Zypries wirft Kritikern der Vorratsdatenspeicherung wenig Sachkunde vor

Die Bundesjustizministerin zeigte sich im Vorfeld der Verabschiedung des Gesetzes zur verdachtsunabhängigen Aufzeichnung elektronischer Nutzerspuren bemüht, Einwände gegen das Vorhaben zurechtzurücken.

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Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hat sich im Vorfeld der Verabschiedung des heftig umstrittenen Gesetzesentwurfs zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und zur Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten durch den Bundestag sichtlich bemüht gezeigt, die massiven Einwände gegen das Vorhaben zurechtzurücken. "Ich habe mich daran gestört, dass bei denen, die sich darüber äußern, wenig Sachkunde vorhanden ist", sagte die SPD-Politikerin bei einem Pressegespräch in Berlin am heutigen Freitag. Konkret stimme etwa die Kritik des Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar nicht, dass mit der sechsmonatigen Aufzeichnung elektronischer Nutzerspuren ohne Verdacht eine "Kontrolle jeglicher Kommunikation" stattfinde.

Zypries betonte, dass das Abhören von Telefon- und Internetkommunikation im ersten Teil des komplexen Vorhabens "rechtsstaatlicher gemacht werde". So werde etwa der Straftatenkatalog "entrümpelt". Gelauscht werden dürfe demnach nur noch bei "schweren" Vergehen, auf die mindestens Haftstrafen mit Höhen zwischen einem und fünf Jahren stünden. Fahrlässige Verstöße gegen das Waffenrecht, Beihilfe zur Fahnenflucht oder Verstöße gegen das Vereinsgesetz etwa würden gestrichen, da diese "im Höchstmaß" mit weniger als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht seien. Zudem würden die Benachrichtigungspflichten und Löschungsregeln für alle verdeckten Überwachungsmaßnahmen einheitlich geregelt. Wenn es um den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung gehe, dürfe zudem nicht abgehört beziehungsweise dürften zufällig etwa automatisch auf Band aufgenommene Gespräche nicht verwertet werden. Kritiker wie die Humanistische Union und Rechtsprofessoren monieren an diesem Punkt aber, dass sich diese Regelung nur auf Telefonate oder E-Mails bezieht, wenn diese ausschließlich der höchst intimen Lebenswelt zuzurechnen sind.

Die Ministerin verteidigte zudem das mit dem Entwurf weiterhin aufrecht erhaltene Zweiklassenrecht beim Schutz so genannter Berufsgeheimnisträgern. Dieses beruhe auf einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Schon jetzt seien in der Gruppe, in die etwa auch Journalisten oder Anwälte eingeordnet sind, auch "Fußpfleger und die Hebammen" dabei. Dieser gesamte Personenkreis, der nach Schätzungen Zypries' 30 Prozent der Bevölkerung umfasst, werde besser geschützt. So dürften Ermittlungsmaßnahmen nur noch nach einer "sorgfältigen Abwägung im Einzelfall", also etwa beim Verdacht der Verstrickung in Straftaten von "erheblicher Bedeutung" gestartet werden. Zudem werde die Pressefreiheit durch eine Klausel verbessert, wonach Zufallsfunde bei Wohnungs- oder Redaktionsdurchsuchungen von Medienmitarbeitern nur noch bei schweren Straftaten – bei Geheimnisverrat gar nicht – verwertet werden dürften. Die "riesige Gruppe" könne aber nicht mit Seelsorgern, Abgeordneten und Strafverteidigern gleichgesetzt und gleichsam mehr oder weniger von der Strafverfolgung ausgenommen werden.

Bei der Vorratsdatenspeicherung betonte Zypries wiederum, dass Deutschland die entsprechenden Brüsseler Vorgaben lange blockiert und die von anderen Ländern geforderten Maßnahmen etwa bei der Speicherfrist sowie dem Umfang der vorzuhaltenden Daten "deutlich runtergefahren" habe. Es sei zudem gleichsam "nur der Briefumschlag" eines Telefonats, einer Internetsitzung oder einer E-Mail-Sendung aufzubewahren. "Wir setzen die Richtlinie am untersten Level um", beteuerte Zypries, obwohl die deutschen Sicherheitsbehörden im Gegensatz zu den Ansagen Brüssels etwa auch bei "mittels Telekommunikation begangener" Bagatellstraftaten auf die wegen ihre leichten Verknüpfbarkeit zu Nutzerprofilen begehrten Verbindungs- und Standortdaten zugreifen dürfen sollen.

Trotz der Gewissheit der Ministerin, die EU-Vorgaben zurückhaltend implementiert zu haben, glaubt Zypries aber, dass die Bestimmungen zur verdachtslosen Vorratsdatenspeicherung vor dem Bundesverfassungsgericht "sofort angegriffen" werden. "Dann muss man sehen", gab sich die SPD-Politikerin vergleichsweise gelassen. Die von Bürgerrechtlern gleichsam "auf Vorrat" gesammelten "Massenbeschwerden" für Karlsruhe bezeichnete sie als formal unzulässig. Zudem erinnerte sie an die Problematik zwischen deutschem und europäischem Recht bei der Massendatenspeicherung. Die beim Europäischen Gerichtshof anhängige Klage gegen die Richtlinie allein werde hierzulande gegen das Umsetzungsgesetz "keine Wirkung" entfalten. Der Bundestag könne vielmehr frei entscheiden, ob er dieses nach einem Kassieren der Vorlage außer Kraft setzen wolle oder nicht.

Besondere Angriffspunkte durch die Datenhalden, welche die Provider neu anlegen müssen, sieht Zypries nicht. Es sei ihr zumindest nicht bekannt, dass jemand versucht habe, die etwa bei der Deutschen Telekom schon heute im Telefonbereich knapp drei Monate gespeicherten Verbindungsdaten "zu hacken". Es möge zwar sein, dass sich hier "ein neues Geschäftsfeld auftut". Es wäre dann aber Aufgabe der Presse, dieses aufzudecken. Generell würde es sich bei Hackerangriffen auf Vorratsdaten um "ganz normale Straftatbestände" handeln. Spezielle Zugriffsrechte für ausländische Sicherheitsbehörden gebe es zudem nicht, wandte sich die Ministerin gegen eine Darstellung des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung. Auch die geplante Ratifizierung der Cybercrime-Konvention des Europarates ändere nichts daran, dass andere Hoheitsträger Anträge auf Rechtshilfe stellen müssten. Über diese habe das Bundesamt für Justiz zu entscheiden.

Werner Lohl vom Berufsverband Deutscher Psychologen fürchtet dagegen, dass der Staat die Kontrolle über die Vorratsdaten rasch verlieren wird. Die Regierung brüste sich, die Informationen gar nicht selbst vorzuhalten. Die Begehrlichkeiten auf Zugangsmöglichkeiten würden bei einer Speicherung durch die Privatwirtschaft aber nicht weniger rasch steigen, glaubt der Datenschutzbeauftragte. Er geht davon aus, dass die Zugriffsrechte rasch erweitert werden. Von Seiten der FDP hieß es, dass auch die von der Koalition vorgenommenen, den Oppositionsparteien aber noch nicht zugeleiteten Änderungen den Entwurf nicht zustimmungsfähig machen würden. Es sei in skandalöser Vorgang, dass die Koalition sowohl das Ergebnis der parlamentarischen Anhörung als auch die zahleichen Eingaben von Bürgern und Verbänden schlicht ignoriere. Kaum ein anderes Gesetzesvorhaben der Bundesregierung sei von so großer Kritik aus allen Teilen der Gesellschaft begleitet worden.

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:

(Stefan Krempl) / (pmz)