Bundesverfassungsgericht schränkt Vorratsdatenspeicherung ein

Die Karlsruher Richter haben die umstrittenen Auflagen zur Protokollierung von Nutzerspuren ein wenig zurechtgestutzt. Sie folgten damit zum Teil einem Eilantrag von über 30.000 Beschwerdeführern.

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Das Bundesverfassungsgericht hat die Auflagen zur Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten ein wenig zurechtgestutzt. Die Richter folgten damit zum Teil einem Eilantrag von über 30.000 Beschwerdeführern. Die Telekommunikationsfirmen müssen zwar im Rahmen der Anfang des Jahres in Kraft getretenen Novelle der Regelungen zur TK-Überwachung Verbindungs- und Standortdaten der Nutzer verdachtsunabhängig sechs Monate vorhalten. Sicherheitsbehörden dürfen aber nur zur Verfolgung schwerer Straftaten darauf zugreifen.

Zudem muss der Verdacht durch bestimmte Tatsachen begründet und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos sein. Das Gesetz sieht dementgegen vor, dass Ermittler sowie prinzipiell Geheimdienste etwa auch bei "mittels Telekommunikation begangener Straftaten" in den Datenbergen schürfen können sollten.

Der am heutigen Mittwoch bekannt gegebene Beschluss (PDF-Datei) ist ein Teilerfolg für die vielen Bürger, die sich mit ihrer Klage an Karlsruhe gerichtet haben. Nicht das in Paragraph 113a Telekommunikationsgesetz (TKG) geregelte Speichern selbst, sondern erst die in Paragraph 113b TKG festgeschriebene Vorgabe zum Abruf und zur Verwendung der Daten sei der besonders gefährliche Eingriff in die Freiheit der Bürger, meinen die roten Roben. Ein solcher Datenabruf ermögliche es, "weitreichende Erkenntnisse über das Kommunikationsverhalten und die sozialen Kontakte des Betroffenen zu erlangen". Er könnte zudem häufig eine Einleitung weiterer Ermittlungsmaßnahmen nach sich ziehen.

Zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht in anderen Entscheidungen immer wieder betont, dass schon das Datensammeln an sich die Bürgerrechte einschränke und einen Einschnitt in das informationelle Selbstbestimmungsrecht darstelle. Über die Verfassungsmäßigkeit der Speicherung an sich will Karlsruhe nach eigenen Angaben aber erst im noch ausstehenden Hauptverfahren ein Urteil fällen.

Die Bundesregierung muss dem Gericht nun bis zum 1. September einen Bericht über die praktischen Folgen der Vorratsdatenspeicherung vorlegen. Mit dem Beginn der Hauptverhandlung ist deshalb nicht vor Jahresende zu rechnen. Zugleich erklärten die Richter, dass sie von ihrer Befugnis, das Inkrafttreten oder den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen, nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch machen dürften. Der Prüfungsmaßstab sei noch weiter verschärft, wenn eine einstweilige Anordnung begehrt werde, durch die der Vollzug einer Rechtsnorm ausgesetzt wird. Vorauszusetzen sei hier, dass aus dem Vollzug des Gesetzes den Betroffenen ein besonders schwerwiegender und irreparabler Schaden droht.

Die Aussetzung der Speicherpflicht selbst scheidet für die roten Roben damit aus. Zwar kann die "umfassende und anlasslose Bevorratung sensibler Daten über praktisch jedermann für staatliche Zwecke, die sich zum Zeitpunkt der Speicherung der Daten nicht im Einzelnen absehen lassen", ihnen zufolge "einen erheblichen Einschüchterungseffekt bewirken". Der in der Vorratsdatenspeicherung für den Einzelnen liegende Nachteil für seine Freiheit und Privatheit "verdichtet und konkretisiert sich jedoch erst durch einen Abruf seiner Daten zu einer möglicherweise irreparablen individuellen Beeinträchtigung".

Für eine einstweilige Anordnung über die Datennutzung zu präventiven Zwecken durch Sicherheitsbehörden etwa zur Terrorabwehr besteht laut Karlsruhe kein Anlass. Es bestünden nämlich bislang keine fachrechtlichen Abrufermächtigungen, die ausdrücklich auf die entsprechende Regelung in Paragraph 113a TKG Bezug nähmen.

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung hat die Entscheidung in einer ersten Stellungnahme begrüßt. Nun fordert er den Rücktritt der federführenden Bundesjustizministerin Brigitte Zypries. Die SPD-Politikerin "hat die Vorratsdatenspeicherung gegen den Willen des Bundestages ausgehandelt, einer EU-Richtlinie ohne Rechtsgrundlage zugestimmt und die Datenspeicherung unter Verstoß gegen die klare Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Deutschland durchzudrücken versucht", erklärte Patrick Breyer als einer der Beschwerdeführer von dem Zusammenschluss von Bürgerrechtlern. Dieser "vorsätzliche Verfassungsbruch" mache sie als Bundesjustizministerin untragbar. Der Arbeitskreis fordert außerdem, Deutschland müsse die geplante staatliche Registrierung aller Flugreisen, mit welcher die nächste verfassungswidrige Vorratsspeicherung drohe, ebenso wie das Vorhaben zum millionenfachen Bruch des Postgeheimnisses durch die Erfassung und Auswertung von Brief- und Paketsendungen sofort stoppen.

Zu den Auseinandersetzungen um die Terrorismus-Bekämpfung, die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(Stefan Krempl) / (anw)