Neuseeländischer Anwalt wird neuer ICANN-Chef

Die Einführung von IPv6 und neuer Top Level Domains sind die größten Herausforderungen, denen sich der neue ICANN-Vorsitzende Peter Dengate-Thrush stellen muss.

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Von
  • Monika Ermert

Peter Dengate-Thrush ist neuer Vorsitzender des ehrenamtlichen ICANN-Vorstands. Der neuseeländische Anwalt löst damit den nach drei Amtszeiten ausscheidenden TCP/IP-Entwickler Vint Cerf ab. Zu Dengate-Thrushs Stellvertreter wählten die 14 Vorstandskollegen den Italiener Roberto Gaetano, der in den vergangenen Wochen ebenfalls als möglicher Cerf-Nachfolger im Gespräch war. Mit Dengate-Thrush setzte sich der Kandidat durch, der den neuen .com-Vertrag mit VeriSign abgelehnt und gegen die Ablehnung der .xxx-Domain gestimmt hatte.

Eines von vielen Abschiedsgeschenken an Cerf war dessen Aufnahme in die Registry besonderer Personen bei der Internet Assigned Numbers Authority. Cerf wies bei einer Pressekonferenz darauf hin, dass mit Dengate-Thrush, Gaetano und dem hauptamtlichen CEO Paul Twomey, der früher für die australische Regierungen in der ICANN aktiv war, nunmehr ein komplett nicht US-amerikanisches Team die Geschicke der privaten Netzverwaltung leite.

In einem Ausblick auf die Zukunft nennt Cerf das bevorstehende Nebeneinander von IPv4- und IPv6-Netzen und die Einführung nicht-lateinischer Schriftzeichen als wichtigste der anstehenden Herausforderungen. Bei IPv6 habe die Organisation ihren Beitrag geleistet: Die Regional Internet Registries (RIRs) teilten IP-Adressen zu, Unterstützung von IPv6 bei allen Rootservern sei in Arbeit. "Jetzt können wir nur noch die Nutzer über die notwendigen Schritte aufklären", sagte Cerf.

Mit Blick auf ICANNs organisatorische Struktur nannte Cerf es möglich, dass die aktuelle Rechtsform als nicht gewinnorientiertes Unternehmen nach kalifornischem Gesetz an einen stärker internationalen Rahmen angepasst werden könnte. Diese Andeutung ist ebenso vorsichtig, wie es Cerfs stark auf Kompromisse setzende Amtsführung war. Seine letzte Sitzung nach sieben Jahren als ICANN-Chef war in dieser Hinsicht typisch für den von allen Seiten mit Lob überhäuften IP-Experten: Jeder einzelne Beschluss des Vorstands am Freitag erging einstimmig.

Das könnte bei Dengate-Thrush anders werden. Der neuseeländische Anwalt sagte in seiner ersten Erklärung: "Ich war manchmal kritisch gegenüber ICANN, allerdings glaube ich an das ICANN-Modell." Er wolle gern die Erfahrungen aus dem Bereich nationaler Domainverwaltungen einbringen, die nach unterschiedlichen Modellen betrieben würden. Mit Blick auf die Einführung neuer generischer Adresszonen und der Nicht-ASCII-Adressen, sagte der Urheberrechts- und Computerrechtsexperte: "Wir wollen, dass das so schnell wie möglich umgesetzt wird."

Dengate-Thrush verwies darauf, dass der Vorstand das zuständige Büro bereits mit der Klärung der praktischen Fragen beauftragt habe. Bei den Länderadresszonen, für die man mit Unterstützung der Regierungen ein vorgezogenes Verfahren anstrebe und dazu eine Arbeitsgruppe beschlossen habe, gelte es, das Ausgangskonzept mit einer Schrift und einer zusätzlichen nationalen Adresszone pro Land zu überdenken. "Für Länder mit 26 oder mehr nationalen Sprachen kann eine solche Bedingung ein rechtliches Problem sein", so Dengate-Thrush.

In ersten Reaktionen auf Dengate-Thrushs Wahl zeigten sich deutsche ICANN-Beobachter erfreut. Jeanette Hofman, die in der ersten und einzigen Online-ICANN-Wahl als Nutzervertreterin für den ICANN-Vorstand kandidiert hatte, sagte: "Ich bin sehr, sehr froh über diese Wahl wie auch über den überfälligen Generationswechsel." Für dot.berlin-Geschäftsführer Dirk Krischenowsik war Dengate-Thrush der Wunschkandidat: "Wir denken, dass er den derzeit noch langsamen Prozess zur Einführung neuer Top Level Domains beschleunigen wird."

Viele ICANN-Kritiker in den USA begrüßten die Wahl des Neuseeländers ebenfalls. Sein Minderheitsvotum gegen die neuen .com-Verträge und auch gegen die auf Regierungsdruck zustande gekommene Ablehnung der Rotlichtdomain lässt auf streitbare ICANN-Zeiten hoffen. (Monika Ermert) / (ad)