Pinguin für die Hosentasche

Der für Mobilgeräte gedachte Debian-Ableger Maemo kommt beim N900 erstmals in einem Touchscreen-Smartphone zum Einsatz.

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Von
  • Rudolf Opitz

Der für Mobilgeräte gedachte Debian-Ableger Maemo kommt beim N900 erstmals in einem Touchscreen-Smartphone zum Einsatz. Dazu hat Nokia die Bedienoberfläche überarbeitet und die Organizer-Funktionen aktualisiert, in einigen Punkten aber auch Mut zur Lücke bewiesen.

Das mit zwei Zentimetern recht dicke und schwere Smartphone liegt wie ein Backsteinchen mit abgerundeten Ecken in der Hand. Auf der Front findet man abgesehen vom Touchscreen keine Bedienelemente, der Einschalter, der Schieber für die Eingabesperre, der Kameraauslöser und die Wipptaste für die Lautstärke und das Zoomen sind am breiten Rand des N900 untergebracht. Das resistive Touchdisplay zeigt gute Kontraste und bleibt auch in der Sonne lesbar.

Schiebt man den dünneren Displayteil nach oben, erscheint die dreizeilige Schreibtastatur, deren Tasten deutliche Druckpunkte haben und sich treffsicher bedienen lassen. Das ungewohnte Layout – die Leertaste ist nach rechts versetzt, ein Steuerkreuz fehlt – stört dagegen.

Das Linux-Betriebssystem Maemo hat Nokia bislang nur in seinen Internet-Tablets eingesetzt, die abgesehen von den Mobilfunk-Komponenten eine ähnliche Ausstattung besitzen. Im ersten Smartphone kommen die aktuelle Version 5 und eine neue Bedienoberfläche zum Einsatz, die mit vier Startbildschirmen für Shortcuts, Lesezeichen, Kontakte und Widgets, zwischen denen man per Fingergeste blättert, an Android erinnert.

Das Menüsymbol links oben ruft ein Hauptmenü mit 15 Icons auf, unter denen die Hauptanwendungen wie Internet, Kontakte, E-Mails, Telefon und die Einstellungen zu finden sind. Tippt man auf „Mehr…“ erscheint ein zweites Menü mit weiteren Programmen. Anders als das erste Menü ist es mit dem Finger verschiebbar und kann beliebig viele Icons enthalten. Laufende Anwendungen erscheinen als Fenster und lassen sich per Fingertipp aufrufen oder beenden. Bei zu vielen gleichzeitig laufenden Programmen meldet das System, der Arbeitsspeicher reiche nicht aus. Einen Zurück-Button gibt es in vielen Dialogen nicht. Um in die nächst höhere Menüebene zurückzukehren, tippt man auf eine freie Stelle zwischen den Icons oder auf den unscharf gehaltenen Hintergrund am Rand. Obwohl ein Stift mitgeliefert wird, braucht man ihn nur selten.

Beim Telefonieren punktet das N900 mit sehr guter Sprachqualität, auch die Freisprechfunktion gefällt. Die übersichtliche Telefonanwendung nutzt wahlweise Mobilfunk oder ein VoIP-Konto – Skype und ein SIP-Client sind vorhanden. Obwohl das Smartphone eine Zweitkamera auf der Displayseite hat, kennt es keine Videotelefonie. Eine Sprachsteuerung sucht man ebenso vergebens wie MMS-Versand.

Das gute Adressbuch bietet umfangreiche Eingabefelder und integriert Kontakte aus Communities und Diensten, beispielsweise Skype. Der Terminkalender enthält auch eine Aufgabenliste, der jedoch eine Sortierung nach Prioritäten fehlt. Über Nokias PC Suite gleicht man Organizer-Daten mit Outlook ab.

