Schlagabtausch zur Vorratsdatenspeicherung vor dem EuGH

Vertreter der EU-Gremien und -Mitgliedsstaaten taten sich bei der Verhandlung mehrerer Klagen gegen die Protokollierung der Nutzerspuren vor dem Europäischen Gerichtshof schwer damit, die Vorratsdatenspeicherung zu verteidigen.

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Vertreter der EU-Gremien und der EU-Mitgliedsstaaten taten sich bei der Verhandlung mehrerer Klagen gegen die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) am Dienstag schwer damit, das Instrument zu verteidigen. Sie betonten immer wieder, dass die Maßnahme, mit der die Verbindungsdaten aller Nutzer beim Telefonieren und bei der Internet-Nutzung ohne konkreten Anlass für mindestens 6 Monate gespeichert werden, notwendig für die Strafverfolgung sowie verhältnismäßig sei und bereits viele Datenschutzbestimmungen enthalte. Die Frage der Effizienz der Maßnahme könne nicht allein statistisch beantwortet werden. Generell dürften die Vorgaben nicht auf Basis von Missbrauchsmöglichkeiten in ein schiefes Licht gerückt werden.

Der Anwalt des EU-Parlaments hob hervor, dass einige Länder bereits vor der europäischen Gesetzgebung Maßnahmen zur Vorratsdatenspeicherung eingeführt hätten. Die Richtlinie habe so nur die Aufbewahrungsfristen spezieller Informationskategorien harmonisiert.

Die sich sehr kritisch zeigenden und ins Detail gehenden Luxemburger Richter bohrten mehrfach nach, inwiefern die Bestimmungen grundrechtskonform erlassen worden seien und ob sie etwa eine Weitergabe der Daten in Drittstaaten wie die USA erlaubten. Ihnen war ein Dorn im Auge, wieso die laut EU-Kommission "nicht perfekte" Direktive von 2006 nicht längst überarbeitet worden ist.

Die Wahl der Rechtsgrundlage in Form einer Binnenmarktregelung habe detaillierte Vorgaben nicht zugelassen, erwiderte der Parlamentsgesandte. Das Anlegen von Profilen sei nicht von der Direktive gedeckt. Die Kommission unterstrich, dass die Einhaltung der Grundrechte letztlich auf nationaler Ebene zu gewährleisten sei. Damit provozierte sie Nachfragen, inwieweit dann die europäische Grundrechtecharta überhaupt anwendbar sei.

Wie im Evaluierungsbericht von 2011 konnte Brüssel keine belastbaren Zahlen präsentieren, inwieweit die Protokollierung der Nutzerspuren beim Aufklären von Straftaten hilft. Es gebe aber ausreichende Hinweise, dass es sich um eine nützliche Maßnahme zur Verbrechensbekämpfung handle. Der EU-Ratsvertreter ergänzte, dass Alternativen zur Vorratsdatenspeicherung geprüft und verworfen worden seien. Den Ermittlern dürften nicht die Instrumente ihrer Arbeit weggenommen werden. Auch gesetzestreue Bürger profitierten von der Maßnahme, da darüber etwa Entlastungszeugen für sie zu finden seien.

Der irische High Court sowie der österreichische Verfassungsgerichtshof hatten den Luxemburger Richtern vor allem die Frage vorgelegt, ob die Brüsseler Vorgaben mit den verbrieften Grundrechten der Gemeinschaft vereinbar sind. In der Alpenrepublik haben der AK Vorrat mit der Unterstützung von 11.139 Bürgern, die mittlerweile abgewählte Kärntner Landesregierung sowie Michael Seitlinger als Privatperson geklagt, in Irland die Bürgerrechtsinitiative Digital Rights Ireland ().

Ewald Scheucher bezeichnete es im Namen des AK Vorrat als unerlässlich, eine Gesamtrechnung staatlicher Überwachungsmaßnahmen in Betracht zu ziehen. Dabei müsse man im Hinterkopf behalten, ob der Missbrauch von Datensammelwut durch Geheimdienstprogramme wie PRISM nicht die konsequente Fortsetzung der Logik der Vorratsdatenspeicherung sei. An die Richter appellierte er, für die Freiheit zu entscheiden, da die Sicherheit in Europa bereits ausreichend Fürsprecher habe. Schon die reine Speicherung von Verbindungs- und Standortdaten führe zu Verhaltensänderungen und einer Gesellschaft von Duckmäusern.

