Internetrechtler: Vorratsdatenspeicherung dient dem Schutz der Menschenwürde

Dirk Heckmann hat die Protokollierung der Nutzerspuren aus humanitären Aspekten verteidigt, forderte zugleich aber eine stärkere Selbstbegrenzung auch des Staates beim Datensammeln. Heckmanns Thesen blieben aber nicht unwidersprochen.

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Der Passauer Rechtsprofessor Dirk Heckmann hat die umstrittene gesetzliche Verpflichtung von Providern zur Protokollierung von Nutzerspuren und andere staatliche Formen der Internetüberwachung unter humanitären Gesichtspunkten verteidigt. "Die Vorratsdatenspeicherung und die Online-Durchsuchung dienen auch dem Schutz des Menschen, der Privatsphäre", sagte der Staats-, Sicherheits- und Internetrechtler aus Bayern am gestrigen Montagabend. Zur Begründung seiner These verwies Heckmann, der auf dem Wissenschaftsforum "Vertraue niemand" der Wochenzeitung Die Zeit in Berlin sprach, auf ein jüngst veröffentlichtes Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Dieses kritisiert die finnische Regierung in einem Fall mit kinderpornographischen Hintergrund, dass sie nicht schon 1999 ein Rahmenwerk zur Aufdeckung der Nutzer hinter einer IP-Adresse in Kraft gesetzt habe.

"Die Vorratsdatenspeicherung als europäische Vorgabe ist ein Instrument, das dem Menschenrechtsschutz dient", folgerte das Mitglied des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs aus dem Beschluss. Die Datensammlung müsse aber rechtsstaatlich eingeschränkt werden. In diesem Sinne plädierte Heckmann für eine Selbstbegrenzung aller Akteure einschließlich des Staates, "um Vertrauen zurück zu gewinnen". So dürfe es etwa nicht sein, dass etwa auch Informationen von Meldebehörden im Netz kursieren. Bei der umstrittenen Novelle des Gesetzes für das Bundeskriminalamt (BKA) sieht der Jurist zudem die Gelegenheit für den Staat, sich selbst "ein Stück zurückzunehmen" und das Zeugnisverweigerungsrecht etwa auch von Ärzten oder Anwälten zu stärken. Den Bürgern empfahl Heckmann, bei sozialen Netzwerken nicht "Hunderte Bekanntschaften" zu pflegen. An die Wirtschaft appellierte er, "nicht alles, was nach Profit klingt, auszunutzen". Ein besseres Geschäftsmodell könnte es sein, Vertrauensräume zu schaffen.

In diesem Sinne bezeichnete Heckmann die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu heimlichen Online-Durchsuchungen als "ähnlich epochal wie das Volkszählungsurteil", das Mitte Dezember 25 Jahre alt wird. Es habe sich sehr schnell in der niederen Rechtssprechung durchgesetzt, in der auf Basis des abgesteckten Grundrechts auf Vertraulichkeit und Integrität von IT-Systemen nun das "Leitbild des besonders schutzbedürftigen Nutzers" gepflegt werde. Der Computer und das Internet würden damit aber auch nicht zum "Refugium, in das ich mich komplett zurückziehen kann", meinte der Rechtsexperte, der das nordrhein-westfälische Gesetz zum verdeckten Zugriff auf Festplatten in Karlsruhe zu verteidigen versucht hatte. Schon aufgrund der "normalen Gefährdungspotenziale" des Internet müsse sich der Bürger bewusst sein, dass er sein Tagebuch eben doch nicht online führen sollte.

Heckmanns Thesen blieben nicht unwidersprochen. Das Bundesverfassungsgericht habe überlegt, wo die neuen Gefährdungen herkommen, und in Folge Computersysteme insgesamt für schützenswert erklärt, betonte der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar. Der Staat dürfe demnach nur "in sehr begrenzten Einzelfällen eingreifen". Festplatten dürften daher bei einer Beschlagnahme auch nicht genauso behandelt werden "wie eine Kaffeemaschine".

