"Weltweiter Lagerverkauf" der TK-Vorratsdaten befürchtet

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung warnt davor, dass mit der geplanten Ratifizierung der umstrittenen Cybercrime-Konvention 52 Staaten einschließlich Azerbaijan und Russland Zugriff auf hiesige Kommunikationsprofile hätten.

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Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung warnt davor, dass mit der geplanten Ratifizierung der umstrittenen Cybercrime-Konvention des Europarates 52 Staaten einschließlich Azerbaijan, Russland und den USA Zugriff auf hiesige Kommunikationsprofile hätten. Die formelle Umsetzung des Übereinkommens zur Bekämpfung der Computerkriminalität "würde Deutschland verpflichten, jeder Anforderung unserer Kommunikationsdaten durch ausländische Ermittlungsbehörden unverzüglich und 'im größtmöglichen Umfang' Folge zu leisten", schlägt Patrick Breyer von dem Zusammenschluss von Bürgerrechtlern, Datenschützern und Internet-Nutzern Alarm. Der Jurist hält den Völkervertrag – genauso wie die kurz vor der Abstimmung im Bundestag stehende Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten – für "fundamental unvereinbar mit dem deutschen Grundgesetz und der Europäischen Menschenrechtskonvention".

Ausländische Staaten könnten Breyer zufolge mit der von der Bundesregierung bereits beschlossenen und momentan im Bundesrat behandelten Ratifizierung (PDF-Datei) des Cybercrime-Abkommens ohne rechtsstaatliche Sicherungen "auf sensibelste Daten über unser Privatleben und unsere sozialen Beziehungen zugreifen". Sonst gängige Auflagen wie die Erfordernis vorheriger richterlicher Anordnungen, den Schutz engster Vertrauensbeziehungen, die nachträgliche Benachrichtigung der Betroffenen, die Beschränkung der Nutzung beziehungsweise Weitergabe personenbezogener Daten oder den Rechtsschutz durch unabhängige Gerichte seien in dem Vertrag nicht vorgesehen. Zudem würde der Beitritt zu dem Übereinkommen den Zugang von Ermittlungsbehörden zu den Vorratsdaten nicht nur zur Verfolgung von Computerstraftaten, sondern jeglicher im Ausland mit Strafe bedrohter Handlung zulassen. Der Arbeitskreis fordert daher den "Stopp der geplanten Datenhalden" und deren "weltweiten Lagerverkauf" zugleich.

Vertreter nationaler Sicherheitsbehörden und Regierungsabgesandte verhandelten die Cybercrime-Konvention über viele Jahre hinweg größtenteils hinter verschlossenen Türen, bevor unter anderem die deutsche Bundesregierung das Übereinkommen 2001 unterzeichnete. Seitdem hat der Gesetzgeber Teile des Vertrags mit heftig umstrittenen Initiativen wie der Verschärfung der Hackerparagraphen bereits umgesetzt. Daneben geht es auch in der geplanten Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung inklusive der Klauseln zur Vorratsdatenspeicherung um die weitere Anpassung des deutschen Rechts an die Bestimmungen der Konvention in Form einer rechtlichen Grundlage für die Durchsuchbarkeit externer Speichermedien.

Prinzipiell gestattet das Übereinkommen ausländische Datenanforderungen zur Verfolgung selbst leichter Vergehen wie dem Austausch von Musik übers Netz oder zum Zweck präventiver Ermittlungen ohne konkreten Tatverdacht. Besonders in außereuropäischen Staaten wie den USA besteht der Bürgerrechtsvereinigung zufolge die Gefahr, dass mithilfe übermittelter Daten Europäer als vermeintliches Sicherheitsrisiko eingestuft, sie bei der Einreise festgehalten und vernommen werden oder ihnen die Einreise gänzlich verweigert wird. Zu befürchten sei auch, dass erlangte Informationen "quasi lebenslänglich auf Vorrat abgespeichert und freizügig an andere Behörden und Geheimdienste weiter gestreut werden, auch an kooperierende ausländische Unrechtsstaaten". In Extremfällen, warnt der Arbeitskreis mit drastischen Beispielen, könnten die Daten aus Deutschland genutzt werden, um Europäer im Ausland aufzugreifen, sie in Geheimgefängnisse wie Guantanamo zu verschleppen oder an ihnen die Todesstrafe zu vollstrecken.

Die Versicherung, dass die elektronischen Nutzerspuren im Zuge der Vorratsdatenspeicherung nur für sechs Monate aufbewahrt würden, sieht Bettina Winsemann alias Twister vom Arbeitskreis mit dem Umsetzungsvorhaben endgültig als Farce entlarvt. Am Beispiel der Fluggastdaten habe sich bereits gezeigt, dass sensible personenbezogenen Informationen "in absurden Überwachungssystemen landen und der Einzelne keinerlei Möglichkeit mehr hat, den Weg seiner eigenen Daten überhaupt nachzuvollziehen oder sich gegen Fehlinterpretationen zu wehren". Auch die Speicherdauer könne nicht mehr überprüft werden, weil viele Systeme miteinander verknüpft seien. Es ergäben sich immer genauere Profile, die im Ausland auch zur Wirtschaftsspionage genutzt werden könnten. So sei es etwa möglich, Kommunikationsdaten und Passenger Name Records (PNR) eines Managers miteinander zu verbinden.

Die Bürgerrechtsorganisation hat für den 6. November bundesweit zu Kundgebungen gegen die Verabschiedung der Vorratsdatenspeicherung aufgerufen. Fest stehen inzwischen bereits die Eckpunkte für Protestaktionen in 25 Städten, darunter Berlin, Bremen, Bonn, Dresden, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Freiburg, Göttingen, Hamburg, Karlsruhe, Köln, Leipzig, München, Nürnberg und Ulm. Keineswegs weit genug geht den Aktivisten, dass der Vorsitzende der Medienkommission beim SPD-Parteivorstand, Marc Jan Eumann, gerade für eine Befristung der Vorratsdatenspeicherung bis zu einem Urteil des Europäischen Gerichtshof plädierte. Dies ändert für den Arbeitskreis nichts daran, dass das Vorhaben "eklatant verfassungswidrig ist und verheerende Auswirkungen auf die freie Kommunikation in unserer Gesellschaft hätte". (Stefan Krempl) / (jk)