Der DRI-Vertreter verwies auf die fehlenden Statistiken und Argumente der Befürworter der Vorratsdatenspeicherung. Die irische Menschenrechtskommission, die dem irischen Kläger zur Seite steht, stellte die Verhältnismäßigkeit der pauschalen Überwachungsmaßnahme in Frage und rannte offene Türen auf der Richterbank ein. Von dort war zu vernehmen, dass man keinen Presslufthammer verwende, um eine Nuss zu knacken. Zudem sei eine Mindestspeicherfrist von sechs Monaten schwer zu vermitteln, wenn in 67 Prozent der Fälle herangezogene Daten nicht älter als drei Monate gewesen seien.

Die Menschenrechtler führten aus, dass Verbindungsinformationen für Ermittler oft interessanter seien als Kommunikationsinhalte, da damit detaillierte Personenprofile erstellt werden könnten. Die angelegten Datenhalden seien sehr leicht zu missbrauchen, ihre Sicherheit könne kaum gewährleisten werden.

Seitlingers Anwalt erläuterte, dass aus Vorratsdaten rasch Rückschlüsse etwa auf die Gesundheit oder das Berufs- und Arbeitsleben seines Mandanten gezogen werden könnten. Die Maßnahme sei zur Strafverfolgung denkbar ungeeignet, da sich Kriminelle ihr über anonyme Kommunikationsmittel entziehen könnten. In Österreich werde nur für 0,067 Prozent der angezeigten Straftaten auf die Bestände der Provider zugegriffen, wobei es am häufigsten um Diebstahl gehe. Ein Mitarbeiter des EU-Datenschutzbeauftragten Peter Hustinx monierte, dass die Richtlinie ausufernd sei. Er erinnerte daran, dass etwas schon beim automatischen Aktualisieren der Wettervorhersage auf dem Smartphone Verbindungsdaten erzeugt würden, obwohl kein bewusster Kommunikationsvorgang stattgefunden habe.

Der Abgesandte Italiens brachte als Kompromiss Ausnahmen für Länder ins Spiel, die auf einen besonders starken Grundrechtsschutz bestehen. Von Österreichs Regierung war zu hören, dass Nutzer des Internets in zahlreichen Diensten wie Suchmaschinen bereits umfangreiche Datenspuren hinterließen und diese einfach zu persönlichen Profilen zu verdichten seien. Damit gebe es nur noch eine "scheinbare Anonymität" im Netz. Die Frage der Richter, ob Vorratsdaten auch im Kampf gegen Terrorismus eingesetzt worden seien, verneinte der österreichische Anwalt. Er räumte ein, dass die Informationen in der Alpenrepublik entgegen der EU-Vorgabe auch zur Verfolgung normaler Verbrechen verwendet werden dürften. Insgesamt habe es binnen eines Jahres 326 Zugriffe gegeben.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger forderte angesichts der Anhörung vom Koalitionspartner das endgültige Aus für dessen Absicht, die EU-Richtlinie in Deutschland umzusetzen. "Wir sollten nicht abwarten, bis der EuGH über die Frage entscheidet, ob die Richtlinie mit europäischem Recht vereinbar ist", sagte die FDP-Politikerin der Welt. Die anlasslose Datenvorhaltung gehöre schon jetzt "in die Geschichtsbücher und nicht in die nationalen Gesetze".

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich bekräftigte dagegen bei der CSU-Klausur im oberfränkischen Kloster Banz, dass Telekommunikationsdaten für sechs Monate gespeichert werden sollten. CSU-Chef Horst Seehofer versicherte ebenfalls, es gebe keinen Kurswechsel. Er wolle bei einer Umsetzung jedoch den Datenschutz stärker in den Vordergrund rücken. Gegen die Bundesrepublik läuft vor dem EuGH parallel eine Klage der Kommission wegen fehlender Implementierung der Richtlinie.

Innenpolitiker der Grünen appellierten an den EuGH, die "historische Chance" zu nutzen und sich ein "überzeugendes Grundrechtsprofil" zu erarbeiten. Die Verhandlung sei auch "im Lichte der Enthüllungen über die anlasslose Totalüberwachung europäischer Kommunikation durch die Geheimdienste" sowie zahlreicher bereits verankerter EU-Bespitzelungsmaßnahmen zu sehen. Mit einem Urteil ist voraussichtlich in einem halben Jahr zu rechnen. (jk)