ETSI, "CSI" und Taxi-Voyeure erhalten Big Brother Awards Austria

Mit dem Preis für "Datenkraken" wurde unter anderem Anthony E. Zuiker bedacht, Erfinder, Autor und Executive Producer der CSI-TV-Serien. Diese präsentierten verharmlosend Rasterfahndung, DNA-Analysen und die Aushebelung von Bürgerrechten, meinte die Jury.

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Am Vorabend des heutigen österreichischen Nationalfeiertags sind dort die Big Brother Awards 2007 verliehen worden. Die Negativpreise werden seit 1999 jährlich an jene vergeben, "die sich im Feld der Überwachung, Kontrolle und Bevormundung ganz besonders verdient gemacht haben." "Gewonnen" haben diesmal der Vorsitzende des ETSI-Komitees "Lawful Interception", Peter van der Arend, der Autor der "CSI"-Fernsehserien, Anthony E. Zuiker, und der Obmann der Wiener Taxi-Innung, Heinrich Frey sowie Innenminister Günther Platter. Der Award für das Lebenslange Ärgernis ging an den Zeitungsherausgeber Hans Dichand. Den Positivpreis Defensor Libertatis erhielt der Präsident des österreichischen Verfassungsgerichtshofes (VfGH) Karl Korinek.

Korinek hatte im September im Zusammenhang mit der Terror-Bekämpfung vor einem Abrutschen in einen totalen Überwachungsstaat gewarnt. "Ich habe manchmal den Eindruck, wir werden ähnlich stark überwacht wie seinerzeit die DDR-Bürger von der Stasi", hatte Korinek gesagt. Der Wunsch nach Sicherheit verdränge die Grundrechte wie das Briefgeheimnis, das Fernmeldegeheimnis und den Datenschutz, die seit der Revolution von 1848 die private Kommunikation schützten. Die Sensibilität für die Gefahren fehle offenkundig.

"Bei aller Anerkennung der Notwendigkeit von Maßnahmen, die den Staat in die Lage setzen, die Sicherheit seiner Bewohner zu garantieren und so eine seiner wichtigsten Staatsaufgaben zu erfüllen, müssen wir immer trachten, dass dies nicht einseitig zu Lasten der Freiheit der Menschen geht. In diesem Sinn sollte jeder ein 'defensor libertatis' sein", so der VfGH-Präsident in seiner Dankes-Botschaft. "Es ist ganz wichtig, dass die Öffentlichkeit in diesem Bereich aufgeklärt und sensibilisiert wird; und dazu trägt auch diese Auszeichnung bei. Denn die Vision vom Überwachungsstaat ist eine beängstigende."

Den Negativpreis der Kategorie Business und Finanzen erhielt der Obmann der Wiener Taxi-Innung, Heinrich Frey. Gemeinsam mit einem privaten Unternehmen propagiert Frey Videoüberwachung in Taxis. Damit werden nicht nur die Fahrgäste, sondern womöglich auch die Fahrer zusätzlich beobachtet, die bereits bisher mit Datenfunk, GPS, und Infrarot-Sitzkontaktsystemen überwacht werden.

In der Sparte Behörden und Verwaltung obsiegte der weithin unbekannte Peter van der Arend von der niederländischen KPN. Er ist Vorsitzender des Komitees "Lawful Interception" im European Telecom Standards Institute (ETSI). Das Komitee beschäftigt sich ausschließlich damit, alle Telekommunikationsnetze einheitlich überwachbar zu machen. Dafür werden verbindliche Standards geschaffen, die für sämtliche Einrichtungen verbindlich sind. Derzeit wird an einem Standard gearbeitet, der die Übertragung der im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung gesammelten personenbezogenen Daten regelt. Dabei werden auch in vielen Staaten illegale Abfrage normiert, weil sie von einzelnen nicht demokratischen Ländern gefordert werden.

Im Bereich Kommunikation und Marketing setzte sich Anthony E. Zuiker durch. Er ist Erfinder, Autor und Executive Producer der "CSI"-Fernsehserien. "Die CSI-Serien präsentieren Rasterfahndung, DNA-Analysen und die Aushebelung von Bürgerrechten unkritisch, verharmlosend und einseitig", führt die Jury aus. Die Rechte der Bürger im Allgemeinen und der Verdächtigen im Speziellen würden in erster Linie als ermittlungsbehindernd dargestellt.

Keinen Preisträger gibt es in der Rubrik Politik. Zunächst war Bildungsministerin Claudia Schmied (SPÖ) aufgrund der "Skandalkosmetik" für die Bildungsevidenz auserkoren worden. In der Bildungsevidenz werden für 60 Jahre neben Stammdaten samt Sozialversicherungsnummer auch Informationen wie Schulverweise, Besuch von Ethik- oder Religionsunterricht, Bedarf an Förderunterricht, alle "Nicht genügend", Klassenbucheinträge und soziale Auffälligkeiten der Schüler gespeichert. Als Oppositionspartei hatte die SPÖ dies als "überschießend, unzumutbar" und "absoluten Skandal" bewertet.

Von einer SPÖ-geführten Regierung wurden nun sogar Verschlechterungen beim Rechtsschutz und Datenzugriffsrechte für noch mehr Behörden geplant. Vor wenigen Tagen passierte jedoch eine teilweise entschärfte Version den Ministerrat. Der revidierte Entwurf enthält eine Absichtserklärung, im Jahre 2009 Alternativen zur Verknüpfung mit der Sozialversicherungsnummer zu finden. Die Jury möchte nun abwarten, was aus dieser Absicht wird.

Dafür wurde bei der offenen Volkswahl ein Politiker bedacht: Innenminister Günther Platter (ÖVP) erhielt hier die meisten Stimmen. Die Wähler ziehen ihn vor allem der Forderung nach Einführung eines "Bundestrojaners" zur heimlichen Überwachung von Computern und der Idee einer "präventiven Anhaltung" möglicher Hooligans.

Hans Dichand, Herausgeber der Neue Kronen Zeitung, wurde schließlich mit dem Preis für das Lebenslange Ärgernis bedacht. "In den fast 50 Jahren seiner Regentschaft verstand er es mit seiner Zeitung, die Politik und öffentliche Meinung in Österreich mehr als einmal entscheidend zu manipulieren", heißt es in der Begründung. "Dem Herausgeber nicht genehme Personen des öffentlichen Lebens wurden im Blatt denunziert, bloßgestellt oder 'unabsichtlich' ihre volle Adresse und Telefonnummer veröffentlicht. Was sich nicht direkt über die Redaktion erledigen ließ, das besorgten die Leserbrief-Schreiber des Blatts." (Daniel AJ Sokolov) / (anw)