vom Informatiker Andries van Dam, der am Ende der Veranstaltung davon überzeugt war, einem Bluff aufgesessen zu sein und in Anlehnung an den Komiker W.C.Fields von der "Mother of all Snake-Oils" sprach. "Andries war fuchsteufelswild und wollte die Schnüre in diesem Marionettentheater sehen. Wir glaubten einfach nicht, dass jemand dieses System wirklich benutzte", erinnerte sich Alan Kay in einem Interview mit heise online im Jahre 2001. Van Dam arbeitete damals mit Ted Nelson an einem Hypertext-Editing System (HES). Danach konstruierte er unter dem Eindruck des Gesehenen FRESS, das File Retrieval and Editing Systems. FRESS war eines der ersten Hypertext-Systeme. Es kannte bereits Links, die "Jumps" genannt wurden und "Tags", die Hilfetexte öffneten. FRESS wurde mit Fußpedalen bedient, weil es keine Maus für die IBM/360 gab. Robert Cailliau, der später zusammen mit Tim Berners-Lee das World Wide Web entwickelte, nannte FRESS als Vorbild ihrer Hypertext-Forschung.

Drastischer ist vielleicht die Geschichte des jungen Programmierers Charles Irby, der unmittelbar nach der Demonstration mit einem Sitzstreik erreichte, dass er vom Hardware-Chefarchitekt Bill English beim Augmentation Research Center angestellt wurde. Zusammen mit English wechselte Irby zum PARC von Xerox, wo er die Benutzeroberfläche für den Xerox Star entwickelte. Später arbeitete Irby bei Silicon Graphics und Metaphor Computer Systems, danach bei General Magic, wo er als Chefarchitekt für Magic Cap und Telescript verantwortlich war.

Der Computer, auf dem NLS lief, war ein SDS 940 von der kalifornischen Firma Scientific Data Systems. Er stand 30 Meilen vom Veranstaltungsort entfernt in Menlo Park. Eigens für die Verbindung des Terminals wurden von Bill English Modems konstruiert, die 1200 Baud übertragen konnten, für die damalige Zeit eine Hochgeschwindigkeitsverbindung. Der Whole-Earth-Aktivist Stewart Brand, der als Kameramann bei der "Mother of all Demos" arbeitete, war von der Kommunikation nachhaltig beeindruckt und gründete später die WELL. Engelbarts Computer selbst war der Knoten Nr. 2, als das Arpanet als Vorläufer des Internets aufgebaut wurde. Die Verbindung sollte Forschungsgelder sichern, trug aber auch zum Niedergang des Projekts bei. Das perfekt für wenige Mitarbeiter ausbalancierte System "skalierte" nicht mit den erweiterten Anforderungen. Im Jahre 1976 wurde Engelbarts Labor an die Firma Tymshare verkauft, die mit ihrem Tymnet ein weltumspannendes kommerzielles Datennetz entwickelte. Engelbart arbeitete als Motivations- und Referenten-Trainer weiter und gründete das heute noch existierende Bootstrap Institute, das den Gedanken an die Erweiterung der menschlichen Fähigkeiten durch bessere Symbiose von Mensch und Maschinen weiter spinnt. (Detlef Borchers) / (pmz)