Datenschutz trotz 25 Jahren informationeller Selbstbestimmung noch unzureichend

Auf dem Festakt zum 25. Jahrestag des Volkszählungsurteils und der verfassungsrechtlichen Einführung der informationellen Selbstbestimmung sparten Experten nicht mit Kritik am Zustand des Datenschutzes in Deutschland.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 58 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Monika Ermert

Auf dem Festakt zum 25. Jahrestag des Volkszählungsurteils wurde am heutigen Montag nicht nur wegen des jüngsten Skandals bei der Landesbank Berlin über den Zustand des Datenschutzes in Deutschland debattiert. Auch die Bemühungen der Bundesregierung um ein neues Datenschutzgesetz treffen bei den Experten nicht nur auf Gegenliebe. Der aktuelle Gesetzentwurf hinkt nach Ansicht des Chaos Computer Clubs (CCC) völlig hinter den Entwicklungen im Datenschutz hinterher.

"Den braucht man gar nicht erst zu beschließen", sagte CCC-Sprecherin und Informatikerin Constanze Kurz bei der Veranstaltung in Karlsruhe. Statt den Referentenentwurf aus dem Innenministerium weiter zu verfolgen, solle man lieber noch einmal neu anfangen, sagte Kurz und erhielt dafür spontanem Applaus der versammelten Prominenz aus den Bereichen Politik, Datenschutz und Justiz. Das Ministerium befinde sich mit den vorliegenden Vorschlägen "nicht auf der Höhe der Zeit".

Ähnlich kritisch äußerten sich der Datenschutzexperte Spiros Simitis von der Universität Frankfurt und Peter Schaar, Bundesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit. Schaar und Simitis empfahlen insbesondere ein konsistentes Datenschutzrecht, das den öffentlichen und privaten Datenschutz einheitlich regelt. Aktuell würden immer weitere Erker an das ohnehin komplizierte Datenschutzgesetz angebaut. Die Vielzahl an bereichsspezifischen Regelungen könne dann auf den Prüfstand gestellt werden.

Simitis nannte darüber hinaus eine gesetzliche Grundlage als Vorraussetzung für jede Speicherung und unterstrich die Bedeutung der unabhängigen Kontrolle im Gegensatz zur Selbstkontrolle der Unternehmen. Er warnte davor, dass die Einwilligungen der Verbraucher regelrecht von den Unternehmen instrumentalisiert würden. Nicht zuletzt müssten Datenschutzbestimmungen grundsätzlich befristet werden, um der sich rasant wandelnden Technologie Rechnung zu tragen.

Seit dem Volkszählungsurteil vom 15. Dezember 1983 "haben sich die technischen Möglichkeiten der Datenarbeit so sehr revolutioniert, dass der 'große Bruder' George Orwells aus heutiger Sicht über die damals gewissermaßen in der informationstechnischen Steinzeit vorhandenen Möglichkeiten der Überwachung nur noch mitleidig lächeln könnte", sagte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans Jürgen Papier. Der Verfassungsrechtler sagte weiter, seiner Meinung nach erwachse die größte Gefahr für die informationelle Selbstbestimmung nicht durch den Staat, sondern durch die Wirtschaft drohe.

Mit dem Verfassungsgerichtsurteil zur Online-Durchsuchung habe das Volkszählungsurteil inzwischen eine kleine Schwester bekommen, die aktuellen technologischen Entwicklungen bei der Nutzung der Informationstechnik Rechnung trage. Papier warnte, bei der notwendigen Neu-Ausbalancierung von Freiheit und Sicherheit, die der Verfassungsgerichtspräsident als einen der großen Trends seit dem Volkszählungsurteil definierte, "dürfen die Gewichte nicht grundlegend verschoben werden." Eine präventive polizeiliche Rasterfahndung ohne konkreten Verdacht oder das routine-mässige Scannen von KFZ-Kennzeichen sei mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit eben nicht mehr vereinbar.

Der baden-württembergische Justizminister Ulrich Goll (FDP) wollte "nicht so ganz widersprechen", dass man sich im Zuge der massiv voranschreitenden Sicherheitsgesetzgebung auf einem "unguten Weg" befinde. "Was das schleichende Sterben der Freiheit angeht, haben wir glaube ich schon ein Problem", meint der Liberale. Er sei inzwischen davon überzeugt, dass nur ein nicht erhobenes Datum ein geschütztes Datum sei.

"Ich verfolge zum Beispiel die Fluggastdaten-Debatte mit völligem Unverständnis", bemerkte Goll. Bei jeder neuen Maßnahme sollte überprüft werden, was sie nützt, welchen Schaden sie anrichtet und in welchem Verhältnis Nutzen und Schaden zueinander stehen. Häufig brächten neue Sicherheitsmaßnahmen nämlich kein echtes Mehr an Sicherheit. Von der Wirtschaft erwarte er, dass sie den Kunden Möglichkeiten zum Selbstschutz böten, die Idee vom Staat als Wachhund im Datenschutz begrüßte Goll ausdrücklich.

Schaar malte mit Blick auf die Zukunft besonders ein Schreckensszenario an die Wand. "Es gibt einen Paradigmenwechseln hin zur Prävention," so der Bundesdatenschützer. "Das betrifft nicht nur den Sicherheitsbereich, sondern auch den Gesundheitsbereich oder die Kindererziehung." Es bestehe überall die Vorstellung, dass man Menschen davon abhalten müsse, auf die falsche Bahn zu geraten oder sie abzufischen, bevor möglicherweise richtiger Schaden entstehen könne.

"Auch bei den Unternehmen haben wir das, denn Scoring ist letztlich nichts anderes als die Übersetzung des Präventionsparadigmas auf die Wirtschaft." Die ganz große Gefahr dieses Paradigmas aber sei, dass damit tatsächlich eine Verhaltenssteuerung oder Manipulation des Einzelnen bevorstehe. (Monika Ermert) / (vbr)