Hintergrund: Online-Milliardär Bezos, die Zeitungen und das Internet

Jeff Bezos kauft sich mal eben die "Washington Post". Jetzt gibt es nur noch eine große US-Zeitung im Besitz ihrer Verlegerfamilie. Beginnt ein neues Zeitalter der Mäzene? Bezos jedenfalls betonte die redaktionellen Unabhängigkeit der "Post".

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Andrej Sokolow
  • Daniel Schnettler
  • dpa

Die Geschäftsführung der Washington Post verkündet den Deal dem Newsroom der Zeitung den Deal mit Jeff Bezos

(Bild: Washington Post)

Dieser Sommer wird in die Geschichte der amerikanischen Medien eingehen. Innerhalb weniger Tage wechselten drei Ikonen der Branche den Besitzer: Newsweek, Boston Globe, Washington Post. Vor allem der Käufer des Traditionsblattes aus der US-Hauptstadt erregte Aufsehen: Jeff Bezos, Multi-Milliardär und Gründer des Online-Händlers Amazon. Der 49-Jährige leistet sich die Post für 250 Millionen Dollar in bar als Privatmann.

Sind die Tech-Mogule die Ölbarone der heutigen Zeit, die eben mal einige Millionen für eine Zeitung hinblättern können? An den Gedanken muss man sich erst einmal gewöhnen. Kauft jetzt vielleicht auch noch Apple die New York Times, die letzte große US-Zeitung im Besitz ihrer Verlegerfamilie?

Der Amazon-Chef als Zeitungsbesitzer – das birgt viel Raum für potenzielle Interessenkonflikte. Amazon hat schon oft angeeckt: Sei es der gnadenlose Preiskampf mit dem traditionellen Einzelhandel, seien es die nach Ansicht einiger Politiker allzu kreativen Steuermodelle oder die Arbeitsbedingungen in den riesigen Warenlagern, die zuletzt vor allem in Deutschland für Wirbel sorgten.

Angesichts der Bedenken beeilte sich Bezos, ein klares Bekenntnis zur redaktionellen Unabhängigkeit der Washington Post abzugeben. Die Zeitung werde weiterhin den Lesern und nicht den privaten Interessen seiner Besitzer dienen, versicherte er. "Wir werden der Wahrheit folgen, wohin auch immer das führen mag. Und wir werden hart daran arbeiten, keine Fehler zu machen." Zugleich zeigte Bezos in einem Brief an seine neuen Angestellten Verständnis dafür, dass manche die Nachricht mit Sorge aufgenommen haben dürften.

Noch mehr Sorgen kamen allerdings auf, als die New York Times am Wochenende den Boston Globe an den Bostoner Unternehmer John Henry verkaufte, der auch Eigentümer des Baseball-Teams Boston Red Sox ist. Sportredakteure der Zeitung fragten sich öffentlich, ob in Zukunft noch eine objektive Berichterstattung über die Mannschaft möglich sein wird, denn Henry sei bisher der Presse nicht besonders freundlich entgegengetreten. Überhaupt: Werden Zeitungen wie bisher Fußball-Klubs zum Spielfeld reicher Unternehmer? Schließlich kaufte sich auch der legendäre Investor Warren Buffett eine Palette von Regionalzeitungen zusammen.

Donald Graham, Spross der bisherigen Washington-Post-Eigentümerfamilie, hält Jeff Bezos für den "einzigartig guten neuen Besitzer" der Zeitung.

(Bild: Washington Post)

Bei der Washington Post schrieb Don Graham, der als Spross der bisherigen Eigentümerfamilie die schwierige Entscheidung traf, es sei letztlich eine Wahl zwischen immer weiteren Sparmaßnahmen und dem Verkauf an Bezos gewesen. Die Washington Post konnte – wie auch andere US-Blätter – den Umsatzrückgang durch den Abfluss von Anzeigen ins Internet nicht auffangen.

