Mitarbeiter-Bespitzelung bei Lidl sorgt weiter für Empörung

Datenschützer, Politiker und Gewerkschaften machen gegen die Discounter-Kette mobil, die sich inzwischen auch bei ihren Kunden für die Stasi-ähnliche Überwachung zahlreicher Ladenräume entschuldigt hat.

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Datenschützer, Politiker und Gewerkschaften machen gegen die Discounter-Kette Lidl nach Berichten über die Stasi-ähnliche Überwachung zahlreicher Ladenräume mobil. Von dem Skandal sollen nach Angaben von Experten nicht nur Mitarbeiter betroffen gewesen sein. Auch Kunden seien möglicherweise etwa beim Bezahlen gefilmt worden, sagte die stellvertretende Leiterin des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD), Marit Hansen. "Wie auf den veröffentlichten Kamerabildern zu sehen ist, wurden im Kassenbereich zum Beispiel auch die Eingabegeräte erfasst, in die die Kunden bei Kartenzahlung ihre Geheimzahlen eingeben."

Vereinzelte Abhörberichte stammen laut Hansen auch aus Schleswig-Holstein. Das ULD habe daher den Lebensmittelverkäufer aufgefordert, den Sachverhalt aufzuklären. "Eine systematische heimliche Überwachung ohne konkreten Verdacht eines schwerwiegenden Vergehens greift in unzulässiger Weise in das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer ein", meinte die Datenschützerin. Zuvor hatte das baden-württembergische Innenministerium Ermittlungen aufgenommen, da Lidl dort seinen Konzernsitz hat. Es werde geprüft, ob die Beschäftigten in zahlreichen Filialen systematisch überwacht wurden, sagte eine Sprecherin der zuständigen Aufsichtsbehörde. Die mögliche Höchststrafe betrage 250.000 Euro.

Die stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft ver.di, Margret Mönig-Raane, erwägt derweil Möglichkeiten, Musterklagen gegen Lidl anzustrengen. Betroffene Gewerkschaftsmitglieder könnten von der Gewerkschaft Rechtsschutz bekommen und ihren Arbeitgeber auf Schadenersatz verklagen. "Diese Bespitzelung hat ein unglaubliches Ausmaß", entrüstete sich Möning-Raane. Das "System Lidl" habe damit einen Offenbarungseid geleistet. Die Gewerkschafterin äußerte zugleich den Verdacht, dass der Lidl-Vorstand die "kriminellen Machenschaften" gebilligt habe. Sie forderte Lidl auf, mit ver.di einen Tarifvertrag abzuschließen und die Gründung von Betriebsräten zuzulassen.

Das Lidl-Geschäftsleitungsmitglied Jürgen Kisseberth bestritt gegenüber N24, dass eine systematische Überwachung gepflegt worden sei. Er sprach von "übereifrigen Detektiven". Es habe "keine Erwartung und keinen Auftrag von uns" für die ausführlichen Protokolle. Diese hätten "bei uns keine weitere Berücksichtigung in der weiteren Vorgehensweise gefunden". Die Firma hatte zuvor angekündigt, die Zusammenarbeit mit externen Detekteien sofort beenden zu wollen. Vor seinen Filialen informiert der Discounter mittlerweile Kunden auf Zetteln über seine Position. Darin entschuldigt sich Lidl und versichert, dass sich so etwas "nicht wiederholen wird". Man habe aus den Vorfällen gelernt. Generell werde "entsprechend den Führungsgrundsätzen des Unternehmens ein offener und vertrauensvoller Umgang mit allen Mitarbeitern gelebt". In einem Brief der Geschäftsführung an die Mitarbeiter hieß es zudem: "Wenn Sie sich in Misskredit gebracht und persönlich verletzt fühlen, so bedauern wir dies außerordentlich und entschuldigen uns dafür bei Ihnen."

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, forderte indes einen verbesserten Arbeitnehmerdatenschutz. "Die Überwachung von Mitarbeitern ist alles andere als ein Einzelfall", beklagte er. In vielen anderen Bereichen würden Arbeitnehmer heute bereits über Zugangskontroll- oder Ortungssysteme überwacht. Schaar mahnte die Bundesregierung, endlich Abhilfe zu schaffen. Die grüne Innenexpertin Silke Stokar befand, dass es beim "Wiederholungstäter Lidl nicht bei einer Abmahnung bleiben kann". Die Unternehmensmanager müssten diesmal zur Rechenschaft gezogen werden. Der Fall Lidl mache darüber hinaus deutlich, wie zahnlos der Datenschutz im privaten Bereich sei. Da hier die Länder zuständig seien, lägen Statistiken über eingeleitete Verfahren und verhängte Sanktionen nicht vor. FDP-Innenpolitikerin Gisela Piltz forderte, das Bundesdatenschutzgesetz zu novellieren und den Datenschutz im nicht-öffentlichen Bereich zu stärken. "Darüber hinaus brauchen wir eine gesamtgesellschaftliche Diskussion über den Stellenwert des Datenschutzes in Zeiten des technischen Fortschritts."

Auch der Ethikverband der Deutschen Wirtschaft (EVW) zeigte sich empört: "Abgesehen von der juristisch zu klärenden Frage des Datenschutzes ist es kaum nachvollziehbar, wie sehr ethisch-moralisches Bewusstsein hier mit Füßen getreten wird." Ironie am Rande: Der sich gern im Hintergrund haltende Lidl-Patriarch Dieter Schwarz fördert nicht nur in Heilbronn die örtliche Business School, sondern auch in Halle einen Lehrstuhl – just für Wirtschaftsethik. (Stefan Krempl) / (jk)