UMTS für daheim

Nach einer nur mäßig beachteten Entwicklung kommen in den USA und in Großbritannien erste Femto-Zellen auf den Markt – kleine Mobilfunkboxen, die die Funkversorgung innerhalb von Gebäuden verbessern.

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  • Dusan Zivadinovic
Inhaltsverzeichnis

Nach einer nur mäßig beachteten Entwicklung kommen in den USA und in Großbritannien erste Femto-Zellen auf den Markt – kleine Mobilfunkboxen, die die Funkversorgung innerhalb von Gebäuden verbessern. Erst auf den zweiten Blick zeigt sich, dass die Mini-Basisstationen das Potenzial haben, den Telefoniemarkt umzukrempeln.

Femto-Zellen, auch als private Funkzellen bezeichnet, sind kleine Mobilfunksende- und Empfangsstationen, die im privaten Bereich, beispielsweise in Wohnungen eingesetzt werden. Sie koppeln Mobilgeräte wie Handys über Kurzstrecken-UMTS-Verbindungen an DSL- und Kabelmodemanschlüsse und leiten so Mobilverbindungen indirekt zum Kernnetz eines Mobilnetzbetreibers (Core Network) – also nicht über dessen übliche Basisstationen und Leitungen, sondern übers Internet. Vom Kernnetz aus werden die Verbindungen dann über übliche Wege zur Gegenstelle geführt.

Es gibt Femto-Zellen für UMTS-Netze, aber auch für andere Mobilnetzarten (z. B. für das in den USA gebräuchliche CDMA2000). Weil sie just dort aufgestellt werden, wo man sie braucht, können sie die Funkversorgung gegenüber der direkten Anbindung über öffentliche Basisstationen desselben Mobilnetzbetreibers teils drastisch verbessern.

Während das Signal einer typischen Makrozelle große Flächen abdecken muss (Quadratkilometer) und dabei durch Hindernisse wie Gebäude teils stark gedämpft wird, deckt eine daheim aufgestellte Mini-Basisstation nur wenige Quadratmeter ab und hat dafür oft sogar Sichtverbindung zum Handy (deep coverage). Daher wird das Handy oder das Smartphone nicht von einem verwaschenen Signal einer entfernten Basisstation versorgt, sondern vom deutlich klareren Signal einer nahe liegenden Femto-Zelle. Die Signals Research Group, ein Forschungsunternehmen, und der Femto-Zellenhersteller Airvana haben unabhängig voneinander entsprechend der besseren Versorgung deutlich höhere, nämlich im Mittel bis zu fünffache Kapazität gegenüber herkömmlichen Basisstationen ermittelt.

Die Ergebnisse belegen offensichtlich, dass sich Femto-Zellen gut für die Versorgung ungünstig gelegener Standorte eignen. Aus dieser Sicht entsprechen sie auch weitgehend den bereits länger bei Geschäftskunden eingesetzten Pico-Zellen. Beides sind Kleinst-Funkzellen, Pico und Femto bezeichnen zunächst nur unterschiedliche Kundengruppen. Beide erreichen mit bis zu 100 mW Sendeleistung Reichweiten von etwa 10 bis 30 Metern. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass Femto-Zellen anders als Pico-Zellen ohne die meist teuren Mietleitungen zum Backbone des Betreibers auskommen. Deshalb können sie zusätzlich die Betriebskosten für das Mobilnetz deutlich senken.

Vorteile bringen die Femto-Zellen aber auch in ausreichend versorgten Gebieten, weil sie die Transportkapazität erhöhen. Wenn man per Handy oder Laptop und UMTS-Adapter surft, werden die Daten nur zu einem kleinen Teil über Netzelemente des Providers befördert. Das entlastet das Providernetz auf den Strecken zu den öffentlichen Basisstationen. Der Anwender profitiert von den Mini-Zellen, weil er anders als bei öffentlichen Funkzellen die Kapazität des Funkspektrums und damit die Gesamtdatenrate der Zelle nicht mit anderen Nutzern teilen muss.

Zusätzliche Anziehungskraft entwickelt die Technik mit der nahtlosen Verbindungsübergabe zum öffentlichen Mobilfunknetz (Handover). So kann man Gespräche unterwegs beginnen und daheim in der Femto-Zelle fortsetzen, ohne die Verbindung neu aufbauen zu müssen (und umgekehrt). Diese Eigenschaft könnte den Mobilnetzbetreibern zusätzlichen Auftrieb im Kampf um Marktanteile gegenüber Festnetz- und VoIP-Anbietern liefern.

Denselben Komfort könnten prinzipiell auch Kombi-Handys mit DECT und GSM, WLAN/GSM- oder Bluetooth/GSM bieten; Unlimited Mobile Access ist eines der herstellerunabhängig dafür spezifizierten Verfahren. Die Nutzer müssen bei all diesen Kombi-Geräten jedoch mehrere Rufnummern und teils komplexe Umleitungen verwalten. Für Netzbetreiber sind sie wenig attraktiv, weil sie für die Übergabe der Verbindungen zwischen den verschiedenen Funkverfahren großen Aufwand in Kauf nehmen müssen. Deshalb ernteten diese Techniken bisher nur wenig Zuspruch.

