Verfassungsgerichtsentscheidung zur Vorratsdatenspeicherung sorgt für Konfusion

Unter Juristen herrscht Uneinigkeit darüber, wie sich die einstweilige Verfassungsgerichtsanordnung auf die Ermittlung minderschwerer Delikte wie Urheberrechtsverletzungen in Tauschbörsen auswirken könnte.

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Von
  • Holger Bleich

Mit seiner heute veröffentlichten einstweiligen Anordnung zur Vorratsdatenspeicherung hat das Bundesverfassungsgericht zwar teilweise Klarheit geschaffen, aber auch für jede Menge Konfusion gesorgt. Die Entscheidung bezieht sich nur auf Daten, die auf Basis des am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Paragrafen 113a Telekommunikationsgesetz (TKG) erhoben werden, also aufgrund der so genannten Pflicht zur sechsmonatigen Vorratsdatenspeicherung. Für den Internet-Bereich ist sie gegenwärtig de facto kaum relevant, weil diese Verpflichtung nach einer Übergangsfrist erst ab dem 1. Januar 2009 besteht. Bislang ist kein DSL-Provider bekannt, der die Vorratsdatenspeicherung bereits umgesetzt hätte.

In ersten Kommentaren wird gemutmaßt, dass die Provider bei weniger schweren Straftatbeständen, zum Beispiel einer Urheberrechtsverletzung in einer Tauschbörse, den Strafverfolgungsbehörden nun Auskünfte zu Namen und Adressen von Kunden verweigern müssen. Dies habe erhebliche Konsequenzen für die Musikindustrie, kommentierte etwa der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar: "Die bisherige Praxis, Tauschbörsenteilnehmer über deren IP-Adressen ermitteln zu lassen, ist nach den Karlsruher Vorgaben nicht mehr zulässig." Rechtsanwalt Christian Solmecke, der etliche abgemahnte P2P-Nutzer vertritt, geht noch einen Schritt weiter: "Damit dürfte die Abmahnwelle der Musikindustrie gegen deutsche Tauschbörsennutzer vorerst ein Ende haben."

Ganz so eindeutig, wie einige Rechtsanwälte die neue rechtliche Lage nun darstellen, scheint sie allerdings nicht zu sein. Allerorten steckten am heutigen Mittwoch Staatsanwälte die Köpfe zusammen, erörterten die Situation und kamen zu unterschiedlichen, freilich sehr vorläufigen Schlüssen. Wie heise online erfuhr, werden etliche Staatsanwaltschaften die Strafermittlungen gegen Tauschbörsennutzer vorerst genauso weiter betreiben wie bisher.

Entscheidend bei den Überlegungen ist ein Passus aus der Entscheidungsbegründung des Bundesverfassungsgerichts, der offenbar noch nicht überall wahrgenommen wurde. Wörtlich heißt es darin: "[...] dass den Strafverfolgungsbehörden die ihnen schon bisher eröffneten Möglichkeiten des Zugriffs auf die von den Telekommunikations-Diensteanbietern im eigenen Interesse, etwa gemäß § 97 in Verbindung mit § 96 Abs. 1 TKG zur Entgeltabrechnung, gespeicherten Telekommunikations-Verkehrsdaten erhalten bleiben."

Hier stellt das Gericht klar, dass sich die auferlegten Zugriffsbeschränkungen nur auf per Vorratsdatenspeicherung gesammelte Daten, nicht aber auf Daten bezieht, die Provider aus Abrechnungs- oder Systemsicherheitszwecken mitloggen. Zur Erinnerung: Die Deutsche Telekom etwa speichert mit ausdrücklicher Zustimmung des Bundesdatenschutzbeauftragten für sieben Tage, wann sie welchem DSL-Kunden eine dynamische IP-Adresse zugewiesen hat, und dies aus Gründen des Systemschutzes. Andere Provider wie Arcor oder Hansenet speichern dagegen gar nicht.

Tatsächlich also dürften die Strafverfolgungsbehörden auf den Kundendaten-Pool des Bonner Konzerns wie gehabt zugreifen können. Erst wenn die Telekom die Vorratsdatenspeicherung umgesetzt hat, greift die Anordnung der obersten Gesetzeshüter aus Karlsruhe. So lautet zumindest einhellig die Meinung von Staatsanwälten, die heute dazu von heise online befragt wurden. Es kommt also offenbar darauf an, wie der DSL-Provider seine gespeicherten Verkehrsdaten deklariert.

Bei der für Massenstrafanzeigen- und Abmahnungen gegen Tauschbörsennutzer bekannten Rechtsanwaltskanzlei Schutt-Waetke sieht man noch aus anderen Gründen keinen Anlass, die Strategie zu ändern: "Auskünfte eines Providers über die Identität eines hinter einer IP-Adresse stehenden Anschlussinhabers gegenüber der Staatsanwaltschaft werden von dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nicht berührt", kommentierte Rechtsanwalt Timo Schutt, und führte weiter aus: "Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts bezieht sich auf die Paragrafen 113a und 113b des TKG. Diese beiden Vorschriften regeln die Speicherung beziehungsweise die Verwendung von so genannten Verkehrsdaten. Rechtsgrundlage der Providerauskunft gegenüber der Staatsanwaltschaft über den Namen und die Anschrift eines Anschlussinhabers ist jedoch Paragraf 113 TKG. Diese Vorschrift bezieht sich nicht auf Verkehrsdaten, sondern (über die Verweisung auf Paragraf 95 TKG) ausschließlich auf so genannte Bestandsdaten."

Verkehrsdaten sind der Rechtsprechung zufolge dynamisch vergebene IP-Adressen, Bestandsdaten beispielsweise Namen und Postadressen von Kunden. Schutt kommt zu dem Schluss, dass die Staatsanwaltschaften weiterhin die Identität des Anschlussinhabers erfragen, wenn dessen IP-Adresse bereits bekannt ist: "Der Provider ist dann weiterhin wie üblich zur Auskunft verpflichtet."

Anders als Schutt sieht die Rechtslage allerdings offenbar das Bundesministerium der Justiz. Dort räumt man im Rahmen einer Pressemeldung ein, dass es sehr wohl "geringfügige Einschränkungen" bei der Rechtsverfolgung von per Telekommunikation begangenen Straftaten gebe. Telekommunikationsunternehmen dürften in diesen Fällen aufgrund eines Abrufersuchens ermittelte Daten zukünftig nur dann an die Strafverfolgungsbehörden übermitteln, wenn es sich dabei um solche handelt, die das Unternehmen "zu Abrechnungszwecken gespeichert" habe. Einschränkungen gebe es aber dann, wenn die "ermittelten Daten solche sind, die nur aufgrund der Vorratsdatenspeicherung gespeichert" werden.

Ob sich die Telekom bezüglich der Herausgabe von Kundendaten künftig querstellen will, war bisher nicht in Erfahrung zu bringen: "Wir werden die Anordnung des Bundesverfassungsgerichts erst einmal analysieren", erklärte Unternehmenssprecher Ralf Sauerzapf auf Nachfrage. (hob)