Medientage: Wer regiert das Internet?

Auf den Medientagen München debattierten Experten über die Herrschaftsverhältnisse im Internet. Sie sehen durchaus Bedarf für ein ausgewogeneres System der Netzverwaltung, warnten aber vor einer Fragmentierung.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 12 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Monika Ermert

Die viel kritisierte Anbindung der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) an das US-Handelsministerium allein rechtfertige Ängste nicht, dass das Internet demnächst von der US-Regierung übernommen werde. Das sagte Christian Möller, Internetbeauftragter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bei einer Podiumsdiskussion zur Frage über die Herrschaft im Netz. "Ich finde ICANN gut", sagte Möller in der Debatte. Die Europaparlamentarierin Angelika Niebler (CSU) sieht allerdings durchaus noch Bedarf, das System der Netzverwaltung auf eine "pluralistischere und ausgewogenere" Basis zu stellen.

Die Praxis zeige, dass es bei der Verwaltung der Kernressourcen trotz der raschen Entwicklungen immer neuer Anwendungen bis hin zum Internetfernsehen wenig Probleme gebe, sagte Möller. ICANN und IANA (Internet Assigned Numbers Authority) hätten "das ganz gut hingekriegt", meint der OSZE-Experte, der beim bevorstehenden zweiten Internet Governance Forum (IGF) die von der OSZE auf die Beine gestellte "Koalition" zum Thema "Meinungs- und Pressefreiheit im Internet" voranbringen will. Bei der OSZE sieht man andere Quellen für Probleme, mit denen sich Nutzer im Internetalltag auseinanderzusetzen haben.

Einzelne Länderadressverwaltungen – wie die Kasachstans – regulierten etwa sehr stark, wer überhaupt eine Domain erhalte. In einem Land wie China werde das unbeobachtete Surfen im Internetcafe durch entsprechende Auflagen verhindert, und der Zugang durch Ausweis- und Registrierpflicht eingeschränkt. Auch privatwirtschaftliche Zusammenhänge sorgten für Beschränkungen. Viele Internetradios in den USA müssten so ihren Betrieb einstellen weil die phonographische Industrie höhere Lizenzgebühren verlange, sagte Möller.

Die Idee, das Domain Name System (DNS) einer internationalen Organisation oder den Vereinten Nationen zu übertragen, beurteilte Möller überaus skeptisch. Abgesehen davon, dass Übereinkünfte in solchen Organisationen viel Zeit brauchten, sei Skepsis angebracht, wenn Staaten mit über die Kerninfrastrukturfragen entschieden, in denen die Meinungsfreiheit nicht geachtet werde. Als unheilige Allianz hatten deshalb auch Beobachter – und sicher die US-Regierung – die Forderungen von der EU und China nach einer Internationalisierung der Ressourcenverwaltung betrachtet, die beinahe zum Scheitern des UN Weltgipfels der Informationsgesellschaft (WSIS) geführt hatte.

Die Europaabgeordnete Niebler sagte auf dem Münchner Podium, sie sei "recht zufrieden" über die bisherige Entwicklung von ICANN. Man müsse solchen Entwicklungen auch Zeit lassen, meinte sie im Bezug auf mögliche Schwächen etwa bei der Transparenz. Dennoch hielten Parlament und Kommission an der "verstärkten Zusammenarbeit" fest, unterstrich Niebler. Die CSU-Politikerin lüftete auch das Geheimnis, woher der so unterschiedlich definierte Begriff der "enhanced cooperation" eigentlich kommt: wenn zwei Ausschüsse des Parlamentes sich um die Zuständigkeit für ein politisches Verfahren streiten, löst man den Konflikt mittels einer solchen verstärkten Zusammenarbeit.

Wie eine neue, pluralistischere Aufsicht über das System der Rootzone-Server und die zentrale Datenbank bei der IANA aussehen könnte, das ließ Niebler offen. Sie begrüßte aber das IGF als einen möglichen Ort, an dem vor dem Auslaufen des Vertrags zwischen US-Regierung und ICANN im Jahr 2009 diskutieren kann, wie auf der "Basis der ICANN demokratischere Strukturen weiterentwickelt werden können. Das IGF diene auch als Forum, auf dem die verschiedenen Interessengruppen sich über Themen wie die Einführung neuer Top Level Domains, etwa der .berlin, verständigen könne.

Das IGF könne "selbst ein praktischer Beitrag zur verbesserten Zusammenarbeit sein", meint Wolfgang Kleinwächter, als Special Advisor des IGF-Vorsitzenden in München vertreten. Er berichtete, seit dem WSIS hätten sich die Positionen im Streit um kritische Infrastrukturen durchaus verschoben. China etwa setze statt der offenen Konfrontation mit den USA stärker auf eine perfekte Doppelstrategie. Einerseits spiele China im ICANN- und IGF-Prozess mit, andererseits kontrolliere Beijing den eigenen Namensraum mit der Einführung chinesischer Adressen noch stärker als bislang.

Selbst eine Fragmentierung der Rootzone, in einen US-amerikanischen, einen chinesischen und auch einen russischen Bereich, mochte Kleinwächter nicht völlig ausschließen. "Ausreise", illustriert Kleinwächter, gebe es dann nur für autorisierte Reisekader mit entsprechendem Passwort. Die Furcht vor einer Fragmentierung der Rootzone sei auch Anlass für die aktuell von ICANN massiv vorangetriebene Einführung internationalisierter Adresszonen. (Monika Ermert) / (vbr)