Mit Femto-Zellen wäre der angestrebte Komfort – ein Telefon für daheim und unterwegs – deutlich leichter zu haben. Mobilnetzbetreiber müssten lediglich festnetzähnliche Tarife schnüren. Man hätte dann technisch eine einzige Plattform – Mobilfunk – und nur eine Rufnummer, ein Ladegerät, ein Telefonbuch, eine Rechnung. Für Mobilnetzbetreiber dürfte das ein interessantes Argument im Kampf um Marktanteile gegenüber etablierten Festnetztelefonbetreibern darstellen. So könnten Femto-Zellen dank der hohen DSL-Verbreitung Festnetztelefonanschlüsse auf Basis von Analog-, ISDN- und VoIP-Technik verdrängen.

Mit Laptops, die über einen HSPA-Stick ins Internet gelangen, könnte man ebenfalls ohne Konfigurationseingriffe mit derselben Netzwerktechnik unterwegs und zu Hause surfen. Mobilnetzbetreiber, die Femto-Zellen und Gateways von NEC einsetzen, würden das sogar begrüßen, denn Internet-Daten könnten dank einer Erweiterung von NEC ohne Umweg über deren Kernnetz direkt in das öffentliche Internet geschickt werden (IP-Breakout). Jedoch wird man in der Praxis WLAN bevorzugen, einfach weil es schneller ist und größere Reichweite erzielt.

Eine herstellerunabhängige Femto-Zellen-Spezifikation gibt es seit März dieses Jahres (3GPP Release 8). Sie definiert die Schnittstelle Iu-h zwischen der Femto-Zelle beim Kunden (Home Node B, HNB) und dem Gateway beim Mobilnetzbetreiber (HNB-GW). Die treibenden Kräfte im Standardisierungsgremium waren Alcatel-Lucent, Kineto, Motorola und NEC, die einen gemeinsamen Vorschlag eingebracht haben. Entsprechend gehören diese Hersteller zu den ersten, die die Femto-Technik auf Basis des Standards Anfang 2009 demonstriert haben. Zu den Mitspielern zählen aber auch Chip-Hersteller wie TI oder Analog Devices, Branchengrößen wie Ericsson, Newcomer wie ip.access und Ubiquisys und überraschenderweise auch Google.

Erste Femto-Zellen waren noch als reine Access Points konzipiert, die man an den DSL-Router anstöpseln musste. Inzwischen wird die UMTS-Funktechnik in den Router integriert. Beispielsweise haben Netgear und Nokia Siemens Networks im Breitband-Router „Femtocell Voice Gateway DVG 834“ ein UMTS-Modem mit einem ADSL2+-Modem, WLAN-Access-Point gemäß 802.11g-Verfahren und 4-Port-Ethernet-Switch (10/100BaseT) kombiniert. Die UMTS-Basisstation beherrscht auch HSPA für UMTS-Übertragungen bis zu 7,2 MBit/s.

Die meisten Femto-Zellen sind für vier bis acht Nutzer ausgelegt. Viele DSL-Anschlüsse haben dafür ausreichend Kapazität. Der für UMTS eingesetzte Sprach-Codec erzeugt Netto-Bitraten zwischen 6,6 und 23,85 kBit/s. In Empfangsrichtung hat also selbst ein 1 MBit/s-Anschluss ausreichend Reserven zum Surfen per PC. Die Service-Qualität der Sprachübertragungen bestimmt jedoch immer der langsamste Abschnitt der Übertragungsstrecke und das ist im Falle der DSL-Verbindung der Uplink. DSL-Anschlüsse mit Uplink-Raten von 128 kBit/s sollte man nicht mehr als zwei Mobiltelefonate gleichzeitig aufbürden, wenn man nebenher noch andere Anwendungen betreiben will. Andernfalls muss die Femto-Zelle, um mit der knappen Sendebandbreite auszukommen, auf einen höher komprimierenden Sprach-Codec umschalten, was die Sprachqualität senkt.

Der Chip-Hersteller TI sieht im neuen Technikzweig noch mehr Potenzial und eröffnet schon einen Geschäftskundenbereich für Femto-Zellen. Der neue Dreikern-Chip TMS320TCI6489 bringt nämlich laut Hersteller ausreichend Rechenleistung für bis zu 32 parallele Sprachverbindungen mit. Damit strebt TI offensichtlich ein größeres Stück vom Pico-Zellen-Markt an.

Die über Femto-Zellen geleiteten Daten werden – wie im Mobilfunk üblich –, verschlüsselt übertragen. Eine Femto-Zelle muss sich dafür zunächst bei einem Gateway des Providers anmelden. Dafür kann beispielsweise eine spezifisch vom Betreiber für die jeweilige Zelle ausgegebene SIM-Karte verwendet werden. Die auf der SIM enthaltenen Daten sind dann an einen bestimmten DSL-Anschluss gekoppelt, was im Verlustfall den Betrieb an fremden DSL-Anschlüssen verhindert.

Für die Inbetriebnahme genügt es, die Zelle mit Strom zu versorgen und ans Internet anzuschließen. Anders als bei WLAN fällt die umständliche Einrichtung der Funkverschlüsselung weg, UMTS-Geräte verschlüsseln von Haus aus automatisch. Der Betreiber kann die Mini-Basisstationen aus der Ferne warten. Dafür greift der 3GPP-Standard auf das Protokoll TR-169 zurück (eine Variante der für die DSL-Modem- und Router-Fernwartung entwickelten Spezifikation TR-069). Für die Verschlüsselung der Kommunikation zwischen Zelle und Kernnetz wird die bewährte IPsec-Verschlüsselung eingesetzt.

Die Chancen der eigentlich pfiffigen Geräte sind trotz der offensichtlichen Vorteile schwer abzuschätzen. Sie müssen sich beispielsweise gegen den längst etablierten, zuverlässigen und preiswerten WLAN-Funk durchsetzen. Viele Nutzer haben bereits eine WLAN-Infrastruktur, die sich obendrein nicht nur mit Laptops und deren größeren Bildschirmen, sondern auch mit vielen Smartphones nutzen lässt, und zwar sowohl für Surf- als auch für VoIP-Verbindungen.

Ob den Femto-Zellen der Durchbruch gelingt, hängt zu großen Teilen von den Netzbetreibern ab. Viele dürften zunächst abwarten, ob es gelingt, die Interferenzen zwischen Femto-Zellen und öffentlichen Basisstationen auf einem vertretbar niedrigen Niveau zu halten. Den Schlüssel dazu müssen die Femto-Zellen in Gestalt einer wirkungsvollen Sendeleistungskontrolle selbst mitbringen.

Ob die Nutzer die Geräte haben wollen, hängt von der Vermarktung der UMTS-Provider ab – denn Letztere sparen umso mehr Kosten für den Betrieb ihrer Mobilnetze, je mehr Femto-Zellen ihre Kunden einsetzen. Sie wälzen damit nicht nur Mietkosten für Standleitungen, sondern auch Betriebskosten auf die Kunden ab, die dafür vergünstigte Tarife erwarten könnten.

J. Randolph Luening, Vice President der Signals Research Group, meint, dass Femto-Zellen dank ihrer „physischen Nähe zum Nutzer konstant hohe Datenraten zu einem Bruchteil der Summe liefern können, die ein Betreiber für eine vergleichbare Versorgung mit öffentlichen Basisstationen investieren müsste“. Zudem nehmen die Unterschiede mit der Funkfrequenz zu: Je höher die Frequenz, desto höher die Signalverluste durch die Streckendämpfung. Wenn ein Betreiber eine Versorgung im 2,1-GHz-Band anstrebt, die in Gebäuden Senderaten von 256 kBit/s und Empfangsraten von 2 bis 3 MBit/s ermöglicht, müsste er bei herkömmlicher Technik dreimal so viel investieren wie beim Einsatz von Femto-Zellen.

Gerade die Netzbetreiber halten sich jedoch auffällig im Hintergrund. Vorbehalte gegen zusätzliche Investitionen wären leicht einzusehen – die Netzbetreiber müssten schließlich die Geräte kaufen, um sie zu vermutlich geringen Endkundenpreisen vor Ort aufstellen zu lassen (das Niveau gibt WLAN vor). Die fehlende Erfahrung mit dem neuen Zulieferern sowie die wohl schwer abzuschätzenden Kosten und Risiken beim Betrieb könnten weitere Gründe für die Zurückhaltung sein. So sickerte bisher durch, dass einige Betreiber Feldversuche gestartet haben, darunter O2 UK, Vodafone UK, T-Mobile International und Mobilkom Austria.

Überzeugt vom Nutzen der Kleinststationen scheint bisher nur Vodafone UK zu sein. Seit Ende Juni bieten die Briten solche Boxen für verbesserte Sprachübertragungen an (bis zu vier Sprachverbindungen, Nutzer können die dafür zugelassenen Handys über ein Web-Formular registrieren). Die Tarife dürften manchen Fachleuten jedoch die Gesichtszüge verlängern: Nicht günstigere, sondern sogar teurere Tarife koppelt Vodafone UK an den Betrieb der Boxen. Nutzer von Laufzeitverträgen zahlen 5 GBP mehr (zurzeit rund 5,88 Euro, Stand August 2009). Wer das Gerät nicht mieten will, bekommt es für 160 GBP (188 Euro). (dz) (ll)