Energiewende: Netzausbau bannt Blackoutgefahr

Viele reden bei der Energiewende nur noch über die Strompreise. Dabei gerät zwei Jahre nach dem Beschluss zum Atomausstieg eines aus dem Blick: Bisher gelingt es, das Stromnetz stabil zu halten. Aber die Blackout-Gefahr bleibt.

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Von
  • Georg Ismar
  • dpa

Die Liste mit dem roten Hinweis "Angespannte Netzsituation" ist ziemlich lang. Allein 60 kritische Vorkommnisse führt der ost- und norddeutsche Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz seit Neujahr auf. Er steuert die Stromversorgung von 18 Millionen Menschen. Ebenso wie bei Tennet, Amprion und TransnetBW sind es die Netztechniker, die mit ganz neuen Belastungsproben fertig werden müssen. Es ist ein bisschen wie mit einem Schiff, das durch recht unbekannte See fährt – bisher sind die meisten gefährlichen Klippen erkannt worden.

Wenige Tage nach dem Bundestagsvotum für einen Atomausstieg bis 2022 malte der damalige RWE-Chef Jürgen Großmann im Juli 2011 vor Aktionären ein dramatisches Szenario von Dunkeldeutschland. "Um einen bundesdeutschen Blackout zu vermeiden, kann es notwendig sein, einzelne Regionen in Süddeutschland, etwa in der Größe des Großraums Stuttgart, dunkel zu schalten", sagte er. Zwei Jahre später ist das Abschalten ganzer Regionen ausgeblieben.

Die nackten Zahlen sehen keine dramatische Veränderung durch die je nach Wetter stark schwankende Wind- und Solarstromeinspeisung. Gemäß dem international gängigen SAIDI (System Average Interruption Duration Index) hatten Verbraucher 2011 insgesamt während 15,31 Minuten keinen Strom – dies lag laut Bundesnetzagentur klar unter dem Mittelwert von 17,44 Minuten für die Zeit von 2006 bis 2010. Für 2012 wird der Index laut einer Sprecherin erst im Herbst veröffentlicht.

Ein Beispiel zeigt aber, welche Herausforderungen es gibt, sobald Wetterprognosen daneben liegen oder Leitungen ausfallen. So kam es am 25. und 26. März dieses Jahres zu einer sehr angespannten Situation im Netz der Stromautobahnen. Über Stunden war der sichere Betrieb nicht mehr gewährleistet, betont die Netzagentur in ihrem neuen Bericht zur Lage von Oktober bis März. Das n1-Kriterium, wonach für den Ausfall einer Leitung eine Absicherung bereitstehen muss, konnte auf den 380-Kilovolt-Trassen von Remptendorf (Thüringen) nach Redwitz (Bayern) und Mecklar nach Dipperz (Hessen) nicht mehr erfüllt werden.

"Ursächlich war die Verbindung aus hoher Einspeisung aus Windenergie-und Photovoltaikanlagen von bis zu knapp 30 Gigawatt am 25. März 2013, vorwiegend im nördlichen Deutschland, und einer hohen Nichtverfügbarkeit konventioneller Kraftwerke im Süden", betont die Bundesnetzagentur. Windkraftanlagen mit einer Einspeiseleistung von 1390 Megawatt in der Zone von 50Hertz mussten gestoppt werden.

Ein solches Szenario ist es, welches die Mahner immer wieder anführen: zu viel Strom im Norden, zu wenig im Süden und somit eine gefährliche Schieflage im Netz. Gerade Hessen und Süddeutschland bleiben die Achillesferse. Die schwarz-gelbe Bundesregierung sah sich daher zu hochumstrittenen staatlichen Eingriffen genötigt.

Systemrelevante, aber unrentable Kraftwerke dürfen nicht mehr einfach stillgelegt werden. Gegen Entschädigungen soll das Abschalten verboten werden. Gerade erst hat Tennet mit Eon separat vereinbart, dass das hochmoderne, aber wegen immer mehr Ökostrom unrentable Gaskraftwerk Irsching (Bayern) bis 2016 in Reserve gehalten wird. Tennet vergütet die Stand-By-Fixkosten von zwei Blöcken und rechnet das in die Netzentgelte beim Strompreis ein.

Einen Rüffel der Netzagentur bekam gerade das Regierungspräsidium Darmstadt für die Stilllegung des alten Kohlekraftwerks Staudinger I aus Klimaschutzgründen. Dies gefährde die Versorgungssicherheit in der Rhein-Main-Region und bundesweit, "da in Folge des Atommoratoriums in Süddeutschland alle verbleibenden konventionellen Kraftwerke in der Region dringend benötigt werden". Dies gelte insbesondere zur Entlastung von Leitungen in kritischen Situationen.

Die Beispiele zeigen: Das Problem liegt in einer abnehmenden gesicherten Stromleistung. Sorgen bereiten der energieintensiven Industrie schon kurzzeitige Schwankungen. Der Kupferhersteller Aurubis machte 2012 Schlagzeilen, weil für zwei Millionen Euro Notstromaggregate gemietet wurden, damit die flüssige Schmelze bei Problemen nicht in den Öfen erstarrt und riesige Schäden verursacht. Weil sich viele Firmen wegen der weniger berechenbaren Versorgung sorgen, gibt es auch einen Trend zum Kauf eigener Kraftwerke.

Die rapide gestiegenen Netzeingriffe kosten jährlich hohe dreistellige Millionenbeträge. Daher ist auch der Netzausbau so wichtig. Es gilt: schnellerer Ausbau = weniger Eingriffe = weniger Kosten, die die Strompreise belasten. Zur Nagelprobe, ob der Atomausstieg im vereinbarten Zeitplan ohne Gefährdung der Versorgungssicherheit machbar ist, wird das Jahr 2015.

Dann soll das bayerische Atomkraftwerk Grafenrheinfeld vom Netz gehen. Dafür muss aber bis dahin die "Thüringer Strombrücke" zum Abtransport von Windstrom aus dem Osten fertig sein, denn sonst kann Strom im Süden fehlen. Allein wegen dieser fehlenden Leitung hat 50Hertz laut Geschäftsführer Boris Schucht jährliche Eingriffskosten von bis zu 100 Millionen Euro. Die Ausgaben für die neue Strombrücke könnten sich daher schon nach etwa drei Jahren rechnen. Und die Blackout-Gefahr wäre wieder ein Stückchen mehr gebannt. (anw)