Entscheidungstage bei der Internet-Verwaltung: Neuer Chef, neue Domains, neues Whois

Ein neuer Chef ist zu wählen, aber auch Debatten um Zulassungsverfahren für neue Top Level Domains und der Gefahr von vorauseilender Zensur bei Domainnamen sowie der Whois-Datenschutz beschäftigen die ICANN auf ihrem 30. Meeting.

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Von
  • Monika Ermert

Die Internet-Verwaltung Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) steht vor bedeutsamen Entscheidungen über ihren weiteren Kurs. Am Ende des heute in Los Angeles beginnenden 30. Treffens der privaten Netzverwaltung wählen sich die ehrenamtlichen Direktoren ihren neuen Chef. Vint Cerf, 1999 in das Führungsgremium der ICANN gewählt und seit 2001 ihr unumstrittener Chef, tritt ab.

Die ICANN profitierte vom Ansehen des TCP-IP-Mitentwicklers und dessen internationaler Anerkennung als einer der "Väter des Internet". Allerdings galt manchen Beobachtern Cerf zwar als versierter, aber auch arg konservativer Technologieexperte. Der Nachfolger wird der dritte Chef der ICANN, nach Cerf und der Gründungsvorsitzenden Esther Dyson. Zwei Namen werden derzeit als mögliche Nachfolger von Cerf gehandelt: Roberto Gaetano und Peter Dengate-Thrush. Beide sind in der ICANN-Gemeinde gut bekannt.

Der Italiener Gaetano gilt vielen Beobachtern als Kandidat von der Basis, denn er war in ICANN-Vorzeiten der erste Chef der lange abgeschafften Generalversammlung des "Domainvolks" (General Assembly of the Domain Name Supporting Organisation). Die Generalversammlung wurde abgeschafft, die Domain Name Supporting Organisation in verschiedene Gremien aufgespalten, aber Gaetano blieb der ICANN treu. 2000 trat er als Europa-Kandidat bei der ICANN-Wahl an, bei der er allerdings Andy Müller-Maguhn den Vortritt lassen musste. Doch während das Enfant Terrible ICANN längst den Rücken gekehrt hatte, blieb Gaetano hart am Ball, wurde stimmloser Vertreter der Nutzer im ICANN-Vorstand und schaffte es im vergangenen Jahr endlich auf einen vollen Direktorensitz. ICANNs Nominierungskomitee wählte ihn für die Zeit zwischen 2007 und 2009, also gerade rechtzeitig, um sich als Cerf-Nachfolger aufzustellen. Interessant ist, dass Gaetano von einer am Domaingeschäft wohl wenig interessierten UN-Behörde kommt, der internationale Atomenergiebehörde.

Kandidat Nummer zwei, der Neuseeländer Dengate-Thrush, startete seine ICANN-Aktivitäten als Vertreter der neuseeländischen Länderregistry, deren rechtlicher Berater und Präsident er mehrere Jahre war. Der Jurist engagierte sich beim Aufbau der APTLD, dem Gegenstück zum europäischen Länderregistry-Dachverband CENTR, und saß auch dort für mehrere Jahre im Vorstand. Anders als Gaetano ist er gewählter Direktor für die Länderdomains im ICANN-Vorstand. Dengate-Thrush würde wohl einen interessanten Widerpart zum hauptamtlichen australischen CEO und Geschäftsführer der ICANN, Paul Twomey, abgeben. Dengate-Thrush gilt als unabhängiger Kopf, der in Einzelfällen auch gegen die Mehrheit seiner Kollegen stimmt. Im Falle der Rotlichtadresszone, .xxx, vertrat Dengate-Thrush die Ansicht, ICANN solle die TLD zulassen, auch gegen die nicht klar quantifizierten Bedenken von Regierungen. Der Neuseeländer hatte auch zur Minderheit gehört, die gegen die Vergabe der .com-Registry an VeriSign stimmten.

Das Thema, inwieweit ICANN bei der Zulassung neuer Adresszonen die öffentliche Moral mit in die Waagschale zu werfen hat, steht auch in dieser Woche auf dem Programm der privaten Netzverwalter. Das für generische Adresszonen zuständige Selbstverwaltungsgremium (Generic Name Supporting Organisation, GNSO) der ICANN wird seine Vorschläge für das Zulassungsverfahren dem an Cerf, Gaetano, Dengate-Thrush und deren Kollegen weitergeben. Auf der einen Seite drängen Bewerber für neue Adresszonen seit Jahren auf die Einführung eines Regelzulassungsverfahrens für neue Adressen neben .com, .org, .info. Auf der anderen Seite könnten ICANN dann genau solche Debatten bevorstehen wie im Falle .xxx. Vor einer inhaltlichen Zensur warnte heute zum Beginn des Treffens die Koalition "Keep the Core Neutral". ICANN dürfe Moral oder öffentliche Ordnung nicht zu Kriterien der Evaluierung neuer Adresszonen machen, damit würde die Organisation zum Zensor.

Großen Streit gibt es in Los Angeles einmal mehr beim der Frage, ob man privaten Domaininhabern künftig mehr Datenschutz hinsichtlich ihrer Einträge in der Whois-Datenbank zugestehen will. Der Whois-Service liefert zu einer gesuchten Domain nicht nur die Information, ob diese bereits besteht oder nicht, sondern darüber hinaus auch einige Daten zum Domaininhaber und verschiedenen Ansprechpartnern. Der Streit um den Whois-Datenschutz kocht seit Jahren und wurde bislang stets zugunsten der insbesondere von der US-Administration geforderten Transparenz entschieden. Innerhalb der GNSO wurde ein Konzept verabschiedet, das einen Operational Point of Contact (OPOC) einführen und damit den privaten Domaininhaber aus der ersten Verteidigungslinie gegen Spammer, Scammer und auch den einen oder anderen Abmahnanwalt nehmen soll. Dieses Konzept sieht vor, die Whois-Daten auf Namen und Nationalität des Domain-Inhabers zu beschränken. Der OPOC-Datensatz soll die bisherigen Angaben zu Tech-C, Admin-C und Billing-Contact ersetzen.

Wie in den vergangenen Jahren laufen aber kurz vor der Abstimmung wieder Vertreter von Markeninhabern Sturm gegen die Lösung, darunter etwa die International Trademark Association. INTA und die Markenvertreter bei ICANN widmen in LA eine spezielle Informationsveranstaltung dem Thema, und hoffen wohl, das Ruder noch einmal herumreißen zu können. Kurz vor dem ICANN-Treffen starteten sie, klagen Mitglieder der verschiedenen Whois-Arbeitsgruppen, zudem erneut eine Kampagne gegen das datenschutzfreundlichere Verfahren. Sie frage sich, ob die vielen Briefeschreiber aus dem Lager der Markenrechtsvertreter, die die Whois-Forumseite der ICANN fluteten, eigentlich wüssten, wie sehr Datenschutzbefürworter ihnen entgegengekommen seien, kritisierte die US-Anwältin Kathy Kleiman.

Cerf hatte in einer Whois-Debatte des Vorstands kürzlich gemahnt, dass man sich eventuell auf unterschiedliche Regeln einlassen müsse, einfach weil man unterschiedliche Gesetze in verschiedenen Ländern vorfinde. Die Lösung des Whois-Problems, ein Zeitplan für neue Adresszonen und auch für neue nicht-englischen Internetadressen wären ein schönes Abschiedsgeschenk für Cerf. Auf alle drei darf er allerdings kaum hoffen. (Monika Ermert) / (jk)