Wernher von Braun: "Science-Fiction ins Faktische lenken"

Er gilt als Vater der Mondrakete, aber wie der Erdtrabant, den sie erreichen sollte, hat auch ihr Entwickler eine dunkle Seite: Wernher von Braun.

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Von
  • Peter Glaser

Er gilt als Vater der Mondrakete, aber wie der Erdtrabant, den sie erreichen sollte, hat auch ihr Entwickler eine dunkle Seite: Wernher von Braun.

Wernher von Braun wird am 23. März 1912 als Sohn des späteren Reichsernährungsministers Magnus Freiherr von Braun und seiner Frau Emmy geboren, die ihm zur Konfirmation ein Fernrohr schenkt. 1930 wird der Abiturient Mitglied im "Verein für Raumschiffahrt", die Enthusiasten tüfteln an Raketen mit Flüssigkeitstriebwerken. Sieben Jahre später wird der 25-Jährige Direktor der neuen Heeresversuchsanstalt Peenemünde, ein Jahr später tritt er der NSDAP bei, 1940 wird er Mitglied der SS. Ab 1943 wird Peenemünde bombardiert. Die Raketenproduktion ("V2") wird unter die Erde verlegt, in das KZ Mittelbau-Dora bei Buchenwald. 1945 stellt sich von Braun mit seinem Team den US-Streitkräften.

Fünf Jahre später entwickelt von Braun in Huntsville, Texas, die Redstone, die auf der V2 basiert. 1957 starten die Sowjets "Sputnik" – der Wettlauf um die Vorherrschaft im All entbrennt. 1958: Die NASA wird gegründet und übernimmt von Brauns Abteilung für Raketenentwicklung mit 5000 Mitarbeitern. Am 21. Juli 1969 betreten die ersten Menschen, angereist mit einer Saturn-V-Rakete, den Mond. 1970 setzt sich von Braun für eine bemannte Marsmission ein, doch sie scheitert an Finanzierungsproblemen. Am 16. Juni 1977 stirbt Wernher von Braun an Krebs.

Technology Review: Herr von Braun, Sie haben sich gerade vor den haushohen Schubdüsen einer Saturn-V-Rakete fotografieren lassen. Dieses gewaltige Fluggerät soll in wenigen Wochen die ersten Menschen auf den Mond bringen. Wann ist Ihnen bewusst geworden, dass Sie Raketen bauen wollen?

Wernher von Braun: Als Kind habe ich Jules Verne verschlungen, da war Raumfahrt immer reine Fantasie. Dann bekam ich Hermann Oberths Buch "Die Rakete zu den Planetenräumen" in die Hände und war wie elektrisiert. Er hat die Grundlagen der Raketentechnik entworfen, das war 1923. Plötzlich bekam das bisher Utopische etwas Reales.

TR: Es sind frühe Feldversuche von Ihnen bekannt...

von Braun: Nun. Ich habe als 13-Jähriger im Berliner Tiergarten einmal ein mit einer Feuerwerksrakete bestücktes Spielzeugauto in Betrieb genommen. Eine Dame wurde gestreift, sie hat die Polizei verständigt. Das war sehr unbedacht von mir.

TR: Na ja, Angriffe waren auch später Ihr Metier. Sie haben in den ersten anderthalb Jahrzehnten als Raketenpionier in Deutschland vor allem Waffen konstruiert.

von Braun: Nein, sehen Sie, wir haben immer versucht, technische Probleme beim Bau von Raketen zu lösen. Auch als der Krieg kam. Vieles, das heute selbstverständlich ist, gab es damals ja noch nicht, flüssigkeitsgetriebene Raketenmotoren etwa. Ich hatte, wie andere Enthusiasten, zu dem "Verein für Raumschiffahrt" gefunden, dem Oberth vorstand. Wir hatten in Berlin-Tegel einen Raketenflugplatz, den ersten der Welt, aber leider nur sehr unzulängliche Mittel...

TR: Das hat sich geändert, als die Reichswehr auf Sie aufmerksam wurde.

von Braun: Man war dort an Raketen interessiert, weil sich damit das Abrüstungsgebot des Versailler Vertrags umgehen ließ – die Technik war so neu, dass sie in dem Vertrag nicht vorkam. Für unsere wissenschaftliche Entwicklungs-arbeit standen uns danach fast unbegrenzte Mittel zur Verfügung. 1937 hatte ich in der gerade errichteten Heeresversuchsanstalt Peenemünde keine 100 Mitarbeiter, 1944 arbeiteten da 18000 Menschen.

TR: Ihre Raketen trugen die nüchterne Bezeichnung "Aggregat", gefolgt von einer Versionsnummer. "Aggregat 4" wurde von Propagandaminister Goebbels in "Vergeltungswaffe 2" umbenannt – V2.

von Braun: Wir hatten nicht das Gefühl, dass wir eine Vergeltungswaffe entwickeln. Unser Ziel war eine leistungsstarke, steuerbare, hochpräzise Rakete. Ich habe immer gehofft, der Krieg würde vorbei sein, bevor eine A4 gegen ein bewohntes Ziel startet. Das hätte nie geschehen sollen.

TR: Beim Bau der V2 kamen mehr als 12000 Zwangsarbeiter ums Leben, durch ihren Einsatz etwa 8000 Zivilisten. Die Produktion der Rakete forderte mehr Opfer als ihre Verwendung.

von Braun: Sie müssen bedenken: Es war Krieg.

TR: Der technische Fortschritt war Ihnen wichtiger als die Moral?

von Braun: Die Wissenschaft hat keine moralische Dimension. Sie ist wie ein Messer. Wenn man es einem Chirurgen und einem Mörder gibt, gebraucht es jeder auf seine Weise.

TR: Im Oktober 1942 schossen Sie eine Rakete bis auf 90 Kilometer Höhe – es war der erste Griff nach dem Weltraum. Zugleich begann die Invasion der Alliierten in der Normandie...

von Braun: Die Diskussionen in meinem Stab, Raketen für Weltraumflüge zu entwickeln, haben uns ziemliche Schwierigkeiten eingebracht. Es hieß, durch die Träumerei von Mondflügen würden wir die deutsche Waffenentwicklung sabotieren. Ein Kollege und ich wurden vom SS-Sicherheitsdienst verhaftet, und wir hatten großes Glück, dass wir nach zwei Wochen wieder freikamen.

TR: Nach Kriegsende griffen die Amerikaner dankbar auf Ihr Wissen zurück. Waren ihnen die Deutschen in der Raketenentwicklung wirklich um Jahre voraus?

von Braun: In der Tat (lächelt dünn). Die Firma Lockheed hatte unter anderem den Auftrag bekommen herauszufinden, was wir Deutschen angeblich über Antischwerkraft wussten. Ich habe gehört, dass sich einer der Techniker bei der Untersuchung des zu Kriegsende requirierten Materials als Erstes mit Bolzen und Seilen im Boden verankert hat, um nicht "so wie andere" spurlos davonzufliegen.

TR: Sie planten da schon längst bemannte Raumstationen im Orbit und auf dem Mond und wollten Menschen zum Mars schicken. Die Amerikaner waren hingerissen von Ihren Zukunftsvisionen.

von Braun: Es gab in den fünfziger Jahren in den USA ein starkes Interesse an Science-Fiction, das man gewissermaßen ins Faktische lenken konnte. Es gab die große Chance, aus der Abgeschiedenheit des Militärs an die Öffentlichkeit zu treten. Die Illustrierte "Collier's" und Walt Disney luden mich ein, die Realisierbarkeit bemannter Raumflüge in populärer Form darzustellen. Als die Sowjets 1957 den ersten Sputnik in den Orbit schossen, war nach dem anfänglichen Schock klar: Wir müssen diesen Vorsprung einholen. Und wir können es.

TR: Was werden Sie tun, sollten die Astronauten – was wir alle hoffen – erfolgreich auf dem Mond landen?

von Braun: Ich werde allen meinen Mitarbeitern danken und natürlich den Menschen in Amerika, die all das möglich gemacht haben. Es wären danach wohl auch keine unüberwindlichen Hindernisse mehr in Sicht für einen Flug von Menschen zum Mars. Eine solche Reise sollte sich noch vor dem Jahr 2000 verwirklichen lassen.

TR: Die Zukunft wird es zeigen. Herr von Braun, wir danken für das Gespräch. ()