Klartext: Religion IOM TT

"... und an dieser Mauer da hängen wahrscheinlich immer noch meine Kreuzbänder", erzählt Rennlegende Nick Jefferies im Bus, der über den Kurs der Tourist Trophy fährt, dem wohl berühmt-berüchtigsten Straßenrennen der Welt auf der Isle of Man.

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Von
  • Clemens Gleich
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"... und an dieser Mauer da hängen wahrscheinlich immer noch meine Kreuzbänder", erzählt Rennlegende Nick Jefferies im Bus, der über den Kurs der Tourist Trophy fährt, dem wohl berühmt-berüchtigsten Straßenrennen der Welt auf der Isle of Man. "Ich fuhr gerade hinter Joey Dunlop her, da ging das Getriebe in dieser schnellen Kurve fest." Wenige Minuten vorher passierte der Bus den Telefonmasten, an dem 2003 sein Neffe David aus ungeklärten Gründen sein Leben verlor. Hier sind die Superbikes rund 260 km/h schnell, die Unterschiede zwischen einer richtigen und falschen Entscheidung nur Millisekunden lang. Der Bus schaukelt über eine Bodenwelle zwischen friedlichen Vorgärten durch. "Fühlt ihr das? Bei 290 ist das ein riesiger Sprung." Pause. Pause. Pause. "Und hier sollte man langsam wieder am Boden sein, sonst schlägt man da vorne ein. Keine gute Stelle für einen Fehler." Den letzten Satz sagt Nick ständig. Es gibt praktisch keine wirklich gute Stelle für einen Fehler auf dieser Insel, auf diesem Kurs. Vor diesem Hintergrund stellt sich jedes Jahr die Frage Farin Urlaubs: "Dürfen die das? Ist das nicht irgendwie verboten?"

Das Schöne und gleichzeitig Schreckliche an der TT, an allem Road Racing ist das Altmodische: Die Kurse sind wie zu Urzeiten des Rennsports abgesperrte öffentliche Straßen. Das bedeutet, es gibt keine Kiesbetten und kaum Auslaufzonen. Dafür gibt es überall steinerne Mauern direkt an der Strecke, die mit teils über 300 km/h im Schnellvorlauf vorbeispulen. Als Sicherheits-Feigenblätter hängen Schaumstoffpolster an Schildern oder Masten. "Jeder, der hier antritt, muss akzeptieren, dass er in einer Kiste nach Hause kommen könnte", fasste es David Jefferies vor seinem Tod zusammen. Selbst den meisten Profi-Rennfahrern ist das zu hart. Stattdessen versammelt sich hier eine ganz eigene Sorte von Fahrer, die es so auf modernen Rundkursanlagen nicht gibt. Ein runder Fahrstil ist alles, wie Hondas "Mr. Smooth" John McGuinness mit seinen 19 TT-Siegen bis jetzt demonstriert. Wer Kampflinie fährt, den bestraft die Insel meistens sehr schnell sehr hart. Wer noch nie dort war, wird vielleicht schwer begreifen, wieso ein ruhiger, zweifacher Familienvater wie John so einen Wahnsinn mitmacht, aber er vergisst eines: Wo Wahnsinn wuchert, ist die Religion nicht weit. Die Isle of Man ist keine profane Rennstrecke. Sie ist ein Wallfahrtsort. Pilger können dort ihren Tod finden. Oder sie finden ihr Seelenheil.

Road Racer Michael Dunlop sprach in einem Interview mit dem Motorradmagazin Fastbike einmal offen über seine Dämonen. Normalerweise trug er die früher in den Pub, um sie zu ertränken oder sie in einer Schlägerei herauszulassen. Der Straßenrennsport gibt ihm ein Ziel, ein Leben an einer Grenze, die ihn beruhigt. Der alte Grantler ist 2013 schon fast ein bisschen freundlich geworden. Schon immer freundlich war Frank Spenner, ein deutscher Privatfahrer. 2007 zur Jubiläums-TT erklärte er mir im Zelt beim Schrauben sein Stück Heilung während der TT: "Wenn ich von Kate's Cottage nach Creg ny Baa durchlade, genieße ich immer den Blick aufs Meer. So viel Zeit muss sein." Dass er während eines Rennens um Leben und Tod den Moment der Schönheit suchen kann, sagt viel über die TT aus.