Vorratsdatenspeicherung: Kürzere Speicherdauer soll Grundrechte schützen

Wissenschaftler der Universität Kassel empfehlen eine kürzere Speicherdauer für Telefon- und Internet-Verbindungsdaten: "Je länger die Daten gespeichert werden umso mehr Hinweise geben sie auf Vorlieben, Gewohnheiten, Kontakte und Beziehungen."

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  • dpa

Prof. Dr. Alexander Roßnagel: "Je länger die Daten gespeichert werden umso mehr Hinweise geben sie auf Vorlieben, Gewohnheiten, Kontakte und Beziehungen. Der Grundrechtseingriff nimmt mit der Zeit zu."

(Bild: Universität Kassel)

Telefon- und Internet-Verbindungsdaten sollten nach Ansicht von Experten nur wenige Monate von Telekomanbietern gespeichert werden anstatt wie von der EU gefordert mindestens sechs Monate. Zu diesem Schluss kommen drei Wissenschaftler der Universität Kassel in einer Studie zur Vorratsdatenspeicherung. "Wir gehen davon aus, dass man das deutlich verkürzen kann", sagte Mitautor Prof. Dr. Alexander Roßnagel der dpa.

Für Polizei und Ermittlungsbehörden seien die Daten ohnehin meist "wenige Wochen nach einem Verdacht" interessant. "Man könnte die Speicherzeit also auf zwei Monate oder drei Monate verkürzen. Das würde für die Grundrechte einen großen Unterschied machen", sagte Roßnagel. "Je länger die Daten gespeichert werden umso mehr Hinweise geben sie auf Vorlieben, Gewohnheiten, Kontakte und Beziehungen." Andere Kritiker sehen allerdings in der Vorratsdatenspeicherung prinzipielle Probleme, da die anlasslose Speicherung der Verbindungsdaten alle Bürger von vornherein unter Verdacht setze und damit eine grundlegende Veränderung im Rechtsstaatsverständnis einherge.

Die Europäische Union L:2006:105:0054:0063:DE:PDF:schreibt seit 2006 vor, dass Telefonanbieter Daten über Telefon- und Internetnutzung speichern müssen. Ermittler sollen die Daten mit einer richterlichen Genehmigung anfordern können. In Deutschland kippte das Bundesverfassungsgericht 2010 das deutsche Gesetz dazu, seitdem gibt es in der Regierungskoalition Streit um einen zweiten Anlauf. Vor dem Europäischen Gerichtshof läuft derzeit ebenfalls eine Klage gegen die Vorratsdatenspeicherung.

Roßnagel kritisierte die Geheimdienste für ihre Zusammenarbeit mit ausländischen Diensten. "Es kann ja nicht sein, dass unser Bundesverfassungsgericht sehr differenzierte Anforderungen stellt an die Internetüberwachung, ausländische Dienste das komplett ignorieren und deutsche Dienste dann davon profitieren." Es ist unklar, in welchem Maße deutsche Geheimdienste von den Internet-Ausspähaktionen britischer und amerikanischer Dienste wussten oder mit diesem zusammen arbeiteten.

Sie haben sich in einer Studie mit der Speicherung von Telefondaten beschäftigt. Was ist Ihr Ergebnis?

Alexander Roßnagel: Die Überlegung war: Wenn eine Vorratsdatenspeicherung stattfinden muss, weil das europäische Recht das von Deutschland fordert, dann muss man das möglichst grundrechtsschonend umsetzen. Wir haben untersucht, welche Möglichkeiten dafür bestehen und geben dazu verschiedene Empfehlungen.

Raten Sie der EU-Kommission, ihre Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung zu ändern?

Roßnagel: Das will die Kommission ja ohnehin. Es gibt die feste Absicht, mehrfach angekündigt, dass die Richtlinie überarbeitet werden soll. Das liegt momentan ein wenig auf Eis, weil derzeit der Europäische Gerichtshof darüber entscheidet, ob die Vorratsdatenspeicherung mit der Grundrechtecharta im Einklang steht.

