Berliner Abgeordnete wollen Beschluss zur Linux-Migration abschwächen

Der IT-Ausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses pocht nicht mehr auf eine Umrüstung von Servern und Arbeitsplatzrechnern auf Open Source. Stattdessen sollen nur "offene Standards" als Beschaffungskriterium vorgegeben werden.

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Das Berliner Abgeordnetenhaus steht kurz davor, seinen Beschluss zur Umrüstung der IT-Infrastruktur in der Verwaltung der Hauptstadt deutlich abzuschwächen. Im Dezember 2005 hatte der Hauptausschuss des Stadtstaates vom Senat noch einen verbindlichen Fahrplan zur Umrüstung auf freie Software verlangt. Es sollte zunächst um die Umstellung der Server und in einem weiteren Schritt auch um die Umrüstung der rund 58.000 in der Hauptverwaltung genutzten Arbeitsplatzcomputer auf alternative Betriebssysteme sowie Desktop- und Anwendungssoftware aus dem Open-Source-Bereich gehen. Von diesen konkreten Vorgaben ist im Entwurf für eine Fortschreibung (PDF-Datei) des Auflagenbeschlusses, den der Ausschuss für Verwaltungsreform, Kommunikations- und Informationstechnik Anfang Oktober gefasst hat und der Mitte November vom Hauptausschuss abgesegnet werden soll, nicht mehr die Rede.

Vielmehr soll demnach in der Berliner Verwaltung bei der Beschaffung neuer Hardware allein darauf geachtet werden, "dass die Verwendung von Open-Source-Betriebssystemen uneingeschränkt möglich ist". Beim Kauf von Software soll "der offene Standard" bei Schnittstellen und Dokumentenformaten als Beschaffungskriterium vorgegeben werden. Generell ist weiter vorgesehen, bei Computerprogrammen und bei der Erstellung eigener IT-Lösungen auf Offenheit zu achten und möglichst webbasierte Lösungen zu nutzen. Definitionen zu Schlüsselbegriffen wie "offene Standards" finden sich in dem Papier nicht. Somit bleibt unklar, inwiefern die Abgeordneten –­ ähnlich wie der Bundestag in seiner umstrittenen Entscheidung –­ etwa auch Lizenzierungsbedingungen für die Standards akzeptieren wollen, denen zufolge die Nutzer üblicherweise dafür Geld bezahlen oder sonstige Leistungen erbringen müssen und somit als unvereinbar mit freier Software gelten.

Der neue Beschlussentwurf sieht darüber hinaus verbesserte Elemente zur Kontrolle der IT-Ausgaben vor. Für alle Maßnahmen müssten demnach "im Sinne der Balanced Score Card Auftragserfüllung, Wirtschaftlichkeit, Nutzen und Mitarbeiterorientierung nachgewiesen werden und hierbei insbesondere eine Gegenüberstellung quelloffener und proprietärer Lösungen enthalten". Die Bestandsübersichten zu IT-Systemen sollen künftig zudem Angaben zu Merkmalen enthalten, wie Verfügbarkeit und Offenheit des Quellcodes, offene Dokumentenformate, Plattformunabhängigkeit oder standardisierte und offene Schnittstellen. Von der von den Berliner Bezirken ins Spiel gebrachten und von Senatsvertretern begrüßten Forderung, eine "Umkehr der Beweislast" beim Kauf geschlossener Software und IT-Systeme zu erreichen, ist speziell aber nicht die Rede. Mit dem Vorschlag sollte erreicht werden, dass ein Entscheid gegen den Einsatz von Open-Source-Produkten einer gesonderten Begründung bedürfte.

Bei der 1. Lesung (PDF-Datei) des Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans von Berlin für die beiden kommenden Jahre am heutigen Freitag hat der Hauptausschuss bereits die Weichen für den neuen IT-Beschluss gestellt. So stimmte die rot-rote Koalition gegen einen Ergänzungsantrag der Grünen zu dem Papier. Die Oppositionspartei wollte damit gewährleisten, dass der Senat weiterhin einen Plan zur Umstellung von Servern und Desktop-PCs auf Open Source vorzulegen habe.