Anders als die Symbian-Smartphones nutzt das N900 verfügbare WLANs automatisch und wechselt erst zur Mobilfunkverbindung, wenn kein bekanntes WLAN verfügbar ist. E-Mail-Accounts (POP3 oder IMAP4) bei bekannten Anbietern lassen sich einfach einrichten; das Programm stellt eingehende Mails übersichtlich dar. Der mitgelieferte Viewer Documents to Go für die Anzeige von Office-Dateien wie .doc, .pps, .xls und .pdf muss vor dem Benutzen mit Namen und Mail-Adresse registriert werden, trotzdem erhält man nur eine 30-Tage-Test-Version; die Vollversion kostet 20 US-Dollar.

Der schnelle Mozilla-Browser zoomt per Doppeltipp sauber auf die gewählte Textspalte, über die Lautstärke-Wippe ändert man den Zoom stufenlos. Flash-Animationen und sogar Flash-Video-Streams gibt er direkt wieder. Die schon besuchten Seiten zeigt der Browser in ansprechender Fensterdarstellung an; per Fingerwisch findet man die gesuchte Seite schnell.

Zum Navigieren gibt es A-GPS und Nokias Ovi Maps. Weitere Software installiert man Linux-gerecht über den von Debian stammenden Programm-Manager oder den Ovi Store. Die Entwickler-Site maemo.org listet zurzeit etwa 150 Downloads für das aktuelle Maemo-5-Betriebssystem.

Ein Schieber schützt das Objektiv der 5-Megapixel-Kamera vor Staub. Beim Knipsen stört der mit zwei Sekunden sehr langsame Autofokus, danach braucht die Kamera eine weitere Sekunde, bis sie auslöst. Die mäßig scharfen Bilder rauschen kräftig in dunklen Bildbereichen, helle Flächen sind meist überstrahlt. Dafür gefallen die kräftigen, meist stimmigen Farben. Bei gutem Licht taugen die Fotos für kleinformatige Abzüge. Videos produziert die Kamera in der Auflösung 848 × 480, die etwas ruckeln, ziemlich unscharf sind, aber nur wenig Artefakte zeigen. Über das mitgelieferte AV-Kabel präsentiert man Bilder und Filme auf dem heimischen Fernseher.

Der Mediaplayer zeigt Alben mit Covern an und spielt – abgesehen von Ogg Vorbis – alle gängigen Formate ab. Das Headset klingt etwas höhenlastig, eine Klangregelung gibt es nicht. Der UKW-Sender, dessen Leistung ausreicht, schwache Sender auf dem eingestellten Kanal zu überdecken, schickt Musik auf Wunsch ans Autoradio.

MPEG-4-Videos gibt der Player bis zur Displayauflösung 800 × 480 ohne viel Geruckel wieder; bei DivX klappt nur die Wiedergabe des Mobile-Profils (320 × 240), auch WMV funktioniert, das Flash-Format FLV jedoch nicht. Manche Videoformate skaliert das N900 beim Abspielen nicht korrekt.

Mit dem gut ausgestatteten Maemo-Smartphone sitzt Nokia zwischen allen Stühlen. Symbian-Nutzern werden einige Funktionen fehlen, Freunde von Android-Modellen die nicht durchgängig umgesetzte Fingerbedienung bemängeln. Als Multimedia- und Surfgerät gefällt das N900 durchaus, ob es gegen die starke Konkurrenz mit der viel größeren Software-Auswahl bestehen kann, darf man allerdings bezweifeln.

Nokia N900
Smartphone mit Maemo 5.0
Hersteller Nokia
technische Daten www.handy-db.de/1612
Lieferumfang (kann bei anderen Anbietern variieren) Ladegerät, Ladeadapter, USB-Kabel, Stereo-Headset, AV-Kabel, Tuch
Durchsatz EGPRS (gemittelt) 31,2 KByte/s (Empfangen), 18,8 KByte/s (Senden)
Durchsatz HSPA (gemittelt) 104,2 KByte/s (Empfangen), 166,1 KByte/s (Senden)

(rop)