Prinzipiell wollte Schaar nicht ausschließen, dass die auf Vorrat gespeicherten Verbindungsdaten auch zum Menschenrechtsschutz eingesetzt werden könnten. Trotzdem sei es nicht der richtige Weg, dass der Staat es der Wirtschaft noch vorgebe, zu den von ihr freiwillig schon gesammelten "irrsinnigen Mengen" an Daten noch mehr hinzuzufügen. Dies sei unverhältnismäßig und erhöhe nur die Missbrauchsgefahr, vor welcher der Staat die Nutzer im Internet letztlich "nicht wirksam schützen kann". Das Mindeste sei es, im Rahmen der umkämpften Reform des Datenschutzrechts zumindest das Grundprinzip zu stärken, wonach die Weitergabe und Verarbeitung personenbezogener Daten an Drittfirmen die Einwilligung des Betroffenen benötige. Zudem solle der Staat den Bürgern auch in virtuellen Welten "Anonymität gönnen".

Lars Reppesgaard, Autor des Buchs "Das Google Imperium", unterstellte dem Gesetzgeber, sich seit langem abzeichnende Trends zur Datenjagd im Internet verschlafen zu haben. Schon seit Jahren werde eine "Flut" persönlicher Informationen über Online-Systeme und Kundenkarten von der Wirtschaft gesammelt, es sei eine laut tickende Zeitbombe entstanden. Erst jetzt angesichts Millionen im Netz flottierender Verbraucherdaten nebst Kontoinformationen zu reagieren, "ist etwas spät". Der Staat hätte schon früher die Rechte des Einzelnen gegenüber der "furchtbar neugierigen Werbewirtschaft" stärken müssen. Die Freizügigkeit der Nutzer mit ihren Daten im Netz sei auch dadurch entstanden, dass Datenschutz in vielen politischen Diskursen als "Unsinn" dargestellt worden sei.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hielt dagegen, dass in der aktuellen Debatte über Datenschutz und Überwachung "soviel vermischt wird, dass ich aufpassen muss, dass ich nicht selbst verwirrt werde". Viele Stimmen würden nur zur "Verunsicherung" der Bürger beitragen. Nur in Diktaturen gehe man davon aus, dass die Politik Dinge vorwegnehmend reguliere. Durch die "verfluchte IT" beschleunige sich zudem alles immer mehr, was die Probleme der staatlichen Reaktion erhöhe. "Wir sind ein wenig die digital immigrants", räumte Schäuble auch Verständnisprobleme für die digitalen Welten in der gegenwärtig an der Macht sitzenden Politikergeneration ein. Offenbar mache die Virtualität mit ihrem Anschein der Anonymität "uns Menschen" aber "hemmungsloser". Anders seien die vielen "Schweinereien" im Internet nicht zu erklären.

In Richtung Heckmann wandte sich der CDU-Politiker mit dem Hinweis, dass die ganze Verfassungsgeschichte darin bestehe, staatliche Macht zu begrenzen. Ohnmächtig dürfe der Staat dadurch aber nicht werden. Beim Zeugnisverweigerungsrecht gebe es eine "bewährte Praxis" in der Strafprozessordnung, weswegen man daran beim BKA-Gesetz nicht rühren werde. Man müsse auch vorsichtig sein, da ein Arzt in London an Anschlagsplänen beteiligt gewesen sei. Den Datenschutzbeauftragten erinnerte Schäuble daran, dass eine parlamentarische Mehrheit in der EU die Vorratsdatenspeicherung beschlossen habe. Der Streit mit den Telefongesellschaften darum sei auch erst entstanden, als diese eine Entschädigung für ihre Hilfsdienste verlangt hätten.

Zu den Auseinandersetzungen um die Terrorismus-Bekämpfung, die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)