Hessen stoppt automatische Erfassung von Kfz-Kennzeichen [Update]

Hessens Innenminister Volker Bouffier hat nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts den Einsatz von Nummernschild-Scannern ausgesetzt. Experten fordern ein generelles Ende des "undifferenzierten Datensammelns".

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 140 Kommentare lesen
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Jürgen Kuri

Hessens Innenminister Volker Bouffier (CDU) hat rasch auf das Urteil (Az.: 1 BvR 2074/05; 1 BvR 1254/07) des Bundesverfassungsgerichts reagiert, das die Regelungen zur automatischen Erfassung von Kfz-Kennzeichen in Hessen und Schleswig-Holstein für grundgesetzwidrig und damit nichtig erklärte. Der CDU-Politiker setzte umgehend den Einsatz von Nummernschild-Scannern aus. Zugleich bedauerte er, dass die Entscheidung "die Bekämpfung der Kriminalität erschwert". Es müsse geprüft werden, ob und unter welchen Voraussetzungen die Lesegeräte zum Zweck der Gefahrenabwehr eingesetzt werden könnten.

Grundsätzlich schlossen die Karlsruher Richter das Scannen von Autokennzeichen nicht aus, stellten aber hohe Anforderungen an verfassungsgemäße Bestimmungen. Die Klauseln in Hessen und Schleswig-Holstein waren ihnen eindeutig zu unbestimmt, nicht normenklar und unverhältnismäßig. Die mit dem Scannen der Kfz-Kennzeichen einhergehenden tiefen Eingriffe in die Grundrechte der Bürger sind dem Gericht nach nur zulässig, wenn etwa auf der Suche nach einem gestohlenen Auto jeder Nichttreffer sofort vollständig gelöscht wird. Die Kennzeichen dürften auch nicht ohne Anlass "ins Blaue hinein" und flächendeckend erfasst werden. Ansonsten könne "ein Gefühl des Überwachtwerdens" entstehen, das "allgemeine Einschüchterungseffekte" in der Bevölkerung auslöse.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar begrüßte das Urteil. Karlsruhe habe erneut unterstrichen, "dass bei polizeilichen Eingriffen stets die Verhältnismäßigkeit und die berechtigten Interessen der Betroffenen gewahrt bleiben müssen". Nach Ansicht des Leiters des Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) hat die Entscheidung aber auch Bedeutung für sonstige geplante Maßnahmen der Verkehrsüberwachung. Dies gelte etwa für die beschlossene Speicherung von Schiffspassagierdaten und vor allem die umstrittenen EU-Pläne, wonach Fluggastdaten 13 Jahre lang für polizeiliche Zwecke vorgehalten werden sollen.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) verlangt nun "zügig" verfassungskonforme Rechtsgrundlagen zur automatischen Kennzeichenerfassung. Sie warf den Sicherheitspolitikern vor, zunehmend handwerklich schlecht zu arbeiten und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der letzten Jahre zu ignorieren. Zudem würden es die Politiker ein um das andere Mal versäumen, ihre Vorhaben gegenüber Bürgern verständlich zu erläutern. Dies würde Ängste und Misstrauen in der Bevölkerung schüren, während die Polizei auf ein gutes Vertrauensverhältnis angewiesen sei. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) erklärte ebenfalls, dass die Vollzugsorgane "für ihre schwierigen Aufgaben verlässliche Rechtsvorschriften brauchen". Dies gelte insbesondere dort, wo in Grundrechte eingegriffen wird: "Wo es um die Freiheitsrecht der Menschen geht, darf es keine Grauzonen geben."

[Update]:
Mittlerweile hat auch Schleswig-Holsteins Innenminister Lothar Hay (SPD) verkündet, die automatische KFZ-Kennzeichen-Erfassung werde sofort beendet. Hay kommentierte das Urteil: "Die Karlsruher Richter haben heute Politik und Staat wiederholt ermahnt, bei Operationen am offenen Herzen des Rechtsstaats nicht zu tief zu schneiden.“ Das Bundesverfassungsgericht zwinge die Politik, bei Sicherheitsgesetzen die Freiheitsrechte der Bürger stärker zu gewichten als dies in der Vergangenheit bisweilen der Fall gewesen sei.

Siehe dazu:

(jk)