Dass Medienunternehmen ihr Geld isn Internet stecken, zeigte sich auch schon 2011 am Verkauf rein digitalen Huffington Post, die dem Internet-Konzern AOL 315 Millionen Dollar wert war – auch wenn unklar ist, ob sich die Investition jemals lohnen wird. Dagegen sehen die 70 Millionen, die für den "Boston Globe flossen, mickrig aus. Und die dahinsiechende und nur noch online erscheinende Newsweek dürfte vom Internet-Medienhaus International Business Times noch viel günstiger aufgeschnappt worden sein.

Beim Online-Netzwerk Twitter machten nach Bekanntwerden des Deals sofort Scherze die Runde, etwa ob Bezos wie bei seinem Online-Kaufhaus mit einem Klick und kostenloser Lieferung zugeschlagen habe. Oder es hieß in Anlehnung an die üblichen Amazon-Werbemails: "Auf Basis ihrer bisherigen Käufe könnten für Sie folgende Artikel interessant sein: Los Angeles Times, Orlando Sentinel, Newsweek." Es dominierte jedoch eine Stimmung ungläubiger Ratlosigkeit.

Bezos wird zeigen müssen, ob er seine Erfahrung als Internet-Innovator auf dem neuen Feld anwenden kann. Rückendeckung bekam er jedenfalls von Carl Bernstein, einem der beiden legendären Reporter, die Anfang der 70er Jahre für die Washington Post den Watergate-Skandal aufgedeckt hatten. Er spüre zwar eine angemessene Traurigkeit, schrieb Bernstein. Aber er hoffe auch, dass es ein großer Moment in der Geschichte einer großen Institution sei: "Es ist die Anerkennung der Tatsache, dass in Zeiten neuer Technologien eine neue Art von Führung und Unternehmertum nötig ist", die journalistische Werte mit dem Potenzial der digitalen Ära vereine.

Jeff Bezos: Amazon-Gründer, Weltraum-Träumer, Zeitungsbesitzer

Als Gründer und Chef von Amazon hat Jeff Bezos wie kaum ein anderer die Verdrängung gedruckter Bücher durch E-Books beschleunigt. Jetzt kauft er sich die "Washington Post". Aber vielleicht passt der Kauf der Washington Post und die Geschäfts-Philosophie des 49-Jährigen zum derzeitigen Zustand der Zeitungsbranche in Amerika: Er ist bereit, jahrelange Durststrecken in Kauf zu nehmen. Zudem ist Bezos nicht darauf angewiesen, dass die Washington Post ihn reicher macht. Die 250 Millionen Dollar, die er für eine der berühmtesten Zeitungen der Welt bezahlte, machen höchstens ein Prozent seines geschätzten Vermögens aus.

Amazon-Chef Jeff Bezos betonte, er werde die redaktionelle Unabhängigkeit der Washington Post achten.

(Bild: Washington Post)

Bezos ist vor allem bekannt als aggressiver Innovator, der mit gnadenlosem Preiskampf den klassischen Einzelhandel das Fürchten lehrte. Der unprätentiöse zierliche Mann, dessen Markenzeichen ein schallendes Lachen ist, kann hart sein. "Es ist unser Job, den Kunden den besten Preis und den besten Service zu bieten. Die Kunden entscheiden, wo sie kaufen, nicht wir", sagte er einmal auf die Frage nach den Branchen, die Amazon umpflügt. Wachstum geht Bezos erst mal vor Gewinn: Bis heute ist der Riese Amazon – anders etwa als Apple – nicht besonders profitabel. Der Börsenkurs zeigt dennoch stetig nach oben.

Bezos bewies auch, dass er neben dem Geschäft ein Herz für selbstlose Leidenschaften haben kann. Seit er fünf ist, brennt er für die Raumfahrt. Bezos versucht, Reisen ins Weltall auf die Beine zu stellen, eigenes Raumschiff inklusive. Ein Prototyp stürzte bei einem unbemannten Testflug ab. Bezos bleibt dran und scheute in der Zwischenzeit keine Mühen, um Triebwerke der Trägerrakete von "Apollo 11" vom Meeresgrund zu heben. Sein Interesse an der Medienwelt offenbarte Bezos erstmals im Frühjahr, als er fünf Millionen Dollar in die Website Business Insider investierte – ein Blog, das Wirtschafts-Berichterstattung mit klickträchtigen Schlagzeilen verbindet.

Wie stark sich Bezos bei der Washington Post einbringen wird, ist unklar. Schon mit seinem Tagesjob bei Amazon und dem Raumfahrt-Hobby ist Bezos gut ausgelastet. Das ließ er seine neuen Angestellten auch sofort wissen: "Ich werde die Washington Post nicht im Tagesgeschäft führen." Zugleich kündigte er Veränderungen an: Durch das Internet sei alles im Wandel und es gebe keine Landkarte für den Weg in die Zukunft. "Wir werden experimentieren müssen."

Bezos, der als Kind viel Zeit auf der Ranch seines Großvaters in Texas verbrachte, gründete Amazon 1994. Die Firma überlebte das Platzen der Internet-Blase vor über zehn Jahren und ist der weltgrößte Online-Einzelhändler. "Ich habe in meinen Jahren im Geschäft gelernt, dass es am Gefährlichsten ist, sich nicht von den anderen zu unterscheiden", sagte Bezos in einem dpa-Interview. "Wir wollen Sachen erfinden, die den Leuten anfangs ungewöhnlich vorkommen – aber einige Jahre später für alle normal sind."

Die Washington Post feiert sich selbst mit historischen Titelseiten: Die Zeitung erlebte ihre Sternstunde mit der Aufdeckung des Watergate-Skandals, was zum Rücktritt von Richard Nixon führte.

(Bild: Washington Post)

Washington Post: Eine amerikanische Institution in Turbulenzen

Die Washington Post hat mehr als einmal Geschichte geschrieben. Ihre Sternstunde erlebte sie Anfang der 70er Jahre, als die Reporter Carl Bernstein und Bob Woodward den Watergate-Skandal aufdeckten, der zum Rücktritt von US-Präsident Richard Nixon führte. Und die Veröffentlichung der geheimen "Pentagon-Papiere" durch die New York Times und die Washington Post öffnete 1971 der amerikanischen Öffentlichkeit die Augen auf den Krieg in Vietnam und stärkte in einem Gerichtsprozess die Pressefreiheit.

Diese journalistischen Höhenflüge waren möglich, weil Verlegerin Katharine Graham fest hinter dem Kurs stand. Ihrer Familie gehörte die Post seit 1933, als sich ihr Vater die pleitegegangene Zeitung bei einer Auktion schnappte. Im Besitz der Grahams wurde aus dem 1877 gegründeten Blatt eine amerikanische Institution. Katharines Sohn Don Graham kapitulierte nun aber vor dem aktuellen Wandel der Medienindustrie: "Das Zeitungsgeschäft brachte immer neue Fragen auf, auf die wir keine Antwort haben." Die Zeitungen der börsennotierte Washington Post Company hatten im ersten Halbjahr 49 Millionen Dollar Verlust gemacht. Die Gruppe hat ihre Geschäftsfelder mit den Jahren erweitert. Zu ihr gehören etwa ein Bildungsanbieter, lokale Fernsehstationen und ein Kabelnetz-Betreiber.

Das Internet krempelt die Zeitungsbranche um – und die Washington Post verzeichnete sieben Jahre in Folge Umsatzrückgänge. Ein erstes deutliches Alarmsignal kam 2009, als die Büros in Chicago, Los Angeles und New York dichtgemacht wurden. Einsparungen im Newsroom folgten. Don Graham zog jetzt den Verkauf an den milliardenschweren Amazon-Gründer Jeff Bezos einem strikten Sparkurs vor. (jk)