Klartext: Die Stecknuss der Erkenntnis

Warum kennt jeder, der einen Maulschlüssel nicht mehr ausschließlich als Hammer verwendet, so viele Horrorgeschichten aus der Werkstattwelt? Die erste Antwort ist die menschlich statistische: In allen Berufen gibt es hauptsächlich schlechte Ausüber und stets nur wenige Gute

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Inhaltsverzeichnis

Dieser Tage fuhr ich durch das einst von mir aus gutem Grund vehement verleugnete Örtchen Bielefeld. Der Kollege am Steuer erzählte, dass er sich gerne die Fähigkeit des Schraubens aneignen würde, die ihm geeignet erscheine, schöne Stunden in seiner alten Scheune in seinem alten Käfer-Motorraum zu verbringen. "Mach dich nicht unglücklich!", mahnte ich ihn. "Wenn du einmal von diesem Baum der Erkenntnis genascht hast, wirst du für immer wissen, wie verpfuscht deine Autos sind. Du kannst dann nicht mehr zurück zu deiner vormaligen seligen Ignoranz. Du kannst auch in praktisch keine Werkstatt mehr gehen." Traumatische Visionen all meiner Werkstättenerfahrungen stürzten auf mich ein, bis mich glücklicherweise die Ungeheuerlichkeiten der Deutschen Bummelbahn wieder in der (Bielefelder) Realität erdeten.

Ein paar Tage später, kreiste mir das Dilemma immer noch im Kopf herum. Warum kennt jeder, der einen Maulschlüssel nicht mehr ausschließlich als Hammer verwendet, so viele Horrorgeschichten aus der Werkstattwelt? Die erste Antwort ist die menschlich statistische: In allen Berufen gibt es hauptsächlich schlechte Ausüber und stets nur wenige Gute. Das ist bei Ärzten oder Klempnern ja nicht anders. Die erste Antwort ist jedoch wie so oft nicht ausreichend. Ich glaube, mindestens eins der Probleme sitzt tiefer, und ich glaube das, seit mir ein anderer Kollege eine Epiphanie in mir auslöste mit der simplen Aussage: "Weißt du, es geht ums Geld. Ich schraube nicht für Geld, für niemanden, aus folgendem Grund: Für die marktüblichen Werkstattpreise kann ich auch nur Pfusch liefern."

Klartext: Die Stecknuss der Erkenntnis (4 Bilder)

Wer einmal vom Baum der Erkenntnis gekostet hat, dem wird auf einmal die Schönheit durchgenormt präziser Toleranzen bewusst.

Diese Sichtweise war mir als Journalist völlig neu, weil sie gegen jede geheime Grundlage der deutschen Journalistenverschwörung geht: Nicht die Anderen sind alle doof, sondern man selber. Blasphemie! Aber wahr. Sofort fielen mir unzählige Forendiskussionen ein, bei denen es um Werkstattempfehlungen ging. Übliche Textbeiträge sind oft von folgender Art: "Der Müller, die Sau! Verlangt 300 Euro für einen Service, obwohl er beim Meier nur 200 kostet! Das wird ein Nachspiel haben!" Das Nachspiel spielt hauptsächlich im Forum, wo über den Pfusch diskutiert wird, den der Kunde letztendlich gekauft hat. Ich glaube, dort liegt das größte Optimierungspotenzial für kontemplative Menschen. Gute Tätowierer beispielsweise schicken Kunden wie den gedachten Schreiber weiter: "Wenn du es billig haben willst, dann ja: geh weiter. Wir hier machen es nicht billig, sondern gut. Die Preise stehen im Hefter." Der Tätowierer hat den Vorteil, dass die Qualität seiner Arbeit quasiöffentlich ersichtlich ist. Die Arbeit des KFZ-Mechatronikers dagegen ist im Großteil unsichtbar und obendrein im Großteil unbegriffen, was sich deutlich darin zeigt, dass im obigen Vergleich zwischen Müller und Meier der Preis ohne Abwägung der Leistung verglichen wird.