Manning-Prozess: Probleme mit dem Internetarchiv

Über das Internetarchiv Wayback-Machine versucht die Anklage Bradley Manning nachzuweisen, im direkten Auftrag von Wikileaks gehandelt zu haben. Die löchrigen Beweise führen zu einer vorläufigen Unterbrechung des Prozesses.

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Von
  • Detlef Borchers

Der Prozess gegen den US-Soldaten Bradley Manning wird nach acht Verhandlungstagen unterbrochen. Die von der vorsitzenden Militärrichterin Lind angeordnete Unterbrechung bis zum 26. Juni soll beiden Parteien Gelegenheit geben, sich auf eine Befragung über die Aktenlage vorzubereiten. Der Entscheidung von Lind gingen zahlreiche Widersprüche der Verteidigung gegen die Beweismittel der Anklage voraus.

Bradley Manning wird beschuldigt, mit der Weitergabe von Geheimmaterial dem Feind geholfen zu haben. Dafür droht ihm eine lebenslängliche Freiheitsstrafe. Dieses "Aiding the Enemy" ist der schwerwiegendste Punkt der Anklage und wird von Manning bestritten. Der Feind ist in diesem Fall die Whistleblower-Webseite Wikileaks, zu der Manning eine direkte Verbindung gehabt haben soll. Besonders eine von den Wikileaks-Aktivisten initiierte "Befreiungsaktion" spielt eine wichtige Rolle: Zum Auftakt des niederländischen Hackercamps Hacking at Random im Jahr 2009 hatte Wikileaks den Wettbewerb "Most Wanted Leaks of 2009" ins Leben gerufen.

Ein Screenshot der daraufhin entstandenen Liste von gewünschten Leaks ist ein zentrales Beweismittel der Anklage: Sie behauptete am siebten Verhandlungstag, dass Bradley Manning diese Liste gekannt habe und sie praktisch abarbeiten wollte. In der Lesart der Ankläger hätte Manning damit den Aktivisten von Wikileaks direkt und auf Kommando zugearbeitet. Dies wurde von der Verteidigung bestritten: Manning habe aus eigenem Antrieb gehandelt und selbst entschieden, was er weitergeben wollte. Überdies sei die Liste nicht von den Wikileaks-Aktivisten verfasst worden, sondern als Wiki von Vielen gefüttert worden. Auch sei die von der Anklage gezeigte Liste eine verkürzte Form der vielfach veränderten Most Wanted Leaks.

Im Verhör musste die Anklage zugeben, ihre Version der Leaks-Liste von der Wayback Machine des "Internet Archive" bezogen zu haben. Damit ist die Liste als Beweismittel im Sinne eines forensischen Beweises problematisch: die Verteidigung legte die eidesstattliche Versicherung eines Wayback-Admins vor, nach der die an das Archiv geschickten Webseiten nicht darauf geprüft werden, ob sie tatsächlich der Seite an einem bestimmten Tag entsprechen. Auch würden keine Hashwerte der Webseiten gespeichert, um eine nachträgliche Änderung der Inhalte bemerken zu können. Captain Joshua Tooman, der Militär-Verteidiger von Bradley Manning, nannte die Beweisführung ein "vierfaches Hörensagen".

Als weiteren Beweis einer direkten Zusammenarbeit präsentierte die Anklage den Screenshot eines Tweets von Wikileaks, in dem die Aktivisten dazu aufriefen, möglichst viele militärische Mail-Adressen (".mil") an Wikileaks zu schicken. Dies würde mit gelöschten Dateien voller Mail-Adressen korrespondieren, die man auf einem von Manning benutzten Computer gefunden habe. Auch hier bezweifelte die Verteidigung die Authentizität des Screenshots, der nach Aussage der Anklage aus dem Cache von Google kopiert wurde.

Drei Tage zuvor hatte die Liste der Most Wanted Leaks im Prozess bereits eine andere Rolle gespielt. Verhört wurde ein Sicherheitsspezialist der US-Armee, der seinen Besuch des Chaos Computer Congresses 26C3 im Jahre 2009 schilderte. Er berichtete später hauptsächlich über den Wikileaks-Vortrag auf diesem Kongress, konnte aber auf Befragung nicht angeben, ob die Wikileaks-Referenten damals bei der Vorstellung der Liste der Most Wanted Leaks dazu aufriefen, Terroristen zu helfen.

Die Mitschrift der öffentlichen Teile des Prozesses gegen Bradley Manning können bei der Freedom of the Press Foundation abgerufen werden. (asp)