Sollte die Kommission die Richtlinie komplett streichen?

Roßnagel: Über diese Frage wird seit 10 Jahren heftigst diskutiert. Da sind alle Argumente ausgetauscht. Das ist eine Frage der politischen Bewertung. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass eine grundrechtskonforme Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung möglich ist. Wenn das notwendig ist und unvermeidbar, dann bitte auf eine Weise, bei der die Grundrechte der Betroffenen geschützt werden.

Wie könnte das aussehen?

Roßnagel: Wir empfehlen, die Speicherdauer zu reduzieren. Jetzt ist es so geregelt, dass die Daten sechs bis 24 Monate gespeichert werden. Wir gehen davon aus, dass man das deutlich verkürzen kann. In der Regel werden die Daten wenige Wochen nach einem Verdacht von Ermittlern abgefragt. Man könnte die Speicherzeit also auf zwei Monate oder drei Monate verkürzen. Das würde für die Grundrechte einen großen Unterschied machen. Je länger die Daten gespeichert werden umso mehr Hinweise geben sie auf Vorlieben, Gewohnheiten, Kontakte und Beziehungen. Der Grundrechtseingriff nimmt mit der Zeit zu.

Liegt das auch an der Masse der Daten, die Ermittler einsehen können?

Roßnagel: Ja, das ist vollkommen richtig. Es ist ja so, dass nicht nur Telefongespräche Kommunikationsdaten verursachen. Wenn sie ein Smartphone haben, prüft das alle 10 Minuten, ob eine neue E-Mail oder SMS angekommen ist. Das heißt, es wird alle 10 Minuten auch Ihr Standort festgestellt. Der wird in der Vorratsdatenspeicherung auch gespeichert, so dass für sechs Monate ein kompletter Bewegungsablauf von Ihnen nachvollziehbar wäre. Auch das ist ein Grund warum man die Speicherzeit verkürzen sollte.

Kann man Ihre Kriterien auch auf andere Überwachungsmaßnahmen von Telekommunikation übertragen?

Roßnagel: Ja. Das ist ja das Interessante bei der Ausspähung von Internetdaten durch den britischen Geheimdienst oder die NSA aus den USA. Es kann ja nicht sein, dass unser Bundesverfassungsgericht sehr differenzierte Anforderungen stellt an die Internetüberwachung, ausländische Dienste das komplett ignorieren und deutsche Dienste dann davon profitieren. Diese Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht aus dem Grundgesetz abgeleitet hat, müssen für alle staatlichen Behörden gelten. Das heißt, sie sind auch verbindlich für die Bundesregierung. Die muss sich dann gegenüber den ausländischen Geheimdiensten dafür einsetzen, dass die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz der deutschen Bürger entsprechend eingehalten werden.

Nun arbeiten Geheimdiensten per Definition im Geheimen. Können sie Ihre Anforderungen, etwa die Information der Überwachten über die Abhörmaßnahmen, überhaupt erfüllen?

Roßnagel: Das erlaubt den Geheimdiensten ja nicht, tief in Grundrechte der Bürger einzugreifen. Das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung von 2007 hat vorgesehen, dass die Geheimdienste die Daten aus der Vorratsdatenspeicherung nutzen dürfen. Das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt, dass die Nutzung dieser Daten ausschließlich zum Schutz von Leib und Leben, Gesundheit, Freiheit oder dem Bestand der Bundesrepublik erlaubt ist. Und das auch nur, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese Güter verletzt werden. Das ist bei Geheimdiensten selten der Fall, weil sie weit im Vorfeld davon unterwegs sind. Das muss auch gelten, wenn fremde Geheimdienste anlasslos und ausnahmslos alle Internetdaten abspeichern und quasi eine Vorratsdatenspeicherung für sich machen. Dann dürfen die deutschen Geheimdienste nur in dem Umfang daran teilnehmen, wie das Bundesverfassungsgericht das erlaubt hat. (jk)