SPD und Linke im Abgeordnetenhaus wollen es dagegen bei der Aufforderung an die Regierung bewenden lassen, eine Übersicht zu den bestehenden IT-Lizenzverträgen und den damit verknüpften Kosten zu erstellen und den Parlamentariern zur Verfügung zu stellen. Nachgekommen ist das IT-Kompetenzzentrum der Senatsinnenverwaltung derweil bereits dem Drängen von Abgeordneten nach einer grundlegenden Aufstellung (PDF-Datei) der genutzten Software. In der Liste, die auch alle IT-Titel von Senat und Bezirken umfasst, sind allerdings auch Web-Anwendungen in der Open-Source-Spalte verzeichnet, für die ein beliebiger Browser verwendet werden kann.

Vertreter der Grünen bemängelten nach der Abstimmung zum IT-Haushalt einen Rückschritt in Punkto freie Software. "Damit fallen wir hinter das zurück, was wir vor zwei Jahren beschlossen haben", hieß es bei der Oppositionspartei. Zudem seien klare Auflagen für das IT-Dienstleistungszentrum (ITDZ) der Verwaltung zu Kostenvorgaben pro Arbeitsplatzrechner vom Tisch.

Schon bei den Vorberatungen im IT-Ausschuss Anfang September hatten Oppositionspolitiker erneut einen mangelnden Einsatz des Senats bei der Erfüllung des noch bestehenden Auflagenbeschlusses zum auslaufenden Haushalt moniert. Der "große Schritt" bei der Linux-Migration sei nach wie vor nicht erfolgt, beklagte etwa Thomas Birk von den Grünen. Er vermisst "nach wie vor eine Aufstellung der Kosten, was eine Umstellung zu Open Source kosten würde und wie wir da weiterkommen". Aus der Senatsaufstellung sei dagegen zu sehen, dass die meist proprietären Fachverfahren "nicht weniger werden, sondern mehr, und eine immense Menge Geld verschlingen". Nötig sei ein Verfahren wie in München, bei dem verschiedene Finanzierungsalternativen geprüft und dann gleichsam in einem Ruck auf Linux umgestellt werde.

Henner Schmidt von der FDP begrüßte, dass in vielen Bereichen wie Schulen, Polizei oder Gerichten mit bislang maroder IT-Ausstattung "jetzt massiv Investitionen stattfinden". Gerade in dieser Erneuerung sieht er die Chance, "dass die Open-Source-Beschlusslage des Abgeordnetenhauses umgesetzt wird". Besorgt zeigte sich Schmidt aber, dass offenbar "gerade bei den Bezirken der Open-Source-Teil eher rückläufig ist".

IT-Staatssekretär Ulrich Freise bestand dagegen auf seiner Ansage, dass der Linux-Beschluss "in das Haushaltsrecht einzubinden" sei. Open Source müsse also immer "die wirtschaftlichere Lösung" sein. Es gebe somit "keine flächendeckende Umstellung der Berliner Verwaltung". Er würde einzelne Ressorts aber "bitten zu schauen", ob sie nicht Investitionen etwa in Windows Vista nicht noch warten könnten. Entscheidend sei letztlich die Funktionsfähigkeit der Verwaltung.

Zugleich betonte der SPD-Politiker, dass etwa das Finanzressort bundesweit bereits "fast vorbildlich" sei, was den Einsatz von Open Source und Open Office angehe. Mit dem Bezirk Tempelhof-Schöneberg sei zudem verabredet, eine Umrüstung der IT-Infrastruktur und laufender Fachverfahren auf freie Software modellhaft zu prüfen. Beobachter sprechen allerdings von einem schleppenden Start des Projekts. Weiter unterstrich Freise, dass das ITDZ bis zum Ende des Jahres IT-Arbeitsplätze als Thin-Client-Lösung mit Open-Source-Produkten zur Verfügung stelle. Sollten die Verwaltungen diese nicht annehmen wollen, müssten sie ihre Entscheidung genau begründen. (Stefan Krempl) / (pmz)