"Mich überrascht gar nichts mehr"

Daniel Domscheit-Berg, Wikileaks-Mitbegründer und Macher der Whistleblower-Plattform "Openleaks", spricht im Technology-Review-Interview über die NSA-Enthüllungen von Edward Snowden.

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Daniel Domscheit-Berg, Wikileaks-Mitbegründer und Macher der Whistleblower-Plattform "Openleaks", spricht im Technology-Review-Interview über die NSA-Enthüllungen von Edward Snowden.

Domscheit-Berg, Informatiker und 1978 geboren, wurde einer breiten Öffentlichkeit ab 2009 als Sprecher von Wikileaks bekannt, das er dann aber im Streit mit Julian Assange 2010 verließ. Seither arbeitet er an einer neuen Transparenzplattform namens Openleaks, die kontrollierter vorgehen und mit Medien kooperieren soll. Domscheit-Berg ist seit 2012 Mitglied der Piratenpartei. Seine Frau Anke, eine ehemalige Microsoft-Managerin und heutige Open-Government-Beraterin, steht auf Listenplatz 2 der Piratenpartei Brandenburg für die Bundestagswahl 2013.

Technology Review: Herr Domscheit-Berg, das Thema Leaks und Whistleblowing ist dank der Enthüllungen des ehemaligen NSA-Vertragsarbeiters Edward Snowden wieder in die weltweiten Schlagzeilen geraten. Die US-Sicherheitsdienste sollen über eine Million externe Mitarbeiter haben. Hat es Sie überrascht, dass es so lange gedauert hat, bis Programme wie "PRISM" oder "Tempora" enthüllt wurden?

Daniel Domscheit-Berg: Nein, überrascht hat mich hieran überhaupt nichts. Es gab in der Vergangenheit schon viele Veröffentlichungen zu Überwachungspraktiken der NSA – wir erinnern uns an das Bekanntwerden des Echelon-Systems in den 90ern, oder den Abhörskandal bei AT&T 2006, der durch Mark Klein ans Licht gebracht wurde.

Insofern sind solche Informationen eigentlich gar nichts Neues. Was neu ist, sind Tiefe und Detail solcher Operationen und viel wichtiger ist die öffentliche Debatte. Das, was in den 90ern und 2006 noch so abstrakt war, dass es nicht genug Menschen empören konnte, ist in Zeiten von Smartphones, sozialen Netzen und der allgegenwärtigen digitalen Spuren, die wir hinterlassen, greifbarer. Menschen verstehen heute viel leichter, wieso dieses "Internet" etwas ist, was sie tangiert, was alle Bereiche des Lebens berührt, und wieso diese Themen relevant sind.

TR: Snowden ist nicht über eine Internet-Plattform an die Öffentlichkeit gegangen, sondern ganz traditionell über zwei große Medien, den britischen "Guardian" und die amerikanische "Washington Post". Wieso hat er das Ihrer Meinung nach getan?

Domscheit-Berg: Ich würde diese Enthüllung zu einem kleinen Bruchteil von potentiellen Leaks zählen, die man nicht digital übertragen sollte. Dafür ist die Überwachungsmaschinerie der NSA einfach zu umfassend, und das Risiko des digitale Übertragungswegs zu schwer einzuschätzen.

Ich denke auch, dass Edward Snowden ganz bewusst versucht hat, gewisse Fallstricke in diesem Umfeld zu vermeiden. Nachdem Bradley Manning verhaftet wurde, wurde intensiv diskutiert, inwiefern dies potenzielle zukünftige Whistleblower verängstigen wird. Ich glaube, das Gegenteil ist passiert – der Akt an sich inspiriert, und es gibt viele Lektionen, die Whistleblower lernen können, um Fehler zu vermeiden und möglichst wenig politische Angriffsfläche zu bieten. Die Zusammenarbeit mit klassischen Medien und eine bewusste Selektion von Materialien, die weitergegeben wurden, sind Beispiele hierfür. Sie zeigen, dass Edward Snowden bewusst, intelligent und vor allem verantwortungsvoll vorgeht.

TR: Es erstaunt, dass ein Mitarbeiter eines Subunternehmers, wie es Snowden war, derart breite Zugriffsmöglichkeiten auf geheimes Material hatte – offensichtlich nicht nur auf NSA-Dokumente, sondern auch auf Bestände des britischen GCHQ. Überrascht Sie, dass die NSA offensichtlich so lax mit ihren Daten umgeht?

Domscheit-Berg: Mich überrascht in diesem Zusammenhang gar nichts mehr.

TR: Sind Sie selbst aufgrund Ihrer Arbeit bei Wikileaks schon einmal ins Visier der Behörden geraten?

Domscheit-Berg: Nicht, dass es mir bewusst wäre. Es gibt ja eine nicht-öffentliche Untersuchung durch amerikanische Behörden – und ich weiß nicht, inwiefern ich Teil dieser Untersuchung bin. Viele der Leute, die damals mit uns gearbeitet haben, werden unter die Lupe genommen. Ich erfahre das vielleicht im Moment nur noch nicht, weil ich zum Beispiel nie einen Google Account hatte, der nun ins Visier einer Ermittlung gerät.

Wir sollten allerdings nicht vergessen, dass wir alle im Visier sind. Genau darum geht es aktuell. Dazu zählen ganz sicher auch Sie, als Journalist und Mensch, der zu diesem Thema schreibt.

TR: Haben Sie aktuell noch Kontakt zu Wikileaks, dessen Chef Julian Assange weiterhin in der Botschaft Ecuadors in London festsitzt?

Domscheit-Berg: Nein. Es gibt keinen Kontakt, seit ich Wikileaks im September 2010 verlassen habe.

TR: Snowdens Flucht aus Hongkong scheint maßgeblich von Wikileaks mitorganisiert worden zu sein. Wie bewerten Sie das?

Domscheit-Berg: Das lässt sich ganz schwer einschätzen. Ich kann leider nicht prüfen, welche Rolle Wikileaks da wirklich gespielt hat, und mit welchem Ziel.

TR: Ist es auch als Versuch Ihres ehemaligen Kollegen Julian Assange zu sehen, Wikileaks wieder relevanter zu machen? Oder agiert die Organisation selbstlos, als eine Art zentrale Anlaufstelle für Leaker?

Domscheit-Berg: Das ist eine gute Frage. Ich hoffe inständig, dass es um die Sache ging und nicht um PR für Wikileaks. Die Art und Weise, wie Wikileaks kommuniziert, die Umstände um den "Safepass" aus Ecuador und einige weitere Entwicklungen legen allerdings nahe, dass es nicht unbedingt nur um die Sache geht. Das wäre schade, würde mich aber auch nicht wirklich wundern. Wichtig ist, dass Herr Snowden – egal wie – breitestmöglich unterstützt wird. Und hier sind wir als Bürger und die Politik als unsere Interessenvertretung gefragt.

TR: Wie ist der Status bei Wikileaks? Können mittlerweile Dokumente wieder sicher übergeben werden?

Domscheit-Berg: Nicht dass ich wüsste.

TR: Snowden geht bei der Veröffentlichung der von ihm erlangten Daten offenbar strategisch vor – er gibt die Informationen nur scheibchenweise heraus. Wikileaks setzte dagegen auf "Datendumps", was Kritik hervorrief. Was ist hier die beste Lösung?

Domscheit-Berg: Ich halte die Veröffentlichung von Snowden für einfacher zu verteidigen. Und dies ist ein ganz wichtiger Bestandteil einer verantwortungsvollen aber auch effektiven Veröffentlichung solcher Informationen. Wir haben auf die harte Tour lernen müssen, dass die Veröffentlichung einer großen Menge relevanter Information schnell durch einen Fehler angreifbar wird. Dem muss man vorbeugen, auch wenn ich persönlich sehr viel mehr Details zu den Systemen der NSA wissen möchte. Aber vielleicht kommen wir da ja noch hin, ich denke, wir stehen noch am Anfang dieser Veröffentlichungen.

TR: Es gibt Aktivisten, die völlige Transparenz fordern, denn nur so komme die Wahrheit ans Licht. So fehlen von den Präsentationsfolien zu "PRISM", die Snowden veröffentlicht hat, große Teile. Kann radikale Transparenz sinnvoll sein?

Domscheit-Berg: Das muss man immer im Einzelfall abwägen, es gibt sicher Ausnahmen, wo eine Veröffentlichung auch kontraproduktiv sein kann. Diese sind allerdings wirklich die absolute Ausnahme. Ich denke, dass immer so viel veröffentlicht werden sollte, wie irgend möglich – nicht wie irgend nötig. Und da braucht es ein Umdenken, in ganz vielen Bereichen der Gesellschaft und Politik.

TR: Manchmal bekommt man das Gefühl, dass "Datendumps" die Informationen in gewisser Weise entwerten. Skandale, die sich in solchen Riesenleaks verbergen, werden dann oft nicht gefunden.

Domscheit-Berg: Auch das ist in der Tat ein Problem. Wir werden noch vieles lernen müssen in einer Welt, in der Informationsüberfluss herrscht, und das Sortieren und das Am-Ball-bleiben schwer fällt. Dazu gehört auch, Strategien zu finden, die sicherstellen, dass Informationen in der nötigen Tiefe verbreitet werden können. Datendumps führen schnell zu einem Hype über die Größe eines Dumps, die Verwegenheit, diesen Dump zu publizieren, den Übertritt einer Grenze oder Ähnlichem. Da ist der Skandal die Verpackung. Der eigentliche Skandal steckt aber meist im Inhalt, der viel zu oft untergeht. Darauf den Fokus zu richten, müssen wir lernen.

TR: Wie geht es Ihrem Projekt Openleaks? Die Website ist nicht mehr zu erreichen, es scheint eingeschlafen zu sein.

Domscheit-Berg: Wir sind in den letzten Monaten leider mit anderen, komplementären Projekten beschäftigt gewesen. Da blieb ein bisschen was auf der Strecke, aktuell unter anderem die Erreichbarkeit der Website. Die Arbeit am Openleaks-Projekt wird weiter fortgesetzt, allerdings haben wir uns auch entschlossen, das durchzuziehen, ohne die Öffentlichkeit groß einzubinden. Das ganze Drama, das sich in den letzten Jahren immer mal wieder entladen hat – mit einem traurigen Höhepunkt auf dem CCC Camp 2011 –, war nicht nur unproduktiv, es demotivierte auch stark. Wir setzen etwas um, woran wir glauben, und haben uns entschlossen, das Spielchen mit der öffentlichen Meinung zu unserer Arbeit nicht mehr mitzuspielen. The winning move is not to play. Wir konzentrieren uns auf unsere Unabhängigkeit und die Arbeit an der Sache.

TR: Verschiedene Medien versuchen, eigene Whistleblower-Plattformen aufzubauen. Werden diese von Erfolg gekrönt sein?

Domscheit-Berg: Ich hoffe doch sehr! Genau darum ging es uns mit Openleaks ja auch, und wir sind immer noch aktiv dabei, mit unserem Know-how hier zu unterstützen, wo wir können. Die Welt braucht viele solcher Plattformen, die auf möglichst robusten Beinen stehen. Dies wird nicht gelingen, wenn man da auf eine One-size-fits-all-Lösung vertraut, sondern kann nur funktionieren, wenn wir alle zusammenarbeiten, an einem Strang ziehen, jeder mit den Kompetenzen, die er hat. Und genau darum geht es uns im Kern der Sache